Das Wort „Sensation“ wird in der modernen Fußballwelt häufig genutzt, wenn der erfolgsverwöhnte Rekordmeister im Heimspiel gegen den biederen Abstiegskandidaten eine völlig unerwartete Niederlage einstecken muss. Auch wenn dies aufgrund der völlig unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten sicherlich eine außergewöhnliche Leistung des „Underdogs“ darstellt, darf man nie vergessen, dass die Spieler des abstiegsgefährdeten Gegners ebenfalls ein sechs-oder gar siebenstelliges Jahresgehalt verdienen und Fußball aus beruflichen Gründen spielen.
Wer auf der Suche nach einer echten Fußball-Sensation ist, wird vermutlich eher im nationalen Pokalwettbewerb fündig, wo insbesondere zu Beginn jeder Saison das ewig junge Duell zwischen dem völlig unterlegenen „David“ und dem übermächtigen Riesen „Goliath“ ansteht. Nur hier kann man regelmäßig erleben, wie Studenten, Postboten oder Dachdecker mit ihren unterklassigen Amateurclubs den professionellen Gegner ärgern und vielleicht sogar dafür sorgen, dass die „Instagram“-Welt der Jungmillionäre für eine Woche mal nicht rosarot ist!
Bevor es für den Amateurclub allerdings zu dieser „Chance des Lebens“ kommt, müssen einige Hürden überwunden werden. Die sind je nach Land doch recht unterschiedlich. In Deutschland müssen sich die ambitionierten Amateurclubs je nach Spielstärke zunächst durch die unzähligen Runden von Kreis- und Verbandspokal kämpfen, bevor man in der ersten Hauptrunde auf einen Club aus der ersten oder zweiten Bundesliga trifft. Während viertklassige Regionalligisten oder fünftklassige Oberligisten „nur“ sechs Siege im lokalen Verbandspokal benötigen, müsste der neuntklassige Kreisligist noch fünf bis sechs Siege in den Runden des vorgeschalteten Kreispokales draufpacken!
Im ältesten Pokalwettbewerb der Welt, dem englischen FA-Cup, sieht die Sache für die unterklassigen (Amateur-)Clubs etwas anders aus. Im Vergleich zu den deutschen Amateuren muss man für eine Teilnahme im Hauptfeld des Wettbewerbs gemäß den Statuten zunächst einmal nur einen gewissen Leistungsstandard und ein angemessenes Spielfeld besitzen.
Was sich oberflächlich betrachtet viel einfacher und vor allem sehr interpretationsfähig anhört, entpuppt sich am Ende allerdings als schier endlose Odyssee bis zum großen Spiel gegen den Premier League-Club. Da es in England das zuvor beschriebene deutsche System aus Kreis- und Länderpokal nicht gibt, dürfen zwar alle teilnehmenden Amateure im Hauptfeld des erstmals 1871 ausgetragenen FA-Cups antreten, müssen aber insgesamt acht Vor- und Qualifikationsrunden überstehen, bevor man überhaupt auf einen Erst-oder Zweitligisten treffen könnte. Die Clubs aus der Premier League und der zweitklassigen EFL Championship greifen nämlich erst in der 3. Hauptrunde des Wettbewerbs ins Geschehen ein, welche traditionell am ersten Wochenende des neuen Jahres ausgetragen wird.
Wer es also bei insgesamt 732 Teilnehmern (Saison 2023/2024) als „Non League-Club“ tatsächlich in die 3. Hauptrunde des FA-Cups schafft, der hat es auch mehr als verdient. Leider ist dann aber immer noch kein Spiel gegen einen Erst- oder Zweitligisten garantiert, da es in England keinen gesonderten „Amateurlostopf“ oder die viel diskutierte „Heimspielregel“ gibt, welche dem unterklassigen Team immer Heimrecht garantiert. Dies heisst im Umkehrschluss, dass du als Amateurclub in der 3. Hauptrunde durchaus einen Rivalen aus dem Amateurbereich zugelost bekommen kannst, aber auch auswärts vor 75.000 Zuschauern in Old Trafford gegen Manchester United spielen könntest!
Im diesjährigen FA-Cup konnten sich letztlich nur vier richtige Underdogs für die dritte Hauptrunde qualifizieren, da die als professionell geltenden Clubs aus der dritt- und viertklassigen „English Football League“ in den ersten beiden Hauptrunden bereits viele Amateur-Träume platzen ließen. Dementsprechend waren Sechstligist Maidstone United sowie die Fünftligisten FC Eastleigh, FC Chesterfield und Aldershot Town die letzten „Amateur-Mohikaner“ in Runde 3 des FA-Cup 2023/2024!
Der absolute Hotspot der dritten Hauptrunde war einmal mehr die britische Hauptstadt London, in der 12 der insgesamt 32 Drittrunden-Partien ausgetragen wurden. Egal ob Millwall, Tottenham oder Fulham…in London kam man am ersten Januar-Wochenende nicht am rollenden Ball vorbei.
Zum Auftakt am Donnerstagabend sollte es im Londoner Süden zu einem reinen Premier League-Duell kommen. Bei strömendem Dauerregen traf Gastgeber Crystal Palace auf Ligakonkurrent FC Everton. Bereits auf der Anfahrt zum altehrwürdigen Selhurst Park schlich sich in Bezug auf die Bespielbarkeit des Platzes ein Gefühl der Unsicherheit ein. Dies lag nicht nur an den schlechten Erfahrungen vor genau einem Jahr, als mein geplantes FA-Cup Spiel bei den Forest Green Rovers sehr kurzfristig dem Dauerregen zum Opfer fiel. Viel beunruhigender war an diesem Tag die Tatsache, dass die Haltestelle mit dem passenden Namen „Canada Water“ bereits wegen Überflutung geschlossen und durch meine S-Bahn des Londoner „Overground“ nicht mehr angefahren wurde.
Bei Ankunft am „Selhurst Park Stadium“, einem dieser typisch englischen Stadien mit einer überschaubaren Kapazität von knapp 26.000 Zuschauern, konnte ich meine nervösen Bedenken allerdings schnell ad acta legen, da der Platz trotz durchgehender Bewässerung von oben einen hervorragenden Eindruck machte!
Für beide Clubs war das Pokal-Duell unter der Woche vermutlich eine willkommene Auszeit vom durchaus schwierigen Liga-Alltag. Während die Probleme bei Gastgeber Crystal Palace grösstenteils sportlicher Natur sind, muss man sich bei den krisengeschüttelten „Blauen“ aus Liverpool vor allem mit finanziellen Problemen auseinandersetzen, welche mit einem satten Abzug von 10 Punkten verbunden sind und einen existenzgefährdenden Absturz auf Platz 17 (einen Punkt vor dem ersten Abstiegsrang) verursachten.
Vor 24.489 Zuschauern, darunter starke 3000 Gästefans aus dem 370 Kilometer entfernten Liverpool, waren die Gäste während der 90 Minuten vielleicht nicht die bessere, aber die optisch überlegene Mannschaft mit den etwas besseren Chancen. Speziell Toffees-Stürmer Dominic Calvert-Lewin hätte seine Mannschaft in der ersten Halbzeit in Führung bringen können, scheiterte aber zweimal am überragenden Eagles-Keeper Dean Henderson. Dass der Gast aus Everton am Ende mit dem torlosen Unentschieden vollends zufrieden sein konnte, lag übrigens auch an Stürmer Calvert-Lewin, der sich nach grobem Foulspiel, VAR-Entscheidung und Roter Karte nach 79 Minuten verabschiedete und Gastgeber Palace eine drückende Schlussphase bescherte.
So kommt es zum Wiedersehen in Everton…auch so eine Besonderheit in England, wo man sich vor einer Verlängerung und dem unvermeidbaren Elfmeterschießen erst einmal ein 90-minütiges Wiederholungsspiel gönnt! Von den bereits angesprochenen vier Amateurclubs schaffte es übrigens Sechstligist Maidstone United in die 4. Runde. Dort trifft man auf Zweitligist Ipswich Town und hofft auf die nächste Sensation!
In meinen Social-Media-Accounts bei Instagram und Facebook findet Ihr wie gewohnt bewegte Story-Bilder und Fotos aus London und dem Spiel im Süden der britischen Hauptstadt. Schaut doch einfach mal rein!
STAY TUNED…bleibt auf Empfang!