Die nordirische Hauptstadt Belfast ist trotz ihrer bewegten Geschichte alles andere als ein beliebtes Ziel für Touristen vom europäischen Festland! Dies liegt nicht nur an den weiterhin sehr begrenzten direkten Flugverbindungen aus dem deutschsprachigen Raum, sondern in erster Linie an dem gut zwei Autostunden von Belfast entfernten „Konkurrenten“ Dublin, welcher als Hauptstadt der Republik Irland den weitaus besseren Ruf genießt und damit trinkfreudige Touristen aus aller Welt anzieht!
Dabei liegt Belfast meines Erachtens mindestens auf dem gleichen Niveau und bietet gerade im Bereich der Pubszene tolle Örtlichkeiten an, die dem überbewerteten Dubliner Ausgehviertel „Temple Bar“ überlegen sind! Auch der kulturelle Anspruch kommt mit Sehenswürdigkeiten wie dem „Titanic Quarter“, dem ehemaligen Gefängnis „Crumlin Road Gaol“, dem St. George’s Market oder der imposanten City Hall in der 345.000-Einwohner-Metropole sicher nicht zu kurz!
Nach Ansicht meines UBER-Fahrers Brian liegt die touristische Zurückhaltung nach wie vor am sogenannten „Nordirland-Konflikt“, welcher zwar immer mal wieder aufflammt, aber offiziell seit 1998 beendet ist! Er konnte mir aber mit einem Lächeln glaubhaft versichern, dass der Krieg schon länger vorbei sei!
Auch als neutraler Fußballbeobachter kommt man in Belfast bei einem günstigen Spielplan voll auf seine Kosten, da mit Rekordmeister Linfield, dem Crusaders Football Club, Cliftonville oder Glentoran vier Erstligaclubs in der Hauptstadt beheimatet sind, welche zugleich als absolute Schwergewichte des nordirischen Fußballs gelten. Leider ist dieses Attribut ausschließlich auf die heimische Liga bezogen, da die nordirischen Clubs auf sportlich überschaubarem Niveau operieren und im internationalen Vergleich ein Schattendasein fristen.
Dies hat zur Folge, dass viele Menschen in Belfast lieber anderen Vereinen die Daumen drücken, die irgendwie „nah und doch so fern“ sind. Davon zeugen die offiziellen Fanshops von mehreren schottischen und englischen Premier League Clubs, welche auf der gesamten irischen Insel offensichtlich eine überdurchschnittlich große Fan-Base besitzen. Als Paradebeispiel gelten hier die beiden Glasgower Rivalen Celtic und Rangers, welche im Norden Irlands selbstverständlich auch die immens wichtige politische und religiöse Komponente bedienen. Zudem findet man in Belfast viele Anhänger des Liverpooler Fußballs, da „Anfield Road“ (Liverpool FC) und „Goodison Park“ (Everton) „nur“ am gegenüberliegenden Ufer der irischen See liegen!
Glücklicherweise hat der nordirische Fußball auch ganz viele positive Aspekte zu bieten, die man im oft „klinisch reinen“ westeuropäischen Festland-Fußball gar nicht mehr so oft findet. Damit meine ich in erster Linie die fußballbegeisterten Menschen, die allein wegen des Spiels ins Stadion gehen und nicht nur anwesend sind, um fortwährend Selfies zu knipsen oder das Trikot ihres überbezahlten Lieblingsspielers mit einem Pappschild zu erhaschen. Dazu gibt es in Nordirland unfassbar traditionelle Stadien, die man selbst im englischen Bruder- und Mutterland des Fußballs nur noch sehr selten findet und einen Menschen in meinem Alter sofort in die Jugendzeit katapultieren.
Das schönste Stadion bietet hierbei der 1882 gegründete Glentoran FC, der mit seinem „Oval“ bei ganz vielen Fans die Sehnsucht nach der guten alten Fußballzeit befriedigt. Nicht umsonst nimmt das Stadion bei vielen Groundhoppern einen absoluten Spitzenplatz ein und muss auf der „To Do-Liste“ abgehakt werden. Auch ich war nach Betreten des Vorplatzes durch die charakteristischen „Turnstiles“ hin und weg. Was für eine geile alte Kiste, die zu gleichen Teilen heruntergekommen, aber auch gut in Schuss war!
In der 1. Runde der Qualifikation zur UEFA Europa Conference League traf Glentoran im Rückspiel auf den maltesischen Vertreter Gzira United. Bereits das Hinspiel auf der kleinen Mittelmeerinsel zeigte die sportlichen Probleme des nordirischen Vereinsfussballs ungeschminkt auf und endete mit einem dünnen bzw. leistungsgerechten 2:2-Unentschieden. Dementsprechend mussten die grün-rot-schwarzen Glentoran-Mannen nun unbedingt gewinnen, wenn der Traum von der Gruppenphase nicht allzu früh sterben sollte. Dabei wurde die Mannschaft von Trainer Warren Feeney von ihren Fans nicht im Stich gelassen. Zum Einlauf beider Teams waren beide Sitzplatztribünen des Ovals etwas unerwartet „pickepackevoll“. Dementsprechend konnte ich die offiziell angegebene Zuschauerzahl von 3200 Besuchern nur bedingt glauben!
Das Endergebnis dieses nordirisch-maltesischen Fußball-Vergleiches hätte in Deutschland vermutlich nicht einmal den hartgesottensten Fußball-Fan interessiert, wenn da nicht die Slapstick-Einlage von Gzira-Torhüter David Cassar gewesen wäre, welche mit dem dazugehörigen TV-Kommentar von Aaron Agnew zum viralen Hit wurde! Was aber war das bitte für eine magische Europapokal-Nacht, die in Sachen Stimmung und Spielverlauf dem im Glentoran-Wappen verewigten französischen Vereinsmotto in vollem Umfang entsprach: „Le jeu avant tout“ bedeutet „Das Spiel vor allem anderen“!
Letztlich gab es so viele Höhepunkte, dass ich jetzt kurzfristig in den Stichwortmodus umschalte:
– Überlegene Gastgeber vergeben früh einen Foulelfmeter!
– Aufopferungsvoll kämpfende Malteser gehen mit ihrer einzigen gefährlichen Offensiv-Aktion durch den Brasilianer Macula überraschend in Führung!
– Die Hausherren zeigen sich bei ihren zahlreichen guten Chancen äußerst ineffektiv und scheitern immer wieder am überragenden maltesischen Torhüter Cassar!
– Dann belohnt sich der Glentoran FC für den Aufwand und gleicht in der 5. Minute der Nachspielzeit zum 1:1 aus! Der norwegische Schiedsrichter erkennt das Tor nach langer Diskussion aber nicht an und verursacht mit seiner Entscheidung eine zünftige Rudelbildung im Bereich der Trainerbänke!
– In der 13. Minute der Nachspielzeit fällt der vielumjubelte Ausgleich für Glentoran dann doch noch, ausgerechnet durch den vorherigen Elfer-Fehlschützen Bobby Burns!
Was an Höhepunkten normalerweise für zwei Spiele reicht, war gestern auch nach der Verlängerung noch lange nicht das Ende! Es kam zu einem epischen Elfmeterschießen mit 28 Elfmetern und einer Aktion, die es auf professionellem Niveau eigentlich gar nicht geben kann.
Als Cassar den 24. Elfmeter von Donnelly hielt und sich jubelnd in Richtung Mittellinie aufmachte, hätte er möglicherweise lieber den Ball im Auge behalten. Der kullerte mit viel Drall doch noch ins Tor und sorgte bei den Zuschauern für eine Mischung aus Erleichterung und Schadenfreude! Am Ende gewannen die Gäste aus Malta den „Shoot-Out“ trotz der Einlage ihres Keepers mit dem unfassbaren Resultat von 14:13, da David Cassar noch einmal lieferte und den 28. Elfmeter von Glentorans Boyd hielt!
Auch abseits des Spielfeldes gab es eine bemerkenswerte Aktion, die zeigt, dass man glühende und vor allem friedliche Fans nicht immer unnötig disziplinieren muss.
Im Vereinigten Königreich ist die Sehnsucht nach einem Stadion-Stehplatz nach wie vor sehr groß. Auch wenn der Gebrauch von vorhandenen Stehplatz-Rängen in der „NIFL Premiership“ grundsätzlich möglich ist, untersagte der europäische Fußballverband UEFA für das Europapokalspiel die Nutzung der richtig schönen alten Kurve mit den frisch gestrichenen Wellenbrechern.
Aufgrund der baulichen Gegebenheiten war die weitläufige „Oldschool-Kurve“ allerdings nicht vollständig abzuriegeln. Sonst hätte nämlich niemand von der Sitzplatz-Gegentribüne zur Toilette, dem Catering oder gar zum Ausgang gelangen können! Deshalb stellten die Verantwortlichen im oberen Bereich einfach rot-weisse Pylonen auf und achteten mit einer Ordner-Armada minutiös darauf, dass alle in Bewegung sind und niemand auf dem Stehplatz stehen bleibt!
Dies funktionierte zumindest bis zum Elfmeterschießen ganz gut…dann gab es überhaupt kein Halten mehr! Die Kurve wurde wie bei einer friedlichen Revolution einfach übernommen! Hierbei erinnerten die Ordner an die überforderten DDR-Grenzer, die gegen die drückende Übermacht aus Ost-Berlin einfach keine Chance hatten!
Bewegte Story-Bilder vom unendlichen Elfmeterschießen und dem Ausgleich in der 13. Minute der Nachspielzeit findet Ihr wie gewohnt auf meinen Plattformen bei Facebook und Instagram. Dazu gibts jede Menge Fotos! Ich freue mich über Euren Besuch und jedes „Like“! Herzlichen Dank für das Interesse an meinem Blog!
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