Sturm, Starkregen und ein unbespielbarer Platz in der 3. Runde des englischen FA-Cup. Bereits bei der morgendlichen Anfahrt in die 8000-Seelen-Gemeinde Nailsworth konnte man erkennen, dass die vergangene Nacht ungewöhnlich feucht gewesen sein muss.
Obwohl es zu diesem Zeitpunkt nur noch leicht regnete, war die idyllische Landstraße an vielen Stellen überflutet und ließ nur einspurigen Straßenverkehr zu. Bei Ankunft am Stadion des Drittligisten Forest Green Rovers durfte ich in der Folge zumindest drei Protagonisten des anstehenden Pokalspiels bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen.
Schiedsrichter Samuel Allison und seine Assistenten entschieden sich nach einer intensiven Platzbegehung für die kurzfristige Absage, die bei vielen eintreffenden Fans aus dem 130 Kilometer entfernten Birmingham für Verwunderung und Frust sorgte. Der Platz im Stadion The New Lawn war aufgrund der nächtlichen Wetterkapriolen auch knapp zwei Stunden vor Beginn des Pokalkampfes einfach nicht bespielbar. Dies bedeutete für mich, dass sich Geschichte gelegentlich wiederholt. Eine kurz vor Anpfiff abgesagte Spielpaarung erlebte ich das letzte Mal vor ziemlich genau 26 Jahren, als ich an einem nasskalten Dienstagabend im Februar 1997 den weiten Weg zum Hamburger Millerntor-Stadion auf mich nahm. Dort sollte mein VfL Bochum 1848 in der 1. Fußball Bundesliga auf Platzhirsch FC St. Pauli treffen. Dummerweise wütete Sturmtief „Caroline“ kurz vor Anpfiff und sorgte für starke Beschädigungen am Dach des damals baufälligen Stadions. Im Rahmen einer stark verspäteten Überprüfung des Bauamtes wurde die Partie rekordverdächtige 28 Minuten vor Anpfiff abgesagt. Nach einem opulenten Mahl in einem chinesischen Restaurant auf der Reeperbahn ging es direkt zurück nach Hause.
Mit der aktuellen Spielabsage bei den Forest Green Rovers bleiben all die Fakten und Eindrücke über den ersten veganen Fußballclub der Welt vorerst in meiner imaginären Schublade. Eines steht aber fest…aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Nach der herben Enttäuschung in der Grafschaft Gloucestershire existierte aufgrund des geplanten Anstoßes zur „frühen“ Mittagszeit wenigstens die Chance auf ein „späteres“ Alternativspiel an einem anderen Ort.
Schließlich gab es im Mutterland des Fußballs auch an diesem Wochenende eine Flut von professionellen Spielen der EFL, dem FA Cup oder des Non-League-Oberhauses, der National League.
Während ich die insgesamt 37 Spiele nach Entfernung und Ticketverfügbarkeit sortierte, musste ich mir schnell eingestehen, dass meine Lage im Südwesten des Landes alles andere als optimal war. Immer mehr Spiele fielen weg, da sie aufgrund der unvernünftigen Fahrzeit oder der geringen Ticketchancen mehr als fraglich erschienen.
Letztlich ging es über die Autobahn M4 zurück in den Großraum der britischen Hauptstadt London, wo mit Abstand die meisten Spiele des späten Nachmittags auf dem Tableau standen! Hier fiel die Wahl auf das Duell zwischen fünfter und dritter Liga, das zwar nicht den ganz großen Fußball offenbarte, das Herz eines Fußball-Romantikers aber definitiv schneller schlagen ließ.
Die gut 20 Kilometer nördlich des Londoner Stadtzentrums gelegene Gemeinde Borehamwood ist eine dieser bereits angesprochenen Vorstädte, die auf dem Papier zwar eigenständig erscheinen, aber letztlich auch irgendwie von dieser Weltstadt mit ihren fast neun Millionen Einwohnern aufgefressen wurden.
Der örtliche Fünftligist Boreham Wood Football Club feierte in der vergangenen Saison seinen vermeintlich größten Erfolg, als als man in der Hauptrunde des traditionsreichen FA Cup zunächst gegen Drittligist AFC Wimbledon siegte und danach den späteren Erstliga-Aufsteiger AFC Bournemouth sensationell aus dem Wettbewerb kegelte. Erst im Achtelfinale unterlag man Premier League-Club FC Everton auswärts knapp mit 0:2 und ließ sich voller Stolz von den eigenen mitgereisten Fans ausgiebig feiern.
Das war rückblickend „ganz großes Kino“ des kleinen Clubs, der in seiner 74-jährigen Vereinsgeschichte nie das professionelle Niveau der ersten vier englischen Ligen erreichen konnte. Die Underdog-Story passte perfekt zur eigenen Heimatstadt, die über Jahrzehnte als britisches Hollywood galt und in ihren Filmstudios den „Stoff zum Träumen“ produzierte. Während in der Vergangenheit Filme wie „Indiana Jones“ oder „Star Wars“ in Borehamwood vom Stapel liefen, gibts heute nur noch die britischen Versionen von „Big Brother“ und „Wer wird Millionär“ mit dem englischen Günther Jauch namens Jeremy Clarkson.
In der diesjährigen Ausgabe des ältesten Pokalwettbewerbs der Welt setzte sich Boreham Wood in den ersten beiden Hauptrunden zunächst gegen Ligakonkurrent Eastleigh FC und Drittligst Bristol Rovers durch. In der dritten Hauptrunde, in welcher traditionell auch die Clubs der Premier League hinzustoßen, zog man mit dem Drittligisten Accrington Stanley ein durchaus machbares Los.
Im mit zweitausend und genau einem Zuschauer gut gefüllten Meadow Park ging der Favorit aus dem Großraum Manchester nach einem langen Einwurf und anschließendem Gewühl im Strafraum durch Astley früh in Führung (6.). In der Folge reichte es für „Stanley“ lange Zeit, das Ergebnis mit minimalem Aufwand zu verwalten. Erst als „The Wood“ bei einsetzendem Sprühregen bemerkte, dass der Drittligist gar nicht so übermächtig ist wie er tut, wurde es ein mitreissendes Spiel. Das Heimteam aus der National League belohnte sich mit dem verdienten Ausgleich durch Ndlovu, der eine Flanke per Kopf in die Maschen beförderte (78.). Letztlich blieb es beim 1:1-Unentschieden, bei dem das Wiederholungsspiel am kommenden Dienstag in Accrington einen Sieger finden sollte. Der Gewinner trifft in der vierten Hauptrunde übrigens zu Hause auf den Sieger des Duells Cardiff City gegen Leeds United. Das schreit für Boreham Wood doch förmlich nach einer neuen Underdog-Episode im FA Cup.
Auch wenn das ausgefallene Match in Nailsworth letztlich eine Träne im Gesicht hinterließ, war das Duell im Norden Londons eine hervorragende Alternative. Allein das Stadion „Meadow Park“ ist der perfekte Ort, um englische Non-League-Fußball-Atmosphäre aufzuschnappen. Genau so stellt sich der Laie ein kleines englisches Stadion vor. Begeisterungsfähige Fans auf der Stehplatz-Tribüne hinter dem Tor, bei strömendem Regen ein „Bovril-Drink“ in der Hand und Sitzplatz-Tribünen, auf denen man den Akteuren beim Einwurf auf die Schulter klopfen kann.
Wer auf solch ein Stadion auch mal Lust hat, aber lieber UEFA Champions- als Non-League sehen möchte, der kommt ebenfalls nicht zu kurz. Auch die äußerst erfolgreiche Arsenal-Frauenmannschaft nutzt den Meadow Park für ihre nationalen und internationalen Auftritte.
Das Ausgleichstor und viele andere Eindrücke aus Borehamwood gibts übrigens in bewegten Story-Bildern in meinem Instagram-Account. Schaut mal rein und lasst ein „Like“ da.
STAY TUNED…bleibt am Ball