Auf der Suche nach der beliebtesten Sportart Thailands kommt man an der traditionellen Kampfkunst „Muay Thai“ zunächst nicht vorbei. Die im 16. Jahrhundert erschaffene Kampfsportart ist thailändisches Kulturgut und wird dem interessierten Touristen in so ziemlich jedem Urlaubsort tatkräftig präsentiert. Dementsprechend ist es durchaus überraschend, dass „König Fußball“ seinen etwas ungleichen Konkurrenten mittlerweile im Vollkontakt „aus dem Ring“ werfen konnte und in der Gegenwart als unangefochtene Sportart Nr. 1 des südostasiatischen Landes gilt.
Da Sportarten ihre heimische Popularität vor allem durch Erfolge steigern können, ist der andauernde Siegeszug des Fußballs in Thailand fast schon kurios, da weder die thailändische Nationalmannschaft, noch die Vereine des inländischen Clubfussballs in den überregionalen Wettbewerben des asiatischen Fußballverbandes AFC sowie des Weltverbandes FIFA zuletzt irgendetwas wichtiges gewinnen konnten. Während der mittlerweile aufgelöste Club „Thai Farmers Bank FC“ als bislang einziger thailändischer Verein vor fast 30 Jahren die asiatische Champions League gewinnen konnte, sieht es für die Nationalmannschaft noch etwas trostloser aus.
Die sogenannten „Kriegselefanten“ konnten sich noch nie für eine Fußball-Weltmeisterschaft qualifizieren und nehmen an den globalen Asienmeisterschaften aufgrund der beschränkten Leistungsfähigkeit auch nur gelegentlich teil. Als grösster Erfolg der thailändischen Fußball-Nationalmannschaft gelten die insgesamt sieben Titel bei den lokal begrenzten Südostasienmeisterschaften, welche mit Teilnehmern wie Kambodscha, Malaysia oder Ost-Timor sicher nicht das höchste sportliche Niveau bieten und in der Rangfolge der internationalen Titel nur wenig Prestige besitzen.
Diese ständig steigende Lust auf Fußball im ehemaligen Siam ist letztlich mit einer Taxifahrt in Chiang Mai zu erklären, welche mich nach einem Spiel des örtlichen Zweitligaclubs zurück ins Stadtzentrum der zweitgrössten Stadt Thailands führte.
Nach Zustieg in das E-Fahrzeug des chinesischen Herstellers „Nio“ fragte mich mein Fahrer auf dem riesengroßen, aber auch menschenleeren, Stadionparkplatz in gebrochenem Englisch, was ich in dieser abgelegenen Gegend machen würde. Ich deutete auf das Stadion mit seinen hell erleuchteten Flutlichtern und entgegnete das Universalwort „Football“. Daraufhin fragte mich der sympathische Kutscher mit dem Namen „Kanok,“ wer denn hier heute gespielt habe.
Ich vermutete, dass der junge Mann nicht allzu viel mit Fußball am Hut hat und antworte mit „ChiangMai United, Second League Thailand“. Auch wenn ich nun mit einen abrupten Ende des üblichen Small-Talks rechnete, outete sich der junge Mann urplötzlich als Fußballfan und befragte mich nach Klärung der Nationalität zu meinem deutschen Lieblingsclub. Da der deutsche Fußball im Ausland oftmals auf den FC Bayern München oder Borussia Dortmund reduziert wird, fragte ich fast schon schüchtern „Do you know VfL Bochum 1848“? Sofort konnte ich im Rückspiegel erkennen, wie sich die Miene von Kanok mit Mitleid füllte. Wie aus der Pistole geschossen sagte er „Oh, i am sorry, they are on the bottom of the table“.
Ich konnte es wirklich nicht glauben. Wie groß muss die Chance sein, in Thailand auf einen Taxifahrer zu stoßen, der weiß, dass der VfL Bochum momentan auf dem letzten Platz der Bundesliga steht und eine absolute Horror-Saison spielt. Da Kanok sein Expertenwissen offenbarte, wurde es jetzt ein völlig anderes Gespräch. Die folgenden 20 Minuten waren ein Feuerwerk der Anglo-thailändischen Konversation, in welcher mir Kanok selbstverständlich seinen Lieblingsclub offenbarte. Der kommt übrigens nicht aus Thailand, sondern aus dem fast 10.000 Kilometer entfernten England und heisst Liverpool FC.
Und genau jetzt sind wir voll im Thema. Der thailändische Fan interessiert sich sehr für Fußball, solange er in Europa gespielt wird. Neben punktuellem Interesse am deutschen Fußball steht einmal mehr die englische Premier League im Vordergrund, welche mittlerweile eine echte Weltliga ist und mit einem unfassbar effektiven Marketing-Konzept die gesamte Erdkugel erobert hat.
Am Beispiel des angesprochenen Liverpool FC bedeutet dies, dass der Club von der „Merseyside“ allein in Thailand mehrere eigene Fanshops unterhält. Mit Ladenlokalen in den exklusivsten Shopping-Centern von Bangkok, Phuket, Pattaya und Chiang Mai machen sich die Reds für ihre Thai-Fans tatsächlich nahbar und bieten das komplette Trikot- und Merchandise-Programm, um die Spiele am späten Abend oder zur Nachtzeit standesgemäß vor dem TV verfolgen zu können. Da sich nach groben Schätzungen und einer Social-Media-Auswertung ungefähr fünf Millionen Menschen in Thailand als Fans des „Liverpool Football Club“ bezeichnen, dürfte die Bilanz der offiziellen LFC-Thai-Fanshops am Ende der Saison mehr als positiv sein!
Aufgrund der fast schon unheimlichen Vorliebe für den englischen und ausländischen Fußball finden sich in den Stadien der professionellen und semi-professionellen Clubs des thailändischen Ligensystems oft nur wenige Zuschauer ein. Während der in der Provinz beheimatete Serienmeister Buriram United aufgrund seiner vergleichsweise großen Anhängerschaft eine Ausnahme bildet und in seinem modernen Fußballstadion über fünfstellige Zuschauerzahlen verfügt, liegt der Gesamtschnitt in den oft baufälligen Stadien der ersten Liga lediglich im mittleren vierstelligen Bereich.
Von diesen Zuschauerzahlen konnte der bereits erwähnte Zweitligist Chiangmai United an diesem lauen Sonntagabend nur träumen. Zum sportlichen Vergleich mit Kontrahent Samut Prakan City fanden sich freundlich geschätzte 250 Unentwegte im völlig überdimensionierten „Stadion des 700. Geburtstags Chiangmais“ ein. Die bekamen ein Spiel zu Gesicht, das auf dem völlig ramponierten Rasen maximal auf deutschem Oberliga-Niveau operierte. Bei Abpfiff von Schiedsrichter Kriangkrai Thiphanunjarukorn konnten die Gastgeber durch Tore des deutschen Legionärs Arnold Suew (30.) und Varintorn Watcharapringam (44.) einen wichtigen 2:1 (2:0)-Sieg einfahren, welcher den Gast aus der Vorstadt Bangkoks in arge Abstiegsnöte beförderte.
Auch wenn der dargebotene Fußball von Chiangmai United nicht einmal ansatzweise an die Zauberei von Mo Salah und Co. herankam, sollte der ein oder andere Fußballfan aus Chiang Mai vielleicht doch einmal einen echten Stadionbesuch in Erwägung ziehen. Dort dürfte er in erster Linie die günstigen Eintritts- und Trikotpreise zu schätzen wissen, die eher zum thailändischen Gehaltsgefüge passen. Während das originale Liverpool-Shirt eines amerikanischen Herstellers auch in Thailand mit knapp 100 Euro ein absolutes Statussymbol darstellt und vermutlich nur für die oberen Zehntausend finanzierbar ist, gab es die farbenfrohen Shirts von Chiangmai United für knapp 20 Euro. Dazu ist Live-Fußball am Abend immer schöner als eine nächtliche TV-Session.
Wie gewohnt gibts weitere Fotos und ein paar bewegte Story-Bilder aus Chiang Mai in meinen Social-Media-Accounts bei Instagram und Facebook. Die spirituelle Metropole in den Bergen ist vor allem für ihre insgesamt 117 buddhistischen Tempel bekannt, von denen viele in den engen Gassen der historischen Altstadt angesiedelt sind. Obwohl Chiang Mai auf Deutsch „Neue Stadt“ heißt, ist sie bereits über 700 Jahre alt. Der „neue Name“ stammt letztlich aus der Zeit des Königreiches „Lan Na“, welches die alte Hauptstadt Chiang Rai im Jahr 1296 aufgab und das knapp 200 km entfernte Chiang Mai gründete!
Aus der sogenannten „Perle des Nordens“ ging es mit dem Nachtzug zurück in die Hauptstadt Bangkok. Selbstverständlich rollte auch hier der Ball!
STAY TUNED…bleibt auf Empfang!