Als der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe im Rahmen seiner fast zweijährigen Italien-Reise die kampanische Metropole Neapel erreichte, muss er so begeistert gewesen sein, dass er sich zu einer Aussage hinreißen ließ, die knapp 240 Jahre später als ultimative Liebeserklärung für den perfekten Ort gilt. Mit dem Sprichwort „Vedi Napoli e poi muori“, frei übersetzt „Neapel, sehen und sterben“, beschreibt man besondere Orte auf dieser Welt, die so mitreissend sind, dass es nach dem Besuch eigentlich keine Steigerung mehr geben kann!

Wer jetzt auf einen romantischen Reisebericht aus Venedig, Paris, Brügge oder Hawaii gehofft hat, wird sicherlich bitter enttäuscht sein. Im Fokus steht eine thailändische Kleinstadt, von der selbst der routinierteste Thailand-Tourist vermutlich nie etwas gehört hat. Bereits beim Boarding des morgendlichen Air Asia-Fluges in die thailändische Provinzhauptstadt Buriram blieben mir die vielen irritierten Blicke der einheimischen Mitreisenden am Abflug-Gate des Flughafens Bangkok-Don Mueang nicht verborgen. Die waren offensichtlich mit der Frage verbunden, was der langnäsige Europäer überhaupt in der 28.000-Einwohner-Gemeinde nahe der kambodschanischen Grenze will.

Um es an dieser Stelle direkt vorweg zu nehmen…die Frage war absolut berechtigt! In Buriram gibt’s überhaupt keine touristische Infrastruktur, welche einen Besuch rechtfertigt, der länger als sechs Stunden andauert. Die wenigen ausgewählten Sehenswürdigkeiten wie das „Buriram Castle“, der Waldpark am erloschenen Vulkan „Kradong“ oder das „King Rama I“-Monument sind zwar sehr nett anzuschauen, waren aber nichts für eine nachhaltige Sightseeing-Tour! Selbst an der Rezeption meines Hotels reagierte man sichtlich ratlos, als ich nach Sehenswürdigkeiten fragte, die man sich im Stadtzentrum unbedingt angeschaut haben sollte. Nach kurzer Beratschlagung entschied man sich mit asiatischer Freundlichkeit für die Empfehlung einer zugegeben recht schicken Shopping-Mall mit dem passenden Namen „Robinson Lifestyle“.

Dass der Besuch im etwas verschlafenen, aber sehr herzlichen Buriram am Ende doch ein richtiger Volltreffer wurde und noch lange in meinem Gedächtnis bleiben wird, liegt mittelbar an dem durchaus streitbaren thailändischen Politiker Newin Chidchob. Der 66-jährige Multimillionär machte aus Buriram die absolute Fußball-Hauptstadt Thailands, in der man an jeder Ecke und jedem Winkel der Stadt auf Einwohner stösst, die eines der insgesamt fünf aktuellen Trikots des heimischen Serienmeisters Buriram United mit großem Stolz tragen!

Die vergleichsweise junge Geschichte des Clubs begann 2009, als Chidchob den im Großraum Bangkok beheimateten Erstligisten „Provincial Electricity FC“ übernahm und umgehend einen Umzug in seine gut 400 Kilometer entfernte Heimatprovinz Buriram vorantrieb. Nach endgültiger Umbenennung des Clubs in „Buriram United“ startete eine Erfolgsserie, die von den anderen thailändischen Clubs in naher Zukunft vermutlich nicht nachhaltig unterbrochen werden dürfte. Mit der großzügigen finanziellen Unterstützung des ehemaligen Handelsministers konnte der Club „aus dem Nirgendwo“ in der Folge nicht nur zehn Meisterschaften bzw. sechs Pokalsiege feiern, sondern verfügt mit der eigenen „Chang-Arena“ mittlerweile auch über das grösste reine Fußballstadion Thailands.

Auch wenn sich die Vereinsgeschichte stark nach unbeliebtem Retorten-Club und einem Spielzeug für Millionäre anhört, muss man an seine eigene Bewertung etwas differenziert herangehen. Obwohl „König Fußball“ in Thailand schon immer sehr populär war, gibt es kaum Vereine mit echter Tradition. Dies liegt in erster Linie an den Strukturen der Thai-Clubs, die entweder in den staatlichen Händen der Regierungsbehörden liegen oder von finanzstarken Unternehmen geführt werden, die gerne mal den Namen oder Standort des Clubs nach ihren eigenen Vorstellungen -ähnlich der amerikanischen „Franchise“-Methode- ändern. Was in Deutschland vermutlich zu monatelangen Revolten und Straßenschlachten führen würde, nimmt der thailändische Fußballfan nach leisem Aufbegehren am Ende mit entspannter Gelassenheit hin.

Im Vergleich zu den völlig unbeliebten europäischen Retorten- und Werksvereinen funktioniert das „System Buriram“ allerdings hervorragend. Während die deutschen „Automobil- und Software“-Clubs über leere Stadien klagen, pilgern in der Kleinstadt Buriram im Durchschnitt über 20.000 Menschen zu den Heimspielen von United. Eine Zahl, die für thailändische (Fußball-)Verhältnisse nahezu unfassbar ist und belegt, wie groß der Hunger nach professionellem Fußball in der strukturschwachen Region Buriram ist. Die Popularität von Buriram United ist allerdings nicht nur auf die Heimatprovinz beschränkt. Auch im weit entfernten Bangkok kann man das blaue Heimtrikot sowohl in der gefälschten Replika-Version als auch im Original an fast jeder Ecke erwerben, da der Verein aufgrund seiner internationalen Präsenz mittlerweile als Aushängeschild des thailändischen Clubfußballs gilt.

Dementsprechend fallen alle paar Wochen nun sogar echte Fußball-Touristen in eine Stadt ein, die sich vor ein paar Jahren vermutlich nicht einmal vorstellen konnte, dass es Menschen gibt, die tausende Kilometer für Fußballspiele zurücklegen. Als Belohnung gibt es authentische Einblicke ins thailändische Leben, die ein normaler Thailand-Urlauber an Hotspots wie Phuket vermutlich nur schwer nachvollziehen kann. Auch für die angereisten „Frontale“-Fans aus der über 4000 Kilometer entfernten japanischen Großstadt Kawasaki muss der Trip ins kleine Buriram ein echtes Abenteuer gewesen sein. Nach der Ankunft am örtlichen Airport, der an einem ganzen Tag lediglich zwei landende und startende Flugzeuge sieht, zeigte man sich ob des Fehlens der üblichen Taxen und Mietwagen sehr erstaunt. Dementsprechend war man umso glücklicher, dass man von freundlichen Einheimischen einfach auf die Ladefläche von mehreren Pick-Ups aufgeladen und ins Stadtzentrum verfrachtet wurde.

Um Spannung und Qualität im höchsten kontinentalen Pokalwettbewerb zu steigern, schloss sich der asiatische Fußballverband AFC der Idee seines europäischen Pendants an und stellte die Vorrunde der „AFC Champions League Elite“ auf den sogenannten „Ligamodus“ um. In der asiatischen Königsklasse verzichtete man wegen der großen Entfernungen allerdings auf eine Zusammenführung aller 24 Teilnehmer, um dem usbekischen Meister beispielsweise eine 10.000-Kilometer lange Reise an die australische Ostküste zu ersparen! Deshalb gibts zwei Gruppen mit jeweils 12 Teams, welche nach geografischen Gesichtspunkten aufgeteilt wurden!

In der Ost-Gruppe traf der thailändische Rekordmeister am 5. Spieltag auf den bereits angesprochenen J-League-Club Kawasaki Frontale. Bevor es in der „Donnerburg“ von Buriram losgehen sollte, kam es auf der Haupttribüne zu einem Wiedersehen mit dem ehemaligen Bochumer Zweitligaprofi Yusuke Tasaka. Der 39-jährige Japaner, der aktuell als Scout für „Frontale“ arbeitet, war sichtlich überrascht, dass er tatsächlich wiedererkannt und an seine Zeit im Ruhrstadion erinnert wurde.

Nachdem Burirams allgegenwärtiger Clubchef Newin Chidchob das heimische Publikum höchstpersönlich einpeitschte, zeigte sich bereits bei den Aufstellungen die Transfer-Philosophie beider Teams. Während in der Startelf des vierfachen japanischen Meisters mit dem südkoreanischen Torhüter Sung-Ryong Jung und dem brasilianischen Stürmer Erison nur zwei ausländische Spieler standen, sah die Startelf von Buriram nach Weltauswahl aus. Mit Spielern aus England, Australien, Südkorea, Belgien, Serbien, Brasilien und den Philippinen ging es in eine Partie, die vor etwas mehr als 16.000 Zuschauern lange Zeit ausgeglichen war und von der Spannung lebte. Mitte der zweiten Halbzeit wurde der Gast aus Kawasaki allerdings immer stärker und ging durch ein Traumtor des japanischen Nationalspielers Sota Miura in Führung, der eine Flanke per Volleyabnahme im Tor versenkte (79.).

Um wenigstens einen Punkt zu sichern reagierte Burirams brasilianischer Trainer Osmar Loss umgehend und wechselte mit Bissoli und Chrigor die nächsten zwei Landsleute ein. Mit soviel Samba auf dem Feld kam der Gast aus Kawasaki allerdings weitaus besser klar und konterte kopflos anrennende Gastgeber eiskalt aus. Am Ende wurde es mit zwei weiteren Toren in der Nachspielzeit (Daiya Tono 90+4, Soma Kanda 90+7) richtig happig und hinterließ ratlose Heimfans, die das „Thundercastle“ mit dem Abpfiff des saudi-arabischen Schiedsrichters Mohammed Khaled Al-Hoaish fluchtartig verließen. Trotz der bitteren 0:3 (0:0)-Niederlage besitzt Thailands Fußballstolz noch alle Möglichkeiten, in die Finalrunde der „AFC Champions League Elite“ einzuziehen. Die wird übrigens im Mai 2025 in Turnierform in Saudi-Arabien ausgespielt.

Ich gönnte mir zum Abschluss einer schönen Champions League-Nacht und abendlichen Temperaturen von 30 Grad Celsius eine eiskalte Dose Chang-Bier, auf welcher der Schriftzug mit grünem Klebeband akkurat verdeckt wurde. Passte halt nicht zu den Sponsoren der „AFC Champions League Elite“ und zeigt einmal mehr, wie irre die Fußballwelt manchmal ist, wenn fleissige Hände an hunderten Bierdosen das Sponsorenlogo abkleben müssen.

Das war der Auftakt einer dreiwöchigen Reise durch Thailand! Weitere Eindrücke und bewegte Story-Bilder aus dem fußballerischen Epizentrum des südostasiatischen Landes findet Ihr selbstverständlich in meinen Social-Media-Accounts bei Instagram und Facebook! Würde mich freuen, wenn Ihr mal reinschaut!

STAY TUNED…bleibt auf Empfang!