Trotz meiner nachgewiesenen Fußballreiselust führte mich mein Weg bis zum Jahre 2012 nie zu unseren Nachbarn nach Polen. Dort kam es aufgrund der damals stattfindenden Fußball-Europameisterschaft zum Erstkontakt mit der Stadt Danzig. Obwohl mir dieser kleine Ausflug zum Viertelfinalspiel Deutschland gegen Griechenland richtig gut gefiel, gingen drei weitere Jahre ins Land, bevor ich den nächsten Fuß auf polnischen Boden setzte.
Im Mai 2015 ging es anlässlich des Endspieles der UEFA Europa-League mit der polnischen Airline LOT zum „Chopina“-Flughafen der Hauptstadt Warschau. Dort spielte der spätere Seriensieger Sevilla FC gegen den ukrainischen Underdog mit dem wahrscheinlich unaussprechlichsten Namen der Fußballgeschichte: FC Dnipro Dnipropetrovsk!
Das Spiel fand im neu erbauten polnischen Nationalstadion, dem PGE-Narodowy, statt. Der Ground befindet sich am Ostufer des Flusses Weichsel und ist aus der Altstadt hervorragend zu beobachten. Gerade am Abend, wenn das Stadion durch eine rot-weisse Beleuchtung in Szene gesetzt wird, wirkt es wie ein König, der über seiner Stadt thront.
Da meine Zeit im Jahr 2015 vorsichtig gesagt „ein wenig begrenzt war“ blieb letztlich nur ein wenig Zeit, die Standards abzuarbeiten. Neben den Sehenswürdigkeiten wie dem imposanten Kulturpalast nahe des Hauptbahnhofes Warszawa Centralna, dem Königsschloss und Präsidentenpalast in der aufwendig restaurierten Altstadt „Stare Miosta“ sowie dem Grabmal des unbekannten Soldaten blieb nur noch die Möglichkeit, die hervorragende und deftige polnische Küche zu genießen. Tatsächlich ein Genuss, wenn auch ein sehr schwerer für den nervösen Magen.
Das spanisch-ukrainische Duell war trotz des vielleicht etwas „unattraktiven“ Namens von Dnipro in der Folge ein toller Fußballabend mit jeder Menge Spektakel. Vor 45.000 Zuschauern siegte der hohe Favorit aus Andalusien recht mühevoll nach Rückstand mit 3:2. Obwohl die UEFA nach Spielende den Argentinier Ever Banega zum „Player of the match“ kürte, dürfte der meiste Dank der mitgereisten Sevilla-Fans auf den kolumbianischen Stürmer Carlos Bacca abgefallen sein, der den Underdog mit 2 Toren erlegte.
Zu Beginn des Jahres 2016 ging mein „Polen-Abenteuer“ dann schon langsam weiter. In meinem anderen Leben, dem Berufsleben, war der alljährliche Betriebsausflug zu planen. Nach einer Reise nach Newcastle im Jahr 2015 fiel die Stecknadel Dank meines polnisch sprachigen Kollegen „Piecho“ nach Abstimmung im Kreis meiner „Lieben“ auf Warschau. Ich gebe zu, dass ich mit dieser demokratischen Wahl zunächst nicht ganz glücklich war, da ich nach einer Tour gerne mal ein wenig zeitliche Distanz benötige, bevor ich erneut dort hin reise. Aber was solls, die Mehrheit hatte entschieden, es ging nur ein gutes Jahr später wieder nach Warschau.
Und diesbezüglich wäre ich ein sehr schlechter Fussballreisender, wenn ich vorab nicht die Möglichkeit geprüft hätte, ein Fußballspiel zu sehen. Bereits im Mai/Juni begann meine virtuelle Vorbereitung auf dem Computer. Ich machte mich zunächst einmal mit der polnischen Liga, der Ekstraklasa, vertraut. Natürlich kennt man Vereine wie KP Legia Warschau oder Lech Posen. Aber Vereine wie Jagiellonia Białystok oder Bruk-Bet Termalica Nieciecza sind hierzulande eher unbekannt. Und vor allem, welche dieser Mannschaften kommt denn überhaupt aus dem Großraum Warschau?
Zumindest diese Frage war relativ schnell zu beantworten. Die einzige erstklassige Mannschaft aus Warschau ist der amtierende Meister und ehemalige Armeeklub KP Legia Warszawa. Quasi, das aktuelle Aushängeschild des polnischen Fußballs. Jetzt musste nur noch der Spieltermin mit unseren Reiseplanungen übereinstimmen. Und das war im Vorfeld gar nicht so einfach zu vereinbaren. Denn wer in unserem deutschen Fußballsystem über kurzfristige Spielverlegungen und fanunfreundliche Termine meckert, der war höchstwahrscheinlich noch nie „Auswärts“ unterwegs. Gerade in Ost- und Südeuropa werden Spielansetzungen nur nach den Wünschen der jeweiligen Fernsehsender festgelegt. Kaum ein Spiel findet hier zeitgleich statt, damit jedes Spiel vom Fernsehen einzeln übertragen werden kann. Die in Deutschland sehr beliebte „Konferenz“ mit fünf oder sechs gleichzeitig stattfindenden Spielen ist in anderen Ländern völlig unattraktiv. Dies gilt leider auch für die polnische Ekstraklasa, in welcher die acht Partien des Spieltages von Freitag bis Sonntag zeitversetzt angepfiffen werden. Wir hatten mal wieder ein wenig Glück, da wir für das Spiel zwischen Legia und dem Team von Arka Gdynia die vermeintlich beste Anstoßzeit, Samstag um 20.30 Uhr, verbuchen konnten. Aber das soll in Deutschland für Teams wie Bayern München und Borussia Dortmund ja genau so sein und wird „Bwin Topspiel der Woche“ genannt.
Für den Kartenkauf begaben wir uns nach einer sehr intensiven Partynacht am Samstagnachmittag zum Stadion Wojska Polskiego im. Marszałka Józefa Piłsudskiego. Das „Stadion der polnischen Armee“ befindet sich ca. 2,5 km südlich der Altstadt, westlich des Flusses Weichsel. Bei der Arena handelt es sich um ein reines Fußballstadion mit einem Fassungsvermögen von gut 31.000 Zuschauern, welches in den Jahren 2008-2011 renoviert bzw. nahezu neu gebaut wurde. Ein nettes neuwertiges Stadion, welches von der UEFA mit 4 Sternen klassifiziert wurde.
Stichwort Kartenkauf in Polen. Auch hierzu muss man sich zunächst mit den Regularien auseinandersetzen. In vielen osteuropäischen Ländern ist Fangewalt durch Hooligans allgegenwärtig. Neben Ungarn hat sich auch Polen mit diversen Maßnahmen für ein recht striktes Durchgreifen gegen Gewalt im Stadion entschieden. Das bedeutet, dass man als Einheimischer zunächst eine personalisierte Fankarte, die „Karta Kibica“, benötigt. Mit dieser kann man ggf. online seine Karte kaufen. Auf der Karta Kibica sind Namen und die polnische Personalnummer vermerkt. Aber was macht ein Ausländer, der nur gelegentlich ein Spiel sehen möchte und natürlich auch keine polnische Personalnummer besitzt? Dem bleibt nichts anderes übrig, als persönlich am Ticketschalter zu erscheinen. Dort ist der Ankauf von Eintrittskarten dann aber recht einfach und effizient. Nach Vorlage des Personalausweises werden Namen und Passnummer auf der Eintrittskarte vermerkt. Auch die Eintrittspreise sind völlig im Rahmen, für einen Sitzplatz in bester Lage auf der Gegentribüne zahlten wir 70 Zloty pro Karte, also ca. 17 Euro. Wer dies übrigens auch mal erleben möchte, sollte ebenfalls einen Platz auf der Haupt- oder Gegentribüne wählen. Ich kann nur davon abraten, sich in den Legia-Fanblock zu stellen. Sicherlich sehr stimmungsvoll, aber für Ausländer bzw. Nicht-Legia-Fans auch nicht ganz ungefährlich.
Auf der anschließenden Taxifahrt in Richtung Hotel kamen wir dann mit Taxifahrer Piotr Szymanski ins Gespräch. Ein recht kurzweiliges Gespräch über Legia und die europäische Zukunft. Fangen wir mit Legia an. Piotr war offensichtlich ein sehr großer Fan und sagte, dass es bei dem heutigen Spiel richtig knallen dürfte. Dies begründete er damit, dass alle polnischen Hooligans während der vergangenen EM zusammenhielten. Nur die „SchwXXXX“ von Arka und Wisla Krakow hätten sich nicht an diese Regel gehalten. Deshalb würde man sich seitens Legia heute einmal revanchieren. Zudem fragte uns Piotr, ob wir tatsächlich Deutsche wären. Dies konnte er gar nicht glauben, da wir so „weiß“ wären und nicht wie Araber aussehen würden. Nun ja, wir hatten jedenfalls für alle Themenbereiche leichte Fragezeichen in den Augen.
Am Abend ging es dann zurück zum Stadion. Dort herrschte eine insgesamt lockere und friedliche Stimmung. Trotz vieler kahlrasierter und gut gebauter Sportsfreunde konnte man einen Besuch in der Fangastronomie unterhalb der Tribüne und dem ebenfalls sehr gut sortierten Fanshop auf jeden Fall schmerzfrei durchführen. Hier sollte man übrigens darauf achten, dass man kein Bier in den Außenbereich vor dem Stadion nimmt. In Polen herrscht auf öffentlichen Wegen und Straßen ein Alkoholverbot.
Der Einlass in den Stadion-Innenbereich ist ebenfalls sehr interessant. Die sehr freundlichen und zuvorkommenden Ordner möchten neben der Eintrittskarte auch den Personalausweis sehen. Dann erfolgt eine Kontrolle, die einer Einreisekontrolle der Bundespolizei ähnelt. Passfoto und Ausweisnummer werden mit Passinhaber und Eintrittskarte verglichen. Bei deutlich alkoholisierten Personen wird zudem ein Alkoholtest durchgeführt, bei welchem an diesem Abend sicherlich einige Menschen gescheitert sind.
Bevor wir jetzt zum Spiel kommen, möchte ich auch nochmal auf ein Video hinweisen, welches ich auf meiner Facebookseite „Henning Loves Football“ veröffentlicht habe. Es zeigt bekannte Funktionäre, Altherrenspieler und Co-Trainer aus dem Bereich des Fußballkreises Bochum. Dort kann man sehen, dass die Laune wirklich hervorragend war.
Aber nun zum Spiel. Schönes Wetter, Flutlicht und knapp 17.000 Zuschauer. Dazu ein Gegner, der trotz der Entfernung von gut 300 Kilometern von ca. 1000 Schlachtenbummlern in die Hauptstadt Polens begleitet wurde. Die befanden sich übrigens in einem hermetisch abgeriegelten Bereich mit Zaun, Pufferblock, Fangnetz und Plexiglasscheiben. Zudem gestattete man den Damen und Herren aus Gdingen offensichtlich nur die blosse An- und Abreise. Im Stadionumfeld bzw. Stadtbild waren sie überhaupt nicht zu sehen. Bei Gdynia, auf Deutsch Gdingen, handelt es sich um eine Küstenstadt an der Ostsee, nördlich der etwas bekannteren Stadt Danzig.
Nach Bekanntgabe der Aufstellungen war für mich klar, was an diesem Abend für Legia wichtig war. Einfach nur überleben und irgendwie gewinnen. Alles war nämlich ausgerichtet auf das weitaus wichtigere Spiel in der UEFA Champions-League gegen den irischen Meister Dundalk FC. Sämtliche Leistungsträger und Stars wie der polnische EM-Verteidiger Pazdan oder der ungarische Topscorer Nikolics sassen auf der Bank oder befanden sich nicht mal im Kader.
Für diese Art der Rotation gab es in dem Spiel dann auch die verdiente Quittung. Trotz einer optischen Überlegenheit von Legia zeigte sich die Mannschaft von Arka Gdynia weitaus effektiver und entführte in einem Spiel auf äußerst mäßigen Niveau die Punkte mit einem 3:1-Auswärtssieg aus der Hauptstadt. Hierbei schoss der eigentlich immer vorhandene unbekannte Brasilianer, der in seiner Heimat vermutlich nur Freizeitfussballer wäre, den Führungstreffer. Diesmal hatte der Mann den schönen Namen Marcus Vinícius da Silva de Oliveira. Einen klangvolleren Namen hat eigentlich nur der Trainer des SV Bochum-Vöde II, ein gewisser Timo Moschner. Das die Mannschaft von Arka die drei Punkte entführte, schien in der Legia-Fanszene so keinen wirklich zu interessieren, da man während der 90 Minuten einen eindrucksvollen Support ablieferte und vermutlich alles auf das Spiel in der Königsklasse ausgerichtet war. Nur die 1000 Arka-Fans feierten den Erfolg ein wenig frenetischer mit Bengalos, Fahnen und Rauch.
Nach dem Spiel ging es zurück in die sehr chillige Strandbar „Miami“, in welcher an diesem Abend eine „Outdoor-Disco“ stattfand. Es gibt definitiv schlimmere Orte auf der Welt als eine Strandbar an der Weichsel. Nur einer der sehr leckeren Cuba Libre muss schlecht gewesen sein.
Wer nun auch mal ein nettes Wochenende in Warschau verbringen möchte, dem kann ich für den Abend die Straße Mazowiecka empfehlen. Schöne Kneipen und Bierbars, nette Clubs wie das Room13 und mehrere Food-Trucks mit leckeren Burgern gegen den Kater.
Als Abschluss des heutigen Artikels möchte ich für meine Kollegen folgende Insider nennen: Exotic, Stabil, iPhone 6, MyTaxi und Brigitte.
Ich bedanke mich einmal mehr für das Lesen des Artikels und kündige für Oktober schonmal eine längere Reise mit interessanten Spielen an. Zuvor schaue ich mal, ob ich neben dem guten alten VfL noch ein wenig Europa-League oder Champions-League vor die Nase kriege.
Die Mannschaft von KP Legia Warschau schaffte übrigens wenige Tage später mit zehn neuen Spielern in der Startelf den Einzug in die UEFA Champions-League. Dank eines 1:1 gegen den Dundalk FC zog nach langen 21 Jahren wieder eine polnische Mannschaft in die Gruppenphase der Königsklasse ein. Dazu einen herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg.
In diesem Sinne, Stay tuned. Wie immer Danke für den Support.