Warum besitzt der milliardenschwere Öl-Scheich aus „Tausend und Einer Nacht“ eigentlich keine Lust auf meinen Lieblingsclub? Diese Frage werden sich die Anhänger eines finanzschwachen und erfolglosen Proficlubs mit ansehnlicher Tradition vermutlich schon oft gestellt haben, wenn sie von einer goldenen Zukunft ihrer bis dato zweitklassigen Herzensmannschaft träumten.

Dabei kommt das großzügige Engagement eines potenten Geldgebers in vielen Fällen eher einem Pakt mit dem Teufel gleich. Während das exzessive Sponsoring bei den mächtigen Clubs wie Manchester City, PSG oder den „saudischen Neureichen“ von Newcastle United Dank der schier unerschöpflichen „Petrodollars“ weiterhin flüssig funktioniert, haben andere Clubs weitaus schlechtere Erfahrungen gemacht.

Als negatives Paradebeispiel gilt hier der malaysische Geschäftsmann Vincent Tan, der vor 43 Jahren in seinem Heimatland die erste McDonald’s-Filiale eröffnete und mittlerweile einem milliardenschweren Mischkonzern vorsteht. Der Unternehmer gönnte sich im Jahr 2010 den walisischen Hauptstadtclub Cardiff City als herzloses Spielzeug-Investment und schaffte es in absoluter Rekordzeit, so ziemlich jeden Fan des eigenen Clubs gegen sich aufzubringen. Dies passiert, wenn man bei einem Club mit dem Spitznamen „The Bluebirds“ von heute auf morgen die Trikotfarbe ändert (von blau auf rot) und den Vogel im Vereinswappen durch einen roten Drachen ersetzt. Und all das nur, weil es ihm einfach besser gefiel.

Vermutlich träumten auch die Fans des abgestürzten belgischen Traditionsvereins mit dem äußerst wohlklingenden Namen Royale Union Saint-Gilloise (RUSG) in den letzten Jahren von einem Messias mit frischem Geld. Schließlich handelt es sich bei der im Jahr 1897 gegründeten königlichen Union um einen der erfolgreichsten und stolzesten Fußballvereine des Königreiches, der seine treuen Fans in den vergangenen Jahrzehnten nur in den Niederungen des belgischen Fußballsystems verwöhnen konnte. Obwohl die letzte von insgesamt elf Meisterschaften schon stolze 88 Jahre zurückliegt, rangiert man in der ewigen Meistertabelle hinter dem RSC Anderlecht und Club Brügge trotzdem auf einem bemerkenswerten dritten Rang.

Auch im Brüsseler Stadtteil Saint Gilles biss letztlich ein milliardenschwerer Investor an. Und der kam weder aus dem nahen und schon gar nicht aus dem fernen Osten. Böse Zungen behaupten, dass der Club einfach zu unbekannt für Käufer aus diesem Bereich der Welt war, da sich die Einwohner Dubais zum Zeitpunkt der letzten gewonnenen Meisterschaft im Jahr 1935 ausschließlich dem Fischfang widmeten und McDonalds nicht einmal in den Vereinigten Staaten existierte.

Der englische Pokerspieler Tony Bloom (52) konnte in seiner knapp 20-jährigen Profi-Laufbahn ein durchaus stattliches Preisgeld von fast vier Millionen US-Dollar einspielen. Was sich nach „viel“ anhört und am Ende auch sehr viel Geld ist, würde im professionellen Fußball vermutlich nicht einmal die Halbserie eines überdurchschnittlich platzierten deutschen Regionalligisten abdecken. Dennoch stieg Bloom in den vergangenen Jahren mit Hilfe von drei Kernpunkten zu einem mächtigen, interessanten und vor allem milliardenschweren Fußball-Funktionär auf: Mathematik, analytische Sportwetten und Spielglück!

Nach einem Mathematik-Studium widmete sich Bloom, Spitzname „Die Eidechse“, ganz seiner zweiten Leidenschaft, den Sportwetten. Hier bewies er das, was wir Otto-Normalverbraucher Zeit unseres Lebens nur vermuten. Nämlich, dass alles im Leben mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad zu berechnen ist. Als Meisterstück gilt seine millionenschwere Wette bei der Weltmeisterschaft 1998, als er Frankreich als Sieger errechnete und auch den Mut besaß, viel Geld auf Zidane und Co. zu setzen. Mit dieser „All-In“-Mentalität war Bloom irgendwann soweit, sich seine große Fußball-Jugendliebe leisten zu können. Der englische Küstenclub Brighton & Hove Albion war zu diesem Zeitpunkt einer dieser klassischen Pendler zwischen zweiter und dritter Liga, die nie das Licht der Premier League zu Gesicht bekommen werden. Mittlerweile sind die „Seagulls“ seit sechs Jahren ein arrivierter Erstligist mit hochmoderner Infrastruktur, bei dem das Ende der Entwicklung noch nicht ganz abzusehen ist.

Mit der zusätzlichen Übernahme von RUSG als eine Art „Farmteam“ startete Bloom ein weiteres spannendes Projekt, in welchem neben der sicher vorhandenen Geldspritze vor allem ein weiteres Geschäftsfeld des Engländers zum Zug kommt…das „Moneyball“-Verfahren, mit welchem das analytische Rechenprogramm den perfekten Spieler für die jeweilige Position errechnet. Eine Idee, die Bloom mit seinem alten Freund und mittlerweile zerstrittenem Geschäftspartner Matthew Benham entwickelte. Der pflegt bei seinem Club Brentford FC eine ähnliche Vorgehensweise und lässt vor Transfers zunächst die Zahlen sprechen.

Der allwissende Computer im Büro von Tony Bloom gibt dann auch schon mal recht überraschende Transfers vor…wie den des Meppener Drittliga-Stürmers Deniz Undav, der trotz guter Angebote etwas unverständlich zu RUSG in die zweite belgische Liga wechselte. Offensichtlich hatte der Computer bei dem im niedersächsischen Achim geborenen Undav das perfekte Auge. Undav schoss die Belgier mit 17 Toren in Liga 1, legte dort nochmal 25 Tore nach und spielt jetzt beim großen Bruder in Brighton…mit einem momentanen Marktwert von 6 Millionen Euro.

Was sich nach Zukunft anhört, spiegelt sich in der Stadion-Infrastruktur von RUSG allerdings (noch) nicht wider. Deshalb sind wir genau jetzt an dem Punkt angelangt, warum man diesen Fußballclub einfach mal besuchen muss. Zumindest dann, wenn man auf der Suche nach der guten alten Zeit ist und Stadien wie das Duisburger Wedaustadion, den Gladbacher Bökelberg oder das Münchener Olympiastadion auch bei starkem Regen nicht abstoßend fand.

Bereits bei Annäherung an das Stade Joseph-Marien durch die gut bürgerliche Wohnsiedlung der Chaussee de Bruxelles fühlt man sich wie auf einer Reise durch die Vergangenheit. Hier sollte tatsächlich der amtierende Vizemeister Belgiens und aktuelle Teilnehmer an der UEFA Europa League im Spitzenspiel auf die Mannschaft von Royal Antwerpen treffen?

Vor dem Stadion erhöhte sich der Puls deutlich. Eine gemauerte Haupttribüne, die genauso wie die gegenüberliegenden Häuser aussah und mit einer urigen Gaststätte ausgestattet war, eine gut gefüllte Stehplatz-Gegentribüne sowie eine äußerst matschige Hintertor-Tribüne machten trotz strömenden Regens richtig Bock auf Fussball.

Im mit 9.000 Zuschauern ausverkauften Haus bewies RUSG, dass auch in diesem Jahr eine gewaltige Chance auf die 12. Meisterschaft besteht. Nach der sensationellen Vizemeisterschaft der letzten Saison, die aufgrund der langen Tabellenführung doch irgendwie ein Trostpreis war, besiegte man biedere Antwerpener an diesem Abend mit 2:0 (1:0) und kann schon wieder einen äußerst interessanten Stürmer vorweisen. Der Nigerianer Victor Boniface (22), der vor der Saison von Norwegens Meister Bodø/Glimt nach Brüssel wechselte, dürfte seinen Weg gehen…zur Not auch in Brighton.

Ich war nach Abpfiff zwar völlig durchnässt, aber auch glücklich. Vielleicht lag das auch an dem ewigen 80er-Jahre-Hit „Vamos a la Playa“, der völlig unvermittelt die Sonne ins Herz holte und den Regen vergessen ließ.

Wer jetzt auch Lust auf einen Tag bei Saint Gilloise besitzt, sollte sich beeilen. Nach dem „Vorbild“ Brighton möchte der Club umgehend seine Infrastruktur verbessern und plant ein neues Stadion. Das ist ehrlicherweise auch notwendig, da man für die kommenden Spiele im Europapokal schon ins Stadion des Stadtrivalen RSC Anderlecht ausweichen muss.

Neben dem Spiel im Brüsseler Stadtteil Saint Gilles gab es in Belgien auch noch Erstliga-Fußball in Mechelen und Westerlo. Die Eindrücke findet Ihr exklusiv in meinem Facebook-Account. Lasst mir ein „Like“ da!

STAY TUNED…BLEIBT AM BALL!