Entgegen der mittlerweile landläufigen Meinung bin ich natürlich auch mal zu Hause, gehe zum Dienst, kümmere mich um meine Tochter und erledige die alltäglichen Arbeiten. Natürlich bleibt dann auch Zeit, eine etwas länger zurückliegende Reise hier Revue passieren zu lassen.

Im November 2015 ging es nach Vancouver im kanadischen Bundesstaat British Columbia. Die Stadt an der Westküste hat ca. 600.000 Einwohner (Metropolregion ca. 2,5 Millionen Einwohner) und ist absolut sportbegeistert. Obwohl das Klima für kanadische Verhältnisse überdurchschnittlich mild ist, spielt der Wintersport eine wichtige Rolle. Das zeigte die Stadt im Jahr 2010 als Ausrichter der olympischen Winterspiele, welche zum Teil in den ca. 125 km entfernten Ort Whistler ausgelagert wurden. Aber auch der Eishockey-Club Vancouver Canucks spielt in der National Hockey League (nordamerikanischer Eishockey-Verbund USA/Kanada) und ist trotz des bislang fehlenden Stanley-Cups-Gewinns einer der beliebtesten und ältesten Clubs in der Western-Conference. Aufgrund der geografischen Lage mit vielen Gewässern und Natur sind Individualsportarten im Bereich des Wassersportes (Kanu, Rafting) sowie Joggen, Mountain-Biking und Wandern ebenfalls sehr beliebt und angesagt.

Natürlich darf da aber auch der örtliche Fußballclub nicht fehlen. In diesem Fall handelt es sich um den Vancouver Whitecaps FC. Den möchte ich in der Folge vorstellen und damit auch die Gelegenheit ergreifen, das Fußball-System in Nordamerika ein wenig zu erläutern bzw. dem europäischen Leser näher zu bringen.

Eine gewachsene Beziehung zwischen unserem Fussball und dem nordamerikanischen Kontinent war in der Vergangenheit nahezu unmöglich. Dies lag natürlich hauptsächlich an den weitaus beliebteren amerikanischen Sportarten wie American Football und Basketball, welche die ersten fünfzehn Seiten der dortigen Sportzeitungen füllten und dem „Soccer“ somit nur wenig Luft zum Atmen ließen. Selbst ein Jugendspiel im American Football zog viel mehr Menschen an, als ein professionelles Soccer-Spiel. Das konnte auch die 1967 gegründete NASL (North American Soccer League) mit alternden Weltstars wie Pelé, Franz Beckenbauer oder auch Eusebio nicht ändern. Der Soccer setzte sich nach anfänglicher Euphorie überhaupt nicht durch, die Liga wurde 1984 wieder eingestellt. Zumindest blieben die netten Vereinsnamen wie New York Cosmos oder Tampa Bay Rowdies in dem einen oder anderen europäischen Gehirn.

Mit Erhalt der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 1994 startete der US-amerikanische Fußballverband aber einen erneuten Versuch, den Vereinsfussball im Ligabetrieb zu etablieren. Dies war zwar zugegebenermaßen eine Bedingung der FIFA für den Erhalt der Weltmeisterschaft, gelang aber rückblickend mit Gründung der Major League Soccer in vollem Umfang.

Wenn man in den ersten Jahren durchaus skeptisch sein konnte, so muss man nach knapp 22 Jahren sagen: Ja, es hat geklappt und sieht nach richtigem Fussball aus!

Ich habe diesbezüglich immer noch die ersten Versuche der US-Nationalmannschaft bei der WM 1994 in Erinnerung, als ein ehemaliger Baseball- und späterer American Football-Spieler namens Tony Meola recht unkonventionell als Torhüter fungierte und alles ein wenig aussah, als wenn er erst seit 2 Monaten im Tor stehen würde. Da ihm der Erfolg aber Recht gab und die USA für ihre Verhältnisse sensationell ins Achtelfinale einzogen, war die Erfolgsgeschichte des Soccer zumindest vorbereitet. Denn die Major League Soccer brauchte gute 15 Jahre, um wirklich interessant und konkurrenzfähig zu werden.

Denn mittlerweile ist die Liga mit ihren 17 US-amerikanischen und 3 kanadischen Teams wirklich sehr spannend und hat ein recht gutes sportliches Niveau erreicht. Das erkennt man daran, dass neben etwas älteren europäischen Weltklasse-Spielern wie Lampard, Pirlo, David Silva oder dem Brasilianer Kaka nun auch die erfolgsversprechenden amerikanischen Toptalente wie der Kanadier Fraser Aird (von den Glasgow Rangers zu den Vancouver Whitecaps) oder der US-Amerikaner Jordan Morris (Seattle Sounders) trotz mehrere Bundesliga-Angebote in der heimischen Liga bleiben und für sich selbst eine bessere Entwicklungschance sehen. Dazu kommt eine große Anzahl von sehr talentierten süd- und mittelamerikanischen Spielern, die das Niveau stark angehoben haben.

Es gibt eine Vorrunde (regular Season) mit 34 Spieltagen in der Eastern- und Western Conference und anschließende Play-offs mit einem Modus, der für Europäer sehr skurril erscheint und eine geplante Fussballreise recht schwer planen lässt.

Da es der Fussballgott nach Buchung meines Fluges nach Vancouver aber sehr gut mit mir meinte und die Tabellensituation am letzten Spieltag der regulären Saison zurecht rückte, durfte ich beim Halbfinale der Western Conference zwischen den Whitecaps und dem Lokalrivalen Portland Timbers vor Ort sein.

Für mich eine schöne Sache, denn somit konnte ich ein Spiel zweier Traditionsvereine sehen, wenn man das in Nordamerika denn überhaupt sagen kann. Denn beide Vereine existieren bereits seit frühem Beginn des nordamerikanischen Profifussballs zu Zeiten der beschriebenen NASL. Und da das Gründungsdatum der Whitecaps mit meinem Geburtsjahr identisch ist, war der Kauf einer Trainingsjacke inklusive dem „Since 1974“ im Nacken ein Muss.

Das Spiel zwischen dem kanadischen und dem US-amerikanischen Club wird trotz der vorhandenen Nationalgrenze und der für deutsche Verhältnisse recht großen Entfernung von ca. 500 Kilometern als Lokalderby wahrgenommen. Die jeweiligen Duelle der Vereine Vancouver Whitecaps, Seattle Sounders und Portland Timbers nennt man „Cascadian Derby“.

Dementsprechend konnte man am Spieltag auch eine recht große Anzahl von Fans der Gastmannschaft in Vancouver antreffen. Die ca. 1000 Mitglieder der „Timbers Army“ waren gut an ihren grünen Trikots zu erkennen und belagerten die Kneipen rund um das Stadion.

Bei dem Stadion handelt es sich um das BC Place Stadium, welches im Stadtzentrum für die Olympischen Spiele 2010 erbaut wurde und für die Eröffnungs- und Abschlussfeier sowie Siegerehrungen genutzt wurde. Mit anderen Worten, das Olympiastadion. Das ist in städtischem Besitz und wird neben den Whitecaps auch vom Canadian-Football-Team BC Lions genutzt. Leider sind die Whitecaps noch nicht soweit, dass sie die gesamte Arena mit einem Fassungsvermögen von knapp 55.000 füllen können. Deshalb wird der Oberrang bei Fußballspielen mit Vorhängen abgehängt, damit das Stadion innen kleiner wirkt. Das hat den Vorteil, dass man auf dem Unterrang sitzen und trotzdem eine sehr gute Stimmung entstehen kann.

Genau diese Stimmung ist für mich auch ein wichtiger Bestandteil meiner Meinung über den stark verbesserten nordamerikanischen Fussball. Wer schon einmal eine Sportveranstaltung in den USA oder Kanada besucht hat, der weiss, dass das Event dort im Vordergrund steht und selten eine ausgelassene Stimmung mit Herzblut entsteht. Man hat immer den Eindruck, dass der Zuschauer in erster Linie durch die Gladiatoren „entertaint“ werden möchte. Dazu ein leckeres Mahl mit Hotdogs, Cola oder Popcorn und fertig ist das Familienerlebnis. Das ist beim Fussball der MLS in gewisser Weise zwar immer noch vorhanden, wird aber stetig besser. Hier haben die Macher eine perfekte Mischung gefunden. Denn neben einem immer vorhandenem und sehr angenehmen „Programm“ rund um das Stadion mit Merchandising, Live-Musik und natürlich auch Sponsorenwerbung besteht bei allen Clubs mittlerweile eine lebendige Fanszene hinter den Toren. Die ist tatsächlich mit den bekannten europäischen Fanszenen vergleichbar und macht im Zusammenspiel mit dem Einlaufprogramm der Mannschaften eine hervorragende Stimmung. In der MLS wird nach Einlauf der Mannschaften natürlich die jeweilige Nationalhymne gesungen (bei kanadisch/US-amerikanischen Vergleichen natürlich beide Hymnen). Zusätzlich gibt es fast immer ein kleines Feuerwerk plus Choreografie.

Das Spiel fand am 08.11.2015 um 19.00 Uhr Ortszeit in Vancouver statt. Nach einem 0:0 im Hinspiel in Portland waren eigentlich alle Whitecaps-Fans auf das Finale gepolt. Das Stadion war mit 27.837 Zuschauern restlos ausverkauft und bereit für einen unvergesslichen Fussballabend.

Der wurde es dann letztlich auch, für die Whitecaps allerdings nur bedingt. Denn der Gast aus Portland gewann recht souverän mit 2:0 und wurde am Ende der Play-offs durch einen 2:1-Sieg gegen den Vertreter der Eastern Conference, Columbus Crew, nordamerikanischer Fußballmeister. Was für die Whitecaps blieb, war die Erkenntnis, dass trotzdem der größte Erfolg der Vereinsgeschichte erreicht wurde, die Stimmung toll war und man als bester kanadischer Club an der CONCACAF Champions League 2016 teilnehmen darf. Das zeigten die Zuschauer der einheimischen Mannschaft nach dem Spiel auch mit einem eindrucksvollen Support. Alles wirkte sehr unamerikanisch bzw. unkanadisch und sorgte bei mir für einheimische Gefühle.

Für mich ist die gesamte Major League Soccer mittlerweile eine nette Alternative für guten Fussball, auch wenn ein LIVE-Besuch aufgrund der Entfernung und Kosten nicht einfach mal aus dem Bauch heraus zu realisieren ist. Wer auch mal Lust auf MLS-Fussek hat, kann ja zunächst Samstags und Sonntags bei Eurosport reinschauen. Die übertragen mittlerweile live und bieten einen guten ersten Eindruck von dieser Liga.

Abschließend noch ein paar Worte zu der Stadt Vancouver. Ein tolle multikulturelle Stadt mit vielen asiatischen Einwanderern und einer unfassbaren Anzahl von Freizeitmöglichkeiten. Dazu kommt ein nettes Lifestyle mit guter Küche (hervorzuheben ist der gute und günstige Sushi), ein lebendiges Nachtleben, gute Shoppingmöglichkeiten und damit eine sehr hohe Lebensqualität. Da die gesamte City ein Highlight ist und ich sicher noch nicht alles gesehen habe, hier nur ein paar kleine Tips:

Die Stadtbezirke Gastown, Chinatown, Granville Island und Canada Place. Dazu der unfassbar gute Stanley Park zur Erholung bzw. zum Sport treiben und der Shopping- und Nightlifebezirk Granville Street.

Aber auch außerhalb der Stadt gibt es sehr viele Orte, die man mit einem Leihwagen und der Hilfe eine Fährverbindung ansteuern kann.

Dazu zählt natürlich auch die Hauptstadt des Bundesstaates British Columbia, Victoria! Die befindet sich auf Victoria Island und ist innerhalb eines Tagesausfluges mit der Fähre erreichbar. Weiterhin kann ich nur empfehlen, einen der wahnsinnigsten aber leider auch teuersten Wintersportorte der Welt anzusteuern. Dabei handelt es sich um das oben genannte Whistler. Da wird die Geschichte der olympischen Spiele 2010 lebendig. Wer nicht ganz soweit fahren möchte, dem kann ich das Wintersportgebiet Grouse Mountain auf einer Höhe von 1231 Metern empfehlen. Nicht nur zum Skifahren, auch für eine legendäre Aussicht auf Vancouver (wenn es wolkenlos ist). Aber Vorsicht, die Fahrt mit der Seilbahn ist nichts für schwache Nerven.

Ich werde irgendwann zurückkehren!! Zum Besuch der Whitecaps, zum Besuch meiner Freunde und Kollegen Janine, Andy und Larry oder einfach nur für den Genuss des besten Cocktails der Welt, eines kanadischen Bellini!!!

Danke fürs Lesen…ab übernächster Woche gibts wieder frische Ware, die Europa-League hebt wieder ihren Vorhang.