Im vergangenen Jahr durfte ich den Play-Off-Spielen in der nordamerikanischen Major League Soccer (MLS) beiwohnen. Das Rückspiel im Halbfinale der Western Conference zwischen dem kanadischen Vertreter Vancouver Whitecaps Football Club und dem US-amerikanischen Team Portland Timbers Football Club gewannen die Gäste auf ihrem Weg zur Meisterschaft mit 2:0. In meinem Blog aus Vancouver stellte ich damals den doch recht komplexen Spielplan bzw. das Ligensystem der MLS sowie die vorhandenen Unterschiede zwischen der nordamerikanischen und europäischen Fanszene vor.

Trotz der sicherlich vorhandenen Kritikpunkte im Bereich Kommerzialisierung und des oft grenzwertigen Umganges mit Traditionen blieb meine Neugier an der Liga bestehen. Dies lag in erster Linie daran, dass dort erstaunlich viele Parallelen zur europäischen Fußballwelt geschaffen und teilweise auch verfeinert wurden. Hierzu fällt mir in erster Linie der Support der mittlerweile überall vorhandenen aktiven Fanszenen ein, die durch gute Choreografien und Gesänge nach europäischem und südamerikanischem Vorbild auffallen und beeindrucken. Und zwar absolut gewaltfrei, das in Europa oft zu beobachtende große Polizeiaufgebot ist dort hinfällig, da sich die Ultras auf allen Ebenen um die eigene Mannschaft kümmern und nicht primär die Konfrontation mit anderen Fans oder Sicherheitskräften suchen. Dennoch bleibt es für Europäer in gewisser Weise ein völlig neues Fußballerlebnis, da das vor dem Stadion angebotene Entertainment-Programm mit Gewinnspielen von Sponsoren und Auftritten von Big Bands/Tanzgruppen zwar sehr nett anzuschauen ist, aber auf die europäische Fußballseele eher befremdlich wirkt.

Für die anstehende USA-Reise 2016 entschied ich mich nach meinen zurückliegenden Besuchen in Vancouver und Orlando (Eastern Conference, vor meiner Blogging-Zeit) erneut zu einem Besuch an der Westküste. Meine ersten Soccer-Erfahrungen zeigten, dass das Fußball-Herz dort vielleicht noch ein wenig höher schlägt, als in anderen Teilen der Vereinigten Staaten und Kanada. Die Vereine der Kaskadien-Region entlang des Interstate 5 verbindet die wohl größte Rivalität in der MLS. Hierbei handelt es sich um die Clubs aus Vancouver, Seattle und Portland, die sich bereits in den 70er-Jahren in der despektierlich genannten „Beckenbauer-Pelé-Operettenliga“ NASL gegenüberstanden und damit für nordamerikanische Verhältnisse als absolute Traditionsvereine gelten. Die Clubs aus dem Nordwesten verfügen allesamt über eine recht große Fanbase und spielen neben dem natürlich sehr wertvollen Meistertitel der MLS nebenbei noch den Cascadia Cup, eine Meisterschaft in der Meisterschaft, aus. Dieser Mini-Wettbewerb ist aber letztlich einfach zu erklären, Gewinner dieses Pokals ist das Team, welches im direkten Duell und Quervergleich die meisten Punkte in der regulären Saison holte. In diesem Jahr geht der Titel übrigens nach Vancouver, obwohl sich die Whitecaps nicht einmal für die Play-Off-Spiele qualifizierten. Alle Teams holten in den gemeinsamen Vergleichen insgesamt 9 Punkte, die Whitecaps gewannen den Cup dank eines 4:1-Sieges gegen die Portland Timbers am letzten Spieltag durch das dann überragende Torverhältnis von plus 1.

Nach der Ankunft am Airport Seattle-Tacoma (Sea-Tac) ging es mit einem Mietwagen auf die ca. 3stündige Fahrt gen Süden nach Portland. Für die knapp 300 km lange Strecke bietet sich der bereits erwähnte Interstate 5 an, der zwar wie eine Autobahn aussieht, aufgrund des Tempolimits von maximal 70 Meilen (112 km/h) mit deutschen Maßstäben aber nicht als solche benutzt werden kann. Eine bittere Geschichte, wenn man mit einem Chrysler 300 unterwegs ist, der beim Kick-Down des Automatik-Getriebes irgendwie „will“, aber nicht darf. So muss es sich anfühlen, wenn man ein Wildpferd endlich gebändigt hat.

Nach einer völlig entspannten Fahrt war ich also in Portland, der grössten Stadt des US-Bundesstaates Oregon mit knapp 600.000 Einwohnern. Bereits bei der Anfahrt auf das Stadtzentrum kann man bei schönem Wetter ein tolles Panorama genießen. Direkt nach der Abfahrt vom Interstate 5 gelangt man auf die zweistöckige und mächtig wirkende Fremont Bridge, welche den Fluß Willamette überspannt. Von hier kann man den ca. 70 km entfernten Vulkan Mount Hood (der mit 3425 Metern größte Berg Oregons) und das wahnsinnige Brückenpanorama der Stadt mit insgesamt 11 Brücken kurzfristig genießen. Dies liegt daran, dass man auf der Brücke leider nicht anhalten darf.

Nach der Ankunft in Downtown-Portland wurde mir eine Sache direkt klar. Die Stadt ist vom Aufbau die typisch amerikanische City mit Straßenblöcken und hohen Häuserschluchten. Trotzdem verfügt Portland meines Erachtens gerade in den Randbereichen der City über einen gewissen Charme mit Holzfällerromantik, wirkt sehr rau, alternativ und rustikal, damit aber auch sehr liebenswert. In der Stadt befinden sich mittlerweile unzählige Craft-Beer-Brauereien wie die Fat Head´s Brewery, welche für Freunde des Bieres definitiv einen Besuch wert ist. Für den Fall eines übermäßigen Bierkonsumes bietet sich am Morgen ein kleiner Lauf entlang des Flußes Willamette an, bei welchem man das bereits erwähnte Brückenpanorama nochmals genießen kann. Hierbei sollte allerdings auch das Wetter stimmen, welches nach Auskunft der Einheimischen gute 360 Tage im Jahr Regen bringt. Auch ich durfte erleben, was Regen in Portland bedeutet. Dabei handelte es sich um den doch recht beliebten Sprühregen, welcher derartig intensiv war, dass ich mich fühlte, als wenn ich mit Kleidung unter die Dusche gestiegen wäre.

Portland ist wie viele amerikanische Städte aber auch absolut sportbegeistert. Bei den typischen amerikanischen Mannschaftssportarten bezieht sich das natürlich in erster Line auf die bekannte NBA-Basketballmannschaft Portland Trailblazers. Die weiteren populären amerikanischen Sportarten wie Eishockey und American Football sind in Portland entweder nur unterklassig angesiedelt oder im Fall des Baseballs gar nicht mehr vorhanden. Vielleicht ist das der Grund, warum unser Fußball in Portland so angesagt und beliebt ist. In der ganzen Stadt ist das Wappen der Portland Timbers allgegenwärtig und nahezu an jeder Bar zu finden. Förderlich war hierfür sicherlich auch der nahezu sensationelle Meistertitel im vergangenen Jahr, als man den MLS-Cup erstmals nach Oregon holen konnte. Zudem besitzt die Stadt auch ein erstklassiges Fußballteam im Frauenfußball, den Portland Thorns FC, bei welchem die ehemalige deutsche Nationalspielerin Nadine Angerer mittlerweile als Torwarttrainerin arbeitet.

Die Stadt Portland erhielt in den 70er Jahren aufgrund der verhältnismäßig großen Fußballbegeisterung den Spitznamen „Soccer City USA“. Dieser Spitzname zeigt sicherlich, dass Fußball sehr angesagt ist und in der örtlichen Sportzeitung nicht erst auf Seite 11 hinter Angeln kommt. Er reiht sich aber auch in eine schier unendliche Liste von Spitznamen für Portland ein. Als Beispiel hier die Namen Rose City, Bridgetown oder Rain City!

In Sachen Spieltag entschied ich mich bewusst für das Heimspiel der Timbers in der CONCACAF Champions League, dem internationalen Pokalwettbewerb der mittel- und nordamerikanischen Meister. Hier ging es am entscheidenden 4. Spieltag der Gruppenphase gegen den costa-ricanischen Meister Deportivo Saprissa. Die Ausgangssituation vor dem Spiel war im Prinzip sehr einfach. Nur ein Sieg gegen den Tabellenführer aus Saprissa würde ein frühes Ausscheiden der Timbers verhindern. Das dritte Team in der Gruppe B, CD Dragon aus El Salvador, war bereits chancenlos und ausgeschieden.

Das Spiel fand am 20.10.2016 um 19 Uhr Ortszeit im Providence Park von Portland statt. Bei dem Stadion handelt es sich um klassisches Innenstadtstadion, welches zumindest per Pedes oder mit der Straßenbahn hervorragend zu Erreichen ist. Im Nahbereich befinden sich mehrere Bars und Restaurants, wie der Mexikaner „Mazatlan“, in welchem die Fajitas wirklich hervorragend schmeckten. Auch wenn ich ehrlich gesagt zuerst gar nicht wusste, wie man die auf dem Teller „verzehrfertig“ macht. Das im Jahre 1926 erbaute Stadion verfügt über ein Fassungsvermögen von gut 21.000 Zuschauern und war ursprünglich ein Baseball-Stadion. Dies fällt im Bereich der Südtribüne immer noch auf, da hier zu früheren Zeiten wohl keine Tribüne vorhanden war. Trotzdem muss man vor den Verantwortlichen den Hut ziehen. Im Verlauf der letzten Jahre wurde das altehrwürdige Stadion dank diverser Umbauten und Modernisierungen in ein interessantes und zukunftsfähiges Fußballstadion verwandelt, ohne die Tradition bzw. den alten Baustil zu entfernen. Dies zeigt sich in erster Linie im Außenbereich des Stadions. Von außen sieht der Ground eher wie ein Theater oder eine Stierkampfarena aus. Im Bereich der Katakomben staunte ich dann über die extrem hohen Wände, die eher das Gefühl vermittelten, sich in einem gut gepflegten englischen Bahnhof zu befinden. Das war wirklich eindrucksvoll. Aber auch auf der alten Haupttribüne ist eher Vergangenheit als Zukunft zu finden. Wo findet man heute noch nummerierte Holzbänke und Stützpfeiler, welche eine kleine Sichtbehinderung verursachen?

Aber auch das Konsumherz schlug in diesem Stadion im Akkord. Neben einer Vielzahl von Merchandising-Ständen gilt dies in erster Linie für Essen und Trinken. Hier war nahezu alles verfügbar, vom günstigen Hotdog bis zum etwas höherpreisigen Krustenbraten. Dazwischen gab es aber auch Burger und Pizza. Und das in einer augenscheinlich hervorragenden Qualität. Selbst für den Absacker danach hatten die Timbers eine hervorragende Idee. Ein Stand für Longdrinks und Cocktails, mehr oder weniger direkt am Spielfeldrand. Ich konnte mich zumindest nicht daran erinnern, jemals einen Jack Daniels auf Eis mit Cola in einem Stadion getrunken zu haben. Aber auch für die Hektiker unter uns konnten die Timbers mit einer guten Idee aufwarten. Die sogenannte „Express Beer Lane“, für Menschen auf der Überholspur, die keine Lust darauf haben, die Nacho´s Bestellung des Vorgängers abzuwarten.

Das Spiel unter der Leitung des guatemaltekischen Schiedsrichters Walter Lopez startete sehr pünktlich mit dem Einlauf der Mannschaften. Wer nun eine Champions-League-Hymne wie in Europa erwartete, der wurde bitterlich enttäuscht. Dafür gab es vorher die Nationalhymnen von Costa Rica und den Vereinigten Staaten von Amerika. Hierbei konnte man dann tatsächlich feststellen, dass doch einige Auswärtsfans aus Costa Rica anwesend waren. Vielleicht waren es aber auch ehemalige Costa-Ricaner mit Wohnsitz in den USA, jedenfalls gab es den in Europa erforderlichen und abgetrennten Gästeblock nicht. Die Mittelamerikaner mischten sich einfach unter die anderen Fans auf der Haupttribüne.

Bevor der sehr resolute und stark gestikulierende Schiedsrichter das Spiel anpfiff, kam es zu der unerwarteten Zusammenkunft mit dem Maskottchen der Portland Timbers, dem nie kopierten und nie erreichten Timber Joey. Ich hätte nie gedacht, dass ich dem Maskottchen eines Vereines soviel Zeit und Worte widmen würde. Schließlich gab es für mich immer nur Bobbi Bolzer, die blaue Maus des VfL Bochum 1848. Aber in Zeiten des Ingolstädter Drachen „Schanzi“, des Hoffenheimer Elches „Hoffi“ oder des Leipziger Bullen „Bulli“ ist Timber Joey einfach nur eines: Absoluter Kult und erfrischend anders!

Für alle, die von Timber Joey noch nie etwas gehört haben, versuche ich das „ganze Schauspiel“ nun einmal in Worte zu fassen: Timber Joey ist zunächst einmal ein echter Mensch, sein Name ist Joey Webber. Joey Webber ist von Beruf, wie sollte es anders sein, Holzfäller. Der Mann mit der Statur eines Endgegners ist ein echter Naturbursche mit Hobbys wie „Pole Climbing“ (Baumklettern) und Axtwerfen. Neben weiteren Hobbys wie Rugby und Rodeo-Reiten kann Joey aber auch mit der Motorsäge hervorragend umgehen. Dies zeigt Timber Joey Woche für Woche in Holzfäller-Montur und dem typischen amerikanischen Schutzhelm vor der Kurve der Heimfans, der Timbers Army. Dort liegt ein großer Baumstamm, welcher nach jedem Tor der Timbers um eine Baumscheibe gekürzt wird. Das erfolgt natürlich mit der Motorsäge unter dem Jubel der Timbers-Fans. Nach erfolgtem Absägen wird die Baumscheibe wie ein Pokal in die Höhe gehalten und zu den Fans in die Kurve geworfen. Ich muss gestehen, die wahrscheinlich beste Erfindung eines Vereines in Sachen Maskottchen. Das passt einfach zur Gegend und zum Verein.

Allerdings hätte ich nie damit gerechnet, dass Timber Joey plötzlich vor mir stehen würde. Und das auf eine zugegeben sehr skurrile Art und Weise. Kurz vor Spielbeginn war ich absolut fokussiert und beobachtete die Spielvorbereitungen der Mannschaften. Plötzlich schreckte ich hoch, da ein bis dahin unbekannter Mensch direkt vor mir seine Motorsäge einschaltete und den Motor hochjagte. Bei näherem Hinsehen erkannte ich Timber Joey, der nun mit dieser eingeschalteten Motorsäge mitten auf der Tribüne in eine Art Siegerhaltung ging, beide Arm hob und so ein bisschen wie ein kommender Massenmörder im Horrorfilm wirkte. Da er hierbei aber vom gesamten Publikum komplett gefeiert wurde, konnte ich eine einsetzende Massenpanik kurzfristig ausschließen. Hier gilt wirklich: Nicht die Mannschaft ist der Star, das Maskottchen ist der Star!

Nach der Choreografie der nie aufgebenden Ultra-Gruppierung Timbers Army ging das Spiel dann endlich los. Die Gastgeber zeigten von Beginn an, dass sie gewillt waren, das Spiel zu gewinnen. Ab der ersten Spielminute berannten sie das Tor des Deportivo-Schlussmanns Dany Carvajal. Die vielen guten Chancen wurden in der Folge aber ziemlich fahrlässig und nahezu blind vergeben. Um den weiteren Verlauf des Spiels nun kurz zu beschreiben, muss ich mich der Phrase der Phrasen bedienen: Es kam, wie es kommen musste. Wenn man vorne die Tore nicht macht, kommt der Gegner und bestraft dich. Der Gegner kam in Person des panamaischen Stürmers mit dem gemalten Namen Rolando Blackburn. Der markierte nach schöner Flanke von der rechten Seite per Kopfball die Führung für den Meister Costa Ricas, die auch zur Pause Bestand haben sollte.

Nach Anpfiff der zweiten Halbzeit änderte sich das Bild nur geringfügig. Die Gastgeber rannten kopflos an, die Mannen aus Saprissa verteidigten recht kühl und zeigten sich hierbei sehr erfahren im Zeitspiel. Trotz der routinierten ehemaligen englischen Premier-League-Spieler Liam Ridgewell (Aston Villa, West Bromwich Albion) und Steven Taylor (Newcastle United) sowie dem aktuellen US-amerikanischen Nationalspieler Darlington Nagbe gelang nur noch der Ausgleich durch Stürmer Jack McInerney, ebenfalls per Kopfball. Leider zu wenig für ein Weiterkommen in diesem Wettbewerb, welcher bei Gewinn zur Teilnahme an der FIFA-Klub-WM berechtigt. Die Gäste feierten nach Abpfiff  das Weiterkommen wie den Gewinn der Weltmeisterschaft, obwohl sie durch das wirklich exzessiv aufgeführte Zeitspiel mit insgesamt sechs gelben Karten rückblickend nicht übermäßig sympathisch wirkten. Wie auch immer, die Mannschaft von Deportivo darf sich im Viertelfinale mit dem mexikanischen Meister CF Pachuca messen. Ich wünsche viel Glück.

Für die Portland Timbers war die Saison schon wenige Tage später mit der 1:4-Niederlage in Vancouver komplett vorbei. Kein Amerika-Pokal, keine Play-Offs, einfach nur Ruhe bei Timber Joey.

Aus Portland in Oregon ging meine Reise zurück über den Grenzfluss Columbia nach Seattle im Bundesstaat Washington. Dort besuchte ich am letzten Spieltag der Vorrunde der MLS, dem sogenannten Decision Day, die Partie des einheimischen Seattle Sounders FC gegen Real Salt Lake aus Utah. Dazu in Kürze mehr!

Danke fürs Lesen, Stay Tuned!