Im Laufe eines Citytrips in die türkische Metropole Istanbul kommt man speziell als Nachtschwärmer nicht an einem Besuch des Stadtbezirkes Beyoglu vorbei. Das äußerst lebhafte Gebiet im europäischen Teil der Stadt gilt als Zentrum des pulsierenden Nachtlebens und bietet in den vielen kleinen Gassen abseits der mondänen Shopping-Meile „Istiklal“ unzählige Bars, Clubs und Restaurants an.

Neben „Raki, Efes und Party“ spielt Beyoglu aber auch in der vielfältigen Istanbuler Fußballwelt eine gewichtige Rolle. Während der kleine Erstligist Kasımpaşa Spor Kulübü zumeist nur den passionierten Süper Lig-Enthusiasten bekannt ist, dürfte der türkische Rekordmeister Galatasaray auf der ganzen Welt ein bejahendes Kopfnicken verursachen. Auch wenn „Cim Bom“ mittlerweile im weit entfernten NEF-Stadion spielt, wurde der Club von mehreren Gymnasiasten um Ali Sami Yen im Jahr 1905 in Beyoglu gegründet.

Aber welch interessante Geschichte versteckt sich hinter dem dritten Fußballclub aus Beyoglu, dem „Hermes Club Pera“, der unter diesem Namen höchstwahrscheinlich nur Fans und Insidern bekannt sein dürfte?!

Der Fußballverein „Hermes Club“ wurde im Jahr 1875 von der großen griechischen Community Beyoglus gegründet. Zu diesem Zeitpunkt hieß Istanbul noch Konstantinopel und war Hauptstadt des riesigen osmanischen Reiches. Auch Beyoglu besaß zu diesem Zeitpunkt offiziell die griechische Bezeichnung „Pera“ und wurde als ehemalige Handelskolonie vor allem von internationalen Kaufleuten und Diplomaten bewohnt.

Die in der heutigen Zeit merkwürdig anmutende Gründung eines griechischen Clubs in der rivalisierenden Türkei hätte vielleicht funktioniert, wenn Politik und Religion nicht die Oberhand über den Sport gewonnen hätten. Mit dem kriegerischen Übergang vom osmanischen Reich zur Türkischen Republik erfolgte in den 1920er-Jahren ein groß angelegter Bevölkerungsaustausch, bei welchem die griechischen Bewohner Istanbuls zu großen Teilen vertrieben wurden.

Die Mitglieder des „Hermes Club Pera“ fanden in der knapp 600 Kilometer westlich von Istanbul gelegenen Hafenstadt Thessaloniki eine neue Heimat. Da die Vertriebenen ihre Liebe für den Fußball weiterhin leben wollten, entschieden sie sich im Jahr 1926 zur Gründung eines direkten Nachfolgevereines für den zwangsweise aufgelösten Hermes Club! So entstand „PAOK“, was in der deutschen Übersetzung ganz nüchtern einfach nur „Panthessalonikischer Sportclub der Konstantinopler“ heißt.

Mit dieser sicher tragischen Geschichte stelle ich mir die Frage, wie sich die Istanbuler Fußball-Landschaft entwickelt hätte, wenn der Hermes Club Pera als einer der ältesten Fußballclubs der Stadt dauerhaft am „Istanbuler“ Spielbetrieb teilgenommen hätte? Da meine Glaskugel bei dieser imaginären Zeitreise allerdings streikt, muss ich mich an die Fakten halten und darf feststellen, dass die sportliche und gesellschaftspolitische Entwicklung der Fußballabteilung von PAOK trotz der zwangsweise durchgeführten Umsiedlung fraglos eine Erfolgsgeschichte darstellt.

Die schwarz-weissen Adler des PAOK FC gelten im griechischen Fußballsystem als eine der vier großen Mannschaften, welche die Meisterschaft zumeist unter sich ausmachen und die wichtigen Europapokal-Plätze belegen. Zudem sieht sich der Club aus dem makedonischen Norden Griechenlands, der nach Einführung der „Alpha Ethniki“ im Jahr 1959 durchgängig erstklassig spielte, als unbeugsames Gegengewicht zu den Athener Hauptstadtclubs um Rekordmeister Olympiacos Piräus, welchen immer eine Art Bevorzugung durch die Regierung nachgesagt wird.

Trotz der oftmals vorhandenen finanziellen Überlegenheit der Hauptstadtclubs konnte PAOK in seiner 97-jährigen Geschichte insgesamt dreimal die griechische Meisterschaft gewinnen (zuletzt 2019). Weitaus erfolgreicher war man im nationalen Pokalwettbewerb, in dem man sich insgesamt achtmal krönen konnte (zuletzt 2021).

Auch in der Gegenwart der Saison 2022/2023 mischt man im Meisterschaftsrennen der Stoiximan Super League mit, musste sich zu Beginn des 25. Spieltages als Vierter aber auch mit strammen sieben Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Panathinaikos beschäftigen. Deshalb kam das Duell mit dem kleinen Abstiegskandidaten PAE Ionikos vermutlich gerade recht.

Bei Ankunft am Stadion Toumba wird dem neutralen Beobachter aufgrund der vielen schwarz gekleideten Menschen sofort klar, was hier stimmungstechnisch möglich sein kann. Dies gilt allerdings auch für die negativ angehauchten Emotionen, welche oft mit Gewalt daherkommen. Im Inneren des vor 64 Jahren eröffneten und 2004 renovierten Stadions bestätigte sich meine erste Annahme. Ich habe jedenfalls selten ein Stadion gesehen, welches trotz der ovalen Form und der damit verbundenen großen Hintertor-Entfernung mit einem hohen durchgängigen Zaun versehen war, welcher nur im Bereich der Haupttribüne unterbrochen wurde.

Bevor es gegen den kleinen Vorort-Club aus Piräus losgehen sollte, kam es durch beide Mannschafts-Kapitäne zu einer stimmungsvollen Kranzniederlegung für die Opfer des verheerenden Zugunglücks von Larissa.

Nach Anpfiff des griechischen FIFA-Schiedsrichters Sidiropoulos dauerte es keine 120 Sekunden, bis der Ball zum ersten Mal im Ionikos-Tor landete. Nach Flanke von der linken Außenbahn fälschte der 39-jährige Brasilianer Romao eine Volleyabnahme des ehemaligen Hamburgers Khaled Narey ins eigene Tor ab.

Da schon zu diesem frühen Zeitpunkt eine gewisse Nachlässigkeit in der Ionikos-Abwehr zu erkennen war, musste man tatsächlich das Schlimmste für die in Orange gekleideten Gäste befürchten. Obwohl die Mannen aus Piräus´ Stadtteil Nikea in der Folge durchaus auch kleinere Akzente in der Offensive setzen konnten, zeigte man sich im Abwehrverbund und Spiel gegen den Ball völlig sorglos und lud PAOK förmlich zum Toreschießen ein. Das vermeintlich schönste Tor erzielte hierbei der serbische Nationalspieler Zivkovic, der in der 30. Minute mit einem wunderschönen Heber für die 4:0-Halbzeitführung sorgte.

Nach der desaströsen Leistung in Hälfte 1 benötigte Ionikos-Trainer Michalis Grigoriou Stabilität und Erfahrung in seiner Mannschaft und wechselte den ehemaligen Bochumer Zweitliga-Akteur Raman Chibsah ein. Somit kam es nach genau 834 Tagen zu einem Wiedersehen mit dem bereits angesprochenen Khaled Narey. Als die beiden Herren das letzte Mal im deutschen Fußball gemeinsam auf dem Platz standen, erzielte Chibsah sein einziges Bochumer Tor beim 3:1-Auswärtssieg gegen Narey´s Hamburger! Auch wenn Chibsah nach seiner Einwechselung in Saloniki durchaus zu gefallen wusste, konnte auch er zwei weitere Gegentore nicht verhindern und musste mit seiner Mannschaft eine deftige 0:6 (0:4)-Niederlage in Thessaloniki schlucken.

Auf den Rängen des eindrucksvollen Stadions ging es an diesem unterhaltsamen Abend übrigens vergleichsweise harmonisch zu. Dies lag vermutlich an der Tatsache, dass es überhaupt keine Gästefans gab und der Spielverlauf eher für Glückshormone als Wutanfälle sorgte. Deshalb nehme ich die wirklich hervorragende Stimmung der gut 12.000 Zuschauer mit nach Hause und vergesse die wenigen Polenböller, die trotzdem gelegentlich gezündet wurden und den Schreckhaften unter uns Probleme bereiteten.

Fast hätte ich die Augen geschlossen und mir vorgestellt, wie es gewesen sein muss, als PAOK-Präsident Ivan Savvidis vor fünf Jahren im Spiel gegen AEK FC aufgrund einer angeblich fehlerhaften Abseitsentscheidung mit vier Sicherheitsleuten das Spielfeld stürmte und den Schiedsrichter bedrohte. Kann man sicherlich mal machen, sollte dann aber auch nicht unbedingt einen scharfen Revolver am Gürtel tragen. Die Aktion des griechisch-russischen Oligarchen sorgte jedenfalls für einen der grössten Skandale im griechischen Fußball und lässt schillernde Vereinspräsidenten wie Karl-Heinz Wildmoser, Jean Löring oder Uli Hoeneß wie Waisenknaben erscheinen.

Das war ein (Kurz-)Besuch beim beliebtesten und erfolgreichsten Verein der makedonischen Hafenstadt Thessaloniki, die gerade während der milden Wintermonate definitiv einen Besuch wert ist. Ich wünsche dem Club, der viele Stories und Geschichten bereit hält, für die anstehende PLAY-OFF-Runde und das griechische Pokalfinale 2023 viel Erfolg.

Wie immer gibts viele Fotos und bewegte Story-Bilder vom Spiel in meinem Instagram-Account. Dazu gibts noch ein weitere Eindrücke aus der lebhaften Stadt Thessaloniki…klickt Euch einfach mal rein und lasst ein LIKE da!

STAY TUNED…BLEIBT AM BALL!