Das Prädikat „Traditionsclub“ ist vermutlich die höchste moralische Auszeichnung, die ein Fußballverein von den Nostalgikern dieser Sportart erhalten kann. Dabei ist es auch unter Gleichgesinnten mit großem Fußballherz gar nicht so einfach, die perfekte Definition für einen traditionellen Fußballverein zu finden. Letztlich liegt diese diskutable Entscheidung im Auge des Betrachters und ist teilweise mit der subjektiven Zu- und Abneigung gegenüber dem zu bewertenden Club verbunden. Obwohl wichtige Club-Eigenschaften wie das historische Gründungsdatum, eine langjährige Erstliga-Zugehörigkeit oder die überdurchschnittlichen Zuschauerzahlen zumindest auf Tradition hinweisen, muss für die endgültige Anerkennung zum „Kulturgut des Fußballsports“ ein weiteres wichtiges Kriterium zwingend erfüllt werden.

Der Verein sollte bereits eine gesellschaftliche Rolle gespielt haben, als Fußballspiele noch nicht von Menschen besucht wurden, für die Handy-Selfies, bullige Energy-Drinks und Pappschilder mit der Aufschrift „Tausche Mama gegen Trikot“ über dem eigentlichen Spiel standen…also ein Fußballclub, der am rasanten Aufstieg von König Fußball in den vergangenen 60 Jahren beteiligt war und diesen vielleicht sogar mitgestaltet hat. Dieser Club sollte völlig unabhängig von der jeweiligen Spielklasse oder dem sportlichen Erfolg ein Schwergewicht in seiner lokalen Community darstellen und Fans aus wirklich allen Generationen sowie Gesellschaftsschichten anziehen.

In der breitgefächerten Diskussion um echte Traditionsvereine und die, die es nur allzu gerne wären, gibt es zudem Clubs, die in der öffentlichen Wahrnehmung kein besonders großes Standing besitzen und gerade in Deutschland sehr unbeliebt sind…die sogenannten „Werksmannschaften“!

Dabei gibt es auch in diesem Umfeld Vereine, die in jedem Fall in die Rubrik „Tradition“ eingeordnet werden können. Das schlechte Ansehen der Werksmannschaften in Deutschland ist hauptsächlich auf die diskussionswürdige Umsetzung der 50 plus 1-Regelung zurückzuführen, die den DAX-geführten Automobil-, Pharma- und Softwarekonzernen in ihren Clubs eine vorteilhafte Investoren-Ausnahme ermöglicht. Die deutsche Skepsis gegenüber der Teilnahme einer finanzstarken Werksmannschaft wird in vielen anderen Ländern unseres europäischen Kontinents übrigens nicht geteilt.

Als Musterbeispiel für ein funktionierendes Modell von Werksmannschaften gelten insbesondere asiatische Länder wie Japan, die mit Teams von Panasonic, Mitsubishi oder Nissan eine ganze Liga betreiben. Aber auch in Europa findet man viele Mannschaften, die einen „Firmen“-Hintergrund haben. Neben dem äußerst anerkannten PSV Eindhoven (Philips-Konzern) taucht hier sogar der Name „Arsenal Football Club“ auf, der ursprünglich im Jahr 1886 von Arbeitern einer Rüstungsfirma gegründet wurde.

Auch in der rumänischen SuperLiga existiert mit dem im Jahr 1907 gegründeten CFR Cluj ein Werksverein, der sich in den vergangenen 15 Jahren mit acht nationalen Meisterschaften, vier Pokalsiegen und 97 Europapokalspielen eine eindrucksvolle Trophäensammlung in die Vitrine stellen konnte. Der durchschlagende Erfolg des Clubs aus der Hauptstadt Transsilvaniens dürfte allerdings weniger mit der finanziellen Unterstützung des Mutterkonzerns CFR zusammenhängen, da das staatliche rumänische Eisenbahnunternehmen „Căile Ferate Române“ mit einem maroden Schienennetz, langsamen Zügen und der Modernisierung der Flotte genug eigene Probleme mit großem Finanzvolumen vor der Brust hat.

Deshalb waren die Fußballfreunde in Rumäniens zweitgrösster Stadt zu Beginn des laufenden Jahrtausends heilfroh über das finanzielle Engagement des heute 51-jährigen Arpad Paszkany. Der heimische Geschäftsmann mit ungarischen Wurzeln startete mit einem lokalen Autohandel und verdiente mit geschicktem Immobilienankauf ein beachtliches Vermögen. Als „Mäzen alter Schule“ führte er CFR in Rekordgeschwindigkeit aus Rumäniens zweiter Liga in die europäische Königsklasse. Da sich die explosive Mischung aus Auto- und Immobilienhandel aber auch immer etwas windig anhört, musste sich der markante Mann mit der Glatze während seiner Sponsorentätigkeit in einem Gerichtsverfahren wegen finanzieller Unterstützung der organisierten Kriminalität verantworten. Auch wenn man Paszkany in dem Verfahren nichts nachweisen konnte, zog er sich 2017 aus dem Fußballgeschäft zurück.

Der Rückzug des allmächtigen Sponsors dürfte bei Fans und Verantwortlichen des Eisenbahnerclubs zunächst für starkes Magengrummeln gesorgt haben. Deshalb war es umso überraschender, dass der Club in der Folge auch ohne Paszkany dreimal die rumänische Meisterschaft erringen konnte. Offensichtlich gelang dies mit einem gut aufgestellten Sponsoren-Pool und der großzügigen Unterstützung des neuen Trikotsponsors, einem weltweit agierenden israelischen Finanzdienstleister mit den „Hörnern eines Stiers“.

Auch in der laufenden Saison spielt die Mannschaft von Trainer Dan Petrescu (150 Premier League-Spiele für Chelsea) um den Meistertitel des Balkanlandes. Am 24. Spieltag traf man als Tabellenführer auf den großen Rivalen FCSB. Der viertplatzierte Hauptstadtclub, der in Deutschland unter dem Namen Steaua Bukarest bekannt ist, musste seinen durchaus berühmten alten Namen nach einem markenrechtlichen Streit mit der rumänischen Armee in eben diese Kurzform ändern. Trotzdem gilt der Club in der öffentlichen Wahrnehmung als „FC Bayern Rumäniens“ und besitzt zahlreiche Fans im ganzen Land.

Das CFR-Stadion „Dr. Constantin-Radulescu“ ist mit einem Fassungsvermögen von 23.500 Zuschauern eine dieser Spielstätten, die man während einer Champions League-Übertragung schon oft im eigenen Fernseher bewundern durfte. Dabei blieb immer die Frage offen, warum dieses recht schicke und enge Stadion eigentlich nur drei Tribünen besitzt? Weil es hinter der großen Anzeigetafel aufgrund der Hanglage gute zehn Meter nach unten geht und in Anbetracht der direkt gegenüberliegenden Wohnsiedlung nur sehr wenig Platz vorhanden ist.

Bevor es bei schwierigen winterlichen Bedingungen mit Temperaturen von minus 10 Grad Celsius und einem eisigen Wind losgehen sollte, streikte die komplette Stadiontechnik. Während der Bekanntgabe der Mannschaftsaufstellungen wurde das altehrwürdige Stadion von einem knapp zehnminütigen Stromausfall heimgesucht, bei welchem nur die Werbebanden des Ligasponsors ausgenommen waren. Die knapp 10.000 Zuschauer nahmen das Geschenk jedenfalls an und sorgten mit rhythmischen Trampeln auf der Stahlrohr-Tribüne, dem CFR-Schlachtruf „Tschee-Fäää-Reee“ sowie der eingeschalteten Handy-Taschenlampe für etwas (Herz-)Wärme und eine besondere Stimmung in einem abgedunkelten Stadion.

Als das rumänische Gipfeltreffen mit Verspätung um kurz nach 21 Uhr angepfiffen wurde, kamen beide beide Mannschaften auf dem schneegeräumten und steinharten Platz nur langsam in Wallung. Nach der „Warm-Up-Phase“ war es in der Folge zwar kein richtig hochklassiges, aber ein sehr interessantes Spiel mit zwei Mannschaften, die trotz der widrigen Bedingungen einen technisch guten Fußball zelebrierten. Da beide Teams ihren Fokus zudem auf die Offensive legten, gab es viele gute Chancen auf beiden Seiten. Dementsprechend ist es umso bitterer, dass ich mich ab der 80. Spielminute mit der Möglichkeit eines torlosen Remis beschäftigen musste, da beide Mannschaften in der Schlussphase allem Anschein nach mit dem Resultat zufrieden waren. Dass dann doch noch das goldene Tor für die Gäste aus Bukarest fiel, ist einem genialen Doppelpass zwischen „Zehner“ Octavian Popescu und dem französischen Stürmer Malcom Edjouma zu verdanken, den der groß gewachsene Angreifer mittels Lupfer über den starken Cluj-Keeper Simone Scuffet vollendete (88.).

Der anschließende Jubel vor den Klausenburger Heimfans war so ausgelassen und provokant, dass es eine sehr einseitige Schneeballschlacht auf die Mannschaft des FCSB gab und einen Mann auf den Plan rief, den ich einmal mehr nicht unerwähnt lassen darf. Schiedsrichter Sebastian Coltescu, auf internationaler Bühne gerne als 4. Offizieller unterwegs, wurde durch seine schwierige Beziehung mit Basaksehir-Co-Trainer Webo und dem damit verbundenen Wort „Negro“ überregional bekannt und ist mir zuletzt beim Europapokalspiel in Armenien über den Weg gelaufen. Offensichtlich beherrscht der gute Mann sein Handwerk auf dem Platz ein bisschen mehr, da er an diesem Abend eine wirklich hervorragende und umsichtige Spielleitung zeigte.

Würde die Werksmannschaft des „Fotbal Club CFR 1907 CLUJ“ beim abschließenden Abgleich mit meiner zu Beginn genannten Definition nun als Traditionsclub durchgehen?

„Ja gut äh“…das liegt einmal mehr im Auge des Betrachters. Auch wenn sie in der glorreichen Steaua-Zeit der 1980er-Jahre faktisch keine Rolle spielten, sind die Eisenbahner für den rumänischen Fußball der Gegenwart nicht mehr wegzudenken. Die Mannschaft des CFR konnte die langjährige Titel-Vorherrschaft der Bukarester Vereine durchbrechen, hat eine bemerkenswerte Entwicklung hinter sich und bietet den Menschen in Transsilvanien in regelmäßigen Abständen internationalen Fußball an.

Das war mein kurzer Aufenthalt in einem sehr winterlichen Rumänien. Einmal mehr bin ich auf gelassene, gastfreundliche und hilfsbereite Menschen gestoßen, die das Reisen durch Osteuropa ausmachen!

Neben vielen Fotos und bewegten Story-Bildern vom Spiel findet Ihr in meinem Instagram-Account weitere Eindrücke aus Cluj-Napoca…klickt Euch einfach mal rein und lasst ein LIKE da!

STAY TUNED…BLEIBT AM BALL!