Stell Dir vor, es ist Pokalfinale und keiner geht hin! Mit diesem leicht abgewandelten Zitat des us-amerikanischen Dichters Carl Sandburg ist das diesjährige Pokalendspiel des walisischen Fußballverbandes nahezu perfekt umschrieben!

Als Schiedsrichter Bryn Markham-Jones das „große Finale“ zwischen den Connah´s Quay Nomads und Rekordmeister The New Saints anpfiff, verloren sich lediglich 1.246 Fans im 8.000-Zuschauer-fassenden Stadion „Rodney Parade“ von Newport.

Für diese stark ausbaufähige Zuschauerzahl bei einem Pokalendspiel gibt es allerdings auch eine nachzuvollziehende Erklärung. Die hängt mit dem komplexen Ligensystem des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland zusammen, welches bei unvorbereiteten Festland-Europäern gelegentlich zu Irritationen führen kann.

Aufgrund der exponierten Sonderrolle als Mutterland des Fußballs bestehen auf der Insel insgesamt vier eigenständige Fußballwelten, die bis auf gelegentliche regionale Überschneidungen nicht allzu viel miteinander zu tun haben und sich vor allem stark in ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit unterscheiden. An der Spitze der britischen Liga-Pyramide steht ohne jeden Zweifel der englische Fußball mit seiner milliardenschweren Premier League und dem ebenfalls finanzstarken Unterhaus der „EFL“. Auch wenn die englischen Vereine im Europapokal immer mal wieder kollektiv die Segel streichen, gilt die Premier League aufgrund des weltweiten Interesses mittlerweile als die „Fußball-Liga“ schlechthin und zieht gut verdienende Fußball-Stars aus aller Herren Länder an!

Während der schottische Ligafußball mit seinen Glasgower Schwergewichten Rangers und Celtic momentan einen beachtlichen 11. Platz in der UEFA-Fünfjahreswertung einnimmt und damit spielstarke Profiligen wie die griechische Super League oder die österreichische Bundesliga hinter sich lässt, rangieren die Fußball-Meisterschaften in Wales und Nordirland in den Niederungen des aussagekräftigen Rankings. Für die Erstliga-Vereine beider Verbände steht hier das Wort „semi-professionell“ im Vordergrund, auch wenn man konstatieren muss, dass die nordirischen Spitzenclubs wie Larne, Glentoran oder Linfield doch eher „professionell“ als „semi“ agieren.

Die walisische „Cymru Premier League“ dürfte aufgrund ihrer Struktur die sportlich schwächste erste Liga des britischen Königreiches sein. Bis auf den allgegenwärtigen Rekordmeister The New Saints genügen nur wenige Teilnehmer den Ansprüchen eines professionellen Fußballclubs. Dabei verfügt der kleine britische Landesteil mit Cardiff City, Swansea City oder dem neureichen Hollywood-Club Wrexham AFC durchaus über finanzkräftige Vereine mit guter Infrastruktur und überdurchschnittlich großer Anhängerschaft. Die entschieden sich allerdings weit vor Gründung einer eigenständigen walisischen Fußballmeisterschaft zur Teilnahme am englischen System und messen sich seit Jahrzehnten lieber mit Manchester United & Co.!

Dementsprechend findet man im walisischen Fußballalltag eher die kleineren und fast namenlosen (Amateur-)Clubs wie Haverfordwest County oder Newtown AFC, die sich nach Einführung der „Cymru Premier League“ im Jahre 1992 ihren Europapokal-Traum erfüllen konnten und die Chance auf ein eigenes selbstbestimmtes Fußball-Leben ergriffen. Die Unabhängigkeit bezieht sich mittlerweile auch auf den seit 1877 ausgetragenen Pokalwettbewerb, in welchem die oft übermächtigen „anglo-walisischen“ (Profi-)Teams wie der bereits angesprochene Hauptstadtclub Cardiff City nach einem Grundsatzurteil der UEFA seit Mitte der 90er-Jahre nicht mehr mitspielen dürfen.

Diese regionale Eigenständigkeit hat natürlich auch Nachteile. Da es sich bei den teilnehmenden Clubs zumeist um Amateurvereine ohne große Reichweite handelt, hält sich das generelle Zuschauerinteresse am walisischen Vereinsfußball doch arg in Grenzen. Offensichtlich guckt auch der walisische Fußball-Fan lieber das englische Manchester-Derby im Fernsehen als das walisische Abstiegsduell zwischen Colwyn Bay und Pontypridd United im Stadion. Selbst bei den internationalen Auftritten der walisischen Clubs, die aufgrund der fehlenden Stadionstruktur gelegentlich im „großen“ Stadion von Cardiff City angesetzt wurden, kam die heimische Anhängerschaft nicht von der Couch runter und sorgte für eine Geisterkulisse in der völlig überdimensionierten Arena.

Da das landschaftlich wunderschöne Wales ungefähr die Größe Westfalens besitzt, kann man die Spiele der „Cymru Premier League“ oder des „JD Welsh Cup“ in Sachen Niveau und Infrastruktur gut mit der „Oberliga West“ oder dem „Westfalenpokal“ vergleichen. Auch wenn die sportliche Leistungsfähigkeit der zwei bis drei walisischen Topteams eher mit der Spielstärke eines deutschen Regionalligisten übereinstimmt, erinnern die vielen gut gepflegten (Bezirks-)Sportanlagen mit Kunstrasen, kleiner Tribüne und einer Zuschauerzahl im drei- bis vierstelligen Bereich stark an den gehobenen deutschen Amateurfußball.

Genau deshalb war das Finale um den „JD Welsh Cup“ im Stadion des ebenfalls im englischen Ligasystem spielenden Newport County AFC in Sachen Zuschauerzahl am Ende gar nicht mal so schlecht besucht. Schließlich muss man bedenken, dass die Fans beider Finalteilnehmer auf dem Weg ins südwalisische Newport fast das gesamte Land durchqueren mussten. Da es in Wales zudem so gut wie keine Autobahnen gibt, gleicht die fast 260 lange Strecke von Connah´s Quay nach Newport einer absoluten Tortur.

Im Pokalfinale standen sich mit dem alten und neuen Meister The New Saints, kurz TNS, und den Connah´s Quay Nomads die beiden besten Mannschaften der abgelaufenen Premier-League-Saison gegenüber. Während die „neuen Heiligen“ ihren insgesamt 16. Meistertitel feiern konnten, mussten sich die Nomaden mit der Vizemeisterschaft begnügen.

Obwohl TNS die heimische Liga am Ende mit 15 Punkten Vorsprung gewann und Konkurrent Connah´s Quay in den vier Saison-Duellen mit einem Torverhältnis von 17:3 mehrfach deklassierte, hatte der walisische Pokal an diesem Tag seine eigenen Gesetze. Der „heilige“ Favorit TNS, der eigentlich aus der englischen Grenzstadt Oswestry stammt und nur aufgrund der Fusion mit dem walisischen Nachbarclub Llansantffraid in Wales gegen den Ball treten darf, kam an diesem Tag überhaupt nicht ins Spiel und löste bei seinen erfolgsverwöhnten Fans großes Entsetzen aus.

Auch wenn TNS während der 90 Minuten fortwährend spielbestimmend war, konnten sich die Weiß-Grünen um den schottischen Stürmer Declan McManus nur wenige Chancen erspielen. Die gegnerischen Nomaden ließen ihr Herz förmlich auf dem Platz und steckten nach eigener Führung auch den schnellen TNS-Ausgleich weg. Als der erst 19-jährige Joshua Williams den Ball in der 40. Minute mit eingesprungenem „Rittberger“ als Drop-Kick im TNS-Torwinkel versenkte, wusste auch der letzte Zuschauer: Die Pokalsensation ist tatsächlich möglich!

Da das vogelwilde Anrennen der New Saints in der zweiten Halbzeit nicht von Erfolg gekrönt wurde, sicherten sich die Connah´s Quay Nomads zum zweiten Mal in ihrer Vereinsgeschichte den drittältesten Pokal der Welt. Mit dem Pokalsieg nimmt man selbstverständlich an der Qualifikation zur UEFA Europa Conference League teil. Da man diesen Platz über die Platzierung in der Liga schon sicher hatte, darf nun auch der Tabellendritte der „Cymru Premier League“, Bala Town, in der nächsten Saison zumindest einmal durch Europa reisen.

Wie regional dieses Pokalfinale im Vereinigten Königreich wahrgenommen wurde, zeigte sich am nächsten Tag. Nach der Ankunft im knapp 170 Kilometer entfernten Birmingham kam ich in einer Costa-Coffee-Filiale mit dem „Barista“ ins Gespräch. Der war glühender Fußballfan und konnte mir aufgrund seiner zurückliegenden Armee-Zeit in Deutschland sogar den nächsten Gegner des SC Paderborn 07 nennen. Nur die Teilnehmer des walisischen Pokalfinales vom Vortag waren dem guten Mann tatsächlich völlig unbekannt. Zu den Connah‘s Quay Nomads sagte er mit einem Lächeln: “Never heard“!

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