Im Vergleich zu den deutschen Karnevals- und Fastnacht-Hochburgen in Köln, Düsseldorf oder Mainz fällt die sogenannte „fünfte Jahreszeit“ bei unseren Nachbarn in Frankreich bedeutend kleiner aus. Auch wenn es in einzelnen Orten wie der Hafenstadt Dunkerque größere Umzüge des „Straßenkarnevals“ gibt, steht das öffentliche Leben in Frankreich zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch alles andere als still.

Dies gilt in erster Linie für die französische Hauptstadt Paris, in welcher die „jecke Flamme“ nur auf der untersten Stufe des Frohsinns brennt. Obwohl die Karnevalstradition dort bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht, hatten die „Narren von der Seine“ immer wieder mit fehlender Akzeptanz zu kämpfen. Die erste längere Sessions-Unterbrechung erlebte der Pariser Karneval während der Regentschaft von Kaiser Napoleon I., der während der „tollen Tage“ Unruhen befürchtete und eine mögliche Revolte seines Volkes mit dem Faschingsverbot verhindern wollte. Gerade als sich das zarte Pflänzchen des Pariser Karnevals im Übergang zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert nachhaltig erholen konnte, wurde es durch den beginnenden Zweiten Weltkrieg komplett aus der Erde gerissen. Da die „jecke“ Begeisterung nach Beendigung des Krieges nur punktuell zurückkehrte, entschlossen sich die Verantwortlichen zur Einstellung sämtlicher karnevalistischer Aktivitäten. Erst kurz vor dem Jahrtausendwechsel kehrte der „Carnaval de Paris“ so richtig wuchtig auf die Straßen der französischen Hauptstadt zurück.

Dafür verantwortlich waren ausgerechnet drei britische Musikproduzenten und DJ´s aus der nordenglischen Kleinstadt Crewe, die mit ihrem eigens gegründeten Musikprojekt „Dario G“ den WM-Hit zur wenig später in Frankreich beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft 1998 erschufen. Der Song „Carnaval de Paris“ schlug letztlich nicht nur in Frankreich wie eine Bombe ein, sondern eroberte die „Top Ten“ der Charts in so ziemlich jedem europäischen Land. Dass das Lied am Ende sogar über den großen Teich wanderte und damit ein Welthit wurde, ist vor allem den europäischen Fankurven zu verdanken, welche die Melodie des Songs sehr gut annahmen und lautstark intonierten. Auch fast dreißig Jahre nach dem Erscheinungsdatum wird „Carnaval de Paris“ weltweit immer noch von vielen Stadion-DJ´s eingespielt und darf eigentlich bei keinem großen oder auch kleinen Spiel fehlen!

Dabei liegt der Ursprung des Hits am Ende bei den Fans des niederländischen Clubs FC Utrecht, die sich durch die Melodie des amerikanischen Folk-Songs „Oh, my Darling Clementine“ inspirieren ließen. Nach einem Vorbereitungsspiel gegen den englischen Club Sheffield Wednesday wanderte die niederländische Inspiration über den Ärmelkanal ins englische Mutterland des Fußballs, wo die Melodie von vielen englischen Fanszenen mit dem passenden Text unterlegt wurde und ganz am Ende in die Ohren der angesprochenen Musikproduzenten um Paul Spencer kroch. Die kreierten in der Folge nicht nur ein Fußball-Lied für die Ewigkeit, sondern zeigten vor allem im ikonischen Musikvideo, wofür der Fußball steht: Für seine Vielfältigkeit und die verschiedenen Kulturen!

Bleibt eigentlich nur zu klären, warum sich das angesprochene Musikprojekt aus Crewe den Namen „Dario G“ gab. Hier blieb man ganz nah am geliebten Heimatclub Crewe Alexandra, der zwar schon ewig im elitären Kreis des englischen „Football League“-Systems mitmischen darf, in diesem aber auch chronisch erfolglos agierte. Da man in den untersten Ligen der „Football League“ permanent nur den letzten Platz belegte und mehrfach Anträge zur Wiederaufnahme stellen musste, galt der Club aus der Grafschaft Cheshire lange Zeit als schlechtestes Ligateam Englands. Dieses Trauma setzte sich bis zur Ankunft des heute 83-jährigen Dario Gradi fort, der die Mannschaft im Jahr 1983 übernahm und zunächst einmal im Mittelfeld der Tabelle stabilisieren konnte. Gradi führte den finanziell klammen Verein in den folgenden Jahren mit überragender Jugendförderung in völlig unerwartete Höhen und krönte seine langjährige Arbeit mit dem Aufstieg in die zweithöchste englische Spielklasse. Insgesamt war der in Mailand geborene Anglo-Italiener stolze 24 Jahre am Stück als Trainer der 1. Mannschaft des Vereins tätig und gilt in der Gegenwart völlig verdient als „Jahrhundert-Manager“ von Crewe Alexandra FC.

Ob es für Gradi irgendwann noch die in England übliche Statue vor dem Stadion geben wird, ist allerdings unklar. Dies liegt an einem Missbrauchsskandal aus dem Jahr 2016, wo einem Jugendtrainer von Crewe Alexandra diverse sexuelle Übergriffe nachgewiesen wurden. Obwohl Gradi nichts mit den widerwärtigen Straftaten zu tun hatte, wurde ihm vorgeworfen, den ersten Hinweisen nicht entschlossen genug nachgegangen zu sein. Dementsprechend muss man sich als Fan von „Dario G“ mit einer Anliegerstraße hinter dem Stadion zufrieden geben, welche den Namen des Trainers trägt.

Nach meiner Ankunft in der 75.000-Einwohner Gemeinde musste ich bei nasskalten Bedingungen feststellen, dass Crewe mit Werken der Edelmarke „Bentley“ und dem Zughersteller „Bombardier Transportation“ zwar ein großes Zentrum der britischen Automobil- und Schienenfahrzeugindustrie darstellt, leider aber auch auf einen existenziellen englischen Konzern verzichten muss. Hierbei handelt es sich um die allgegenwärtige Pub-Gruppe „JD Wetherspoon“ die nach der abriss-bedingten Schließung des „The Gaffers Row“ keinen einzigen Pub in Crewe mehr ihr Eigen nennen darf.

In der laufenden Saison schickt sich „The Alex“ mal wieder an, die viertklassige EFL Two nach oben zu verlassen. Im Spitzenspiel des 29. Spieltages traf Crewe als Tabellenzweiter auf den Vierten aus dem Londoner Vorort Wimbledon. Nach Ankunft am kleinen aber feinen Stadion an der Gresty Road konnte man mal wieder diese schöne Normalität spüren, die einem in England oft begegnet. Obwohl der Begriff „Fantrennung“ in England während des Spieles weiterhin sehr groß geschrieben wird, wurden die frierenden Auswärtsfans vor dem Match dazu animiert, auf ein wärmendes Bier in die vereinseigene Gaststätte mit dem Namen „The Railwaymen“ einzutreten.

Vor starken 4.039 Zuschauern, davon knapp 200 Anhänger aus dem 320 Kilometer entfernten London, gingen die Gastgeber durch Jamie Knight-Lebel früh in Führung (14.). Die hatte trotz Überlegenheit allerdings nur bis zur Nachspielzeit der ersten Halbzeit Bestand, als Josh Neufville für den AFC Wimbledon etwas überraschend ausglich (45.+1). Nach dem Pausentee neutralisierten sich beide Teams weitestgehend. Dementsprechend gab es nur noch wenige gute Chancen und Gelegenheiten, mich in aller Ekstase zum Verschütten des heißen „Bovril“ zu verleiten. Es blieb beim verdienten 1:1 (1:1)-Unentschieden, mit dem beide Teams an diesem Abend gut leben konnten.

Aus Crewe ging es zurück ins gut 45 Kilometer entfernte Manchester, wo das nächste Spiel auf dem Programm stand. Natürlich findet Ihr in meinen Social-Media-Netzwerken bei Instagram und Facebook weitere Fotos und bewegte Story-Bilder aus dem Alexandra Stadium von Crewe. Klickt Euch doch mal rein!

Wer sich zum Abschluss dieses Blogs fragt, ob es in der französischen Hauptstadt mittlerweile auch wieder einen echten „Carnaval de Paris“ gibt, ist jetzt vermutlich zu spät dran. Der diesjährige Umzug startete heute um 14 Uhr im 20. Arrondissement am „Place Gambetta“.

STAY TUNED…BLEIBT AUF EMPFANG!