Wie definiert man einen sogenannten Plastikclub? Diese durchaus kontrovers diskutierte Frage kann auch in diesem Blog nicht abschließend beantwortet werden, da im nahezu undurchschaubaren Geflecht der heutigen Proficlubs mittlerweile so viele Geschäftsmodelle existieren, dass eine seriöse Differenzierung zwischen beliebter „Tradition“ und verhasstem „Plastik“ nur noch sehr schwer möglich ist.

An der Spitze der Akzeptanz-Tabelle stehen nach wie vor die Vereine, die irgendwie schon immer da waren und im Profifußball bereits eine Rolle spielten, als Spieler ihren Verein noch aufgrund regionaler Gesichtspunkte auswählten. Diese Gattung existierte bereits, als die „schönste Nebensache der Welt“ noch nicht diesen derart hohen gesellschaftlichen Stellenwert besaß, den sie heute genießt. Zu dieser Zeit waren Fußballprofis noch ganz normale Menschen „zum Anfassen“, die auf fast schon sittenwidrige Gehaltszahlungen verzichten mussten und keine Ablösesummen generierten, die höher waren, als das Bruttoinlandsprodukt eines durchschnittlichen afrikanischen Landes!

Solche Vereine besitzen aufgrund ihrer vererbten Zuneigung zumeist eine überdurchschnittlich große Fangemeinde und dürfen sich gelegentlich über Spieler freuen, die das alternative Angebot aus Nahost nur aufgrund des eigenen klangvollen Vereinsnamens ausschlugen. Leider sind diese Vereine in der Gegenwart oftmals finanziell angeschlagen und finden sich deshalb immer seltener in den oberen Tabellenregionen wieder. Schließlich sind Vereinshistorie und Fußballromantik zwar sexy, stellen aber keinem anspruchsvollen Profifußballer am Ende des Tages den Ferrari vor die Tür.

Mit der gesellschaftlichen und finanziellen Neuordnung des Fußballsystems zum Ende der 1990er-Jahre änderten sich für viele Vereine urplötzlich die Grundvoraussetzungen. Weil der Fußball sein muffiges „Proleten“-Image endgültig ablegen konnte, wurde der Sport auch für die Wirtschaft und ihre Investoren äußerst interessant. Schließlich kann man als Clubbesitzer bzw. Clubsponsor eines gut laufenden Vereines nicht nur Anerkennung und Prestige gewinnen, sondern vor allem ganz viel Geld verdienen. So wurden in den folgenden zwei Jahrzehnten viele unbekannte Clubs mit großzügiger Unterstützung eines großen regionalen Unternehmens aus den Niederungen des Amateurfußballs in den Profifußball gehievt.

Dazu gesellten sich die schwerreichen Unternehmen aus der Automobil-, Software- oder auch Pharmaindustrie, die entweder eigene Clubs erschufen oder ihre Jahre zuvor gegründete Werksmannschaft mit hohen Investitionen an die Spitze pushten und damit die arrivierten Traditionsvereine mehr und mehr verdrängten. Da sich die „Neuen“ ihren steilen Aufstieg zumeist mit großzügigen Finanzspritzen erkauft haben und nicht über die gewachsenen Fan- und Vereinsstrukturen ihrer älteren Konkurrenten verfügen, sind sie für viele Fans sehr uninteressant und gelten als Paradebeispiel eines „Plastik-Clubs“.

Diese konservative, vor allem aber subjektive, Sichtweise eines „alten weißen Mannes“ wird sich auf kurz oder lang allerdings dramatisch ändern, da jüngere Menschen und Fans mit den vielen neureichen und unternehmensfixierten Clubs erwachsen werden und auch den vielen Veränderungen im Regelwerk des Fußballs positiv gegenüberstehen. Deshalb gibt es letztlich keinen echten Leitfaden, wer nun „Plastik“ ist und wer es nicht ist, da sich der Fußball stetig weiterentwickelt. Auch wenn man oft an die guten alten Zeiten zurückdenkt und sich eine Zeitmaschine wünscht, die einen in die 80er-Jahre zurück katapultiert, in welchen man für den Stadionbesuch keine teure Mitgliedschaft benötigte und sich am Spieltag einfach eine Karte an der Tageskasse kaufen konnte.

Während der Geldfluss in Deutschland aufgrund der bestehenden „50+1“-Regel noch relativ moderat ausfiel, ist die monetäre Entwicklung in anderen Ländern fast schon besorgniserregend und hat ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Gerade im englischen Mutterland des Fußballs kann man in der Premier League nur noch erfolgreich sein, wenn man sich der milliardenschweren Unterstützung seines Besitzers bewusst ist. Deshalb gibt es mittlerweile echte Traditionsvereine, die mit zunehmenden Erfolg ein großes Stück der eigenen Identität verloren und mittlerweile „so groß und unnahbar sind“, dass sie auch als unpersönlicher Plastikclub gelten.

Der amtierende englische Meister Manchester City reiht sich nach Ansicht vieler mittlerweile nahtlos in die Riege der unbeliebten Plastikclubs ein. Dabei mussten sich die vielen älteren Fans des Clubs wie die Oasis-Brüder Liam (52) und Noel Gallagher (57), Ryanair-Chef Michael O´Leary (64) oder James Bond-Darsteller Timothy Dalton (79) lange Zeit mit schlechtem und erfolglosen Fußball herumplagen. Die himmelblauen „Citizens“ standen in ihrer 145-jährigen Vereinsgeschichte eigentlich immer klar im Schatten des übermächtigen Stadtrivalen Manchester United und erlebten Ende der 90er-Jahre ihre schwierigste Zeit, als man für eine Saison sogar nur noch drittklassig unterwegs war.

Mit der andauernden Erfolglosigkeit und dem Dasein als „Fahrstuhl-Mannschaft“ wurden die Anhänger des „Skyblues“ äußerst kreativ. In der Saison 1989/1990 reiste die Mannschaft am 32. Spieltag nach Birmingham, wo man im Duell mit dem übermächtigen späteren Vizemeister Aston Villa unbedingt punkten musste. Nur dumm, dass „City“ zu diesem Zeitpunkt seit 41 Erstliga-Auswärtsspielen am Stück sieglos war und den mitgereisten Fans somit nur wenig Hoffnung auf einen Sieg in der Ferne schenken konnte. Völlig überraschend gelang an diesem Tag im April 1990 tatsächlich ein 2:1-Auswärtssieg, mit welchem „City“ die eigene Negativserie eindrucksvoll beenden und wichtige Zähler im Abstiegskampf sammeln konnte. Dieser fast schon sensationelle Erfolg inspirierte die musikalische Ader der mitgereisten City-Fans, welche nach Spielende erstmals das auch heute noch allgegenwärtige Vereinslied „Blue Moon“ mit einer großen Portion englischem Galgenhumor zum Besten gaben. Das im Jahr 1933 von Richard Rogers und Lorenz Hart geschriebene Lied handelt ursprünglich von der seltenen astronomischen Konstellation eines „Blauen Mondes“, welcher im Durchschnitt nur alle 2,7 Jahre vorkommt und damit ungefähr genauso oft, wie ein City-Auswärtssieg in dieser Zeit!

Um nachzuvollziehen, wie sehr sich die DNA des Clubs nach der kompletten Übernahme durch die finanzstarke „Abu Dhabi United Group“ von Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan im Jahr 2008 verändert hat, war mein Spielbesuch in der Saison 2004/2005 sicherlich sehr hilfreich. Zu dieser Zeit saß der Club Dank der großzügigen finanziellen Unterstützung von JD-Sports-Gründer John Wardle bereits vorsichtig auf dem aufsteigenden Ast und gönnte sich vergleichsweise teure Spieler wie Nicolas Anelka, Robbie Fowler oder Shaun Wright-Phillips. Die waren aber lange nicht gut genug, um den damaligen Branchenriesen Chelsea und Manchester United im Kampf um die Spitze Paroli zu bieten. Auch das Spiel gegen Aufsteiger West Bromwich Albion im Dezember 2004 riss die treuen Fans nicht von den Sitzen des „City of Manchester Stadiums“, welches ursprünglich als Leichtathletikstadion für die Commonwealth-Games 2002 erbaut wurde und erst nach Anmietung durch die „Skyblues“ für den Fußball fit gemacht wurde.

Nach der Führung durch den bereits angesprochenen Anelka (32.) sah es lange Zeit nach einem knappen Heimsieg aus. Den verhinderte ausgerechnet Mannschaftskamerad Richard Dunne mit einem Eigentor in der 85. Spielminute, welches dem Aufsteiger aus den West Midlands ein unerwartetes Unentschieden schenkte und die gut 47.000 Zuschauer einmal mehr dazu veranlasste, ihren melancholischen „Blue Moon“ mit voller Inbrunst zu intonieren. Die englische Boulevardpresse titelte am nächsten Tag mit einem Wortspiel „What has he Dunne?“….“Was hat er getan?“ und dürfte dafür gesorgt haben, dass dem amtierenden Eigentor-Rekordschützen der Premier League der morgendliche Tee aus dem Gesicht gefallen sein dürfte.

Ziemlich genau 20 Jahre später hat sich am „City of Manchester Stadium“ nicht nur im sportlichen Bereich viel verändert. Neben den andauernden Bauarbeiten zur Erhöhung der Kapazität auf 62.000 Zuschauer, der Namensänderung auf „Etihad-Stadium“ und der Errichtung des großen Nachwuchscampus fällt sofort ein wichtiges Detail auf, das wie kein anderes für die negativen Veränderungen im Fußball steht. Während man 2004 am Haupteingang des Stadions fast allein auf die Spieler warten konnte und ausreichend Zeit für Autogramme bzw. Fotos mit Fowler und Co. besaß, ist dieser Bereich nun hermetisch abgeriegelt und von unzähligen kreischenden „Pop“-Fans belagert. Auch im Inneren der Arena fällt auf, dass viele normale Sitzplatz-Bereiche mittlerweile in „VIP-Bereiche“ umgewandelt wurden und eine Art „Gentrifizierung“ stattfand. Schließlich wusste schon Uli Hoeneß, dass man mit den VIP´s das meiste Geld verdienen kann.

Dementsprechend war es überhaupt nicht verwunderlich, dass bei Einlauf beider Teams eigentlich nur die gut 3.000 mitgereisten Fans aus dem belgischen Brügge zu hören waren, die ihre Mannschaft frenetisch nach vorne peitschten. Im letzten Spiel der Ligaphase der UEFA Champions League 2024/2025 nahm die Mannschaft des Club Brügge diese Unterstützung dankend an und setzte gegen die spielerisch überlegenen „Citizens“ von Manchester City in der Offensive immer wieder Nadelstiche. Dies war umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die Belgier in Sachen Marktwert gerade mal mit einem Mittelfeld-Team der deutschen Bundesliga zu vergleichen sind.

Einer dieser belgischen Nadelstiche sorgte im Auswärtsblock für unbändige Ekstase, als Nwadike einen schönen Konter zur glücklichen, aber hochverdienten, Halbzeitführung abschloss (45.). In der 2. Halbzeit wurde das Star-Ensemble von Pep Guardiola zwar nicht zwingend besser, zeigte aber eindrucksvoll, wie man sich mit individueller Qualität entspannt durchsetzt. Wie aus dem Nichts schoss die teuerste und wertvollste Mannschaft der Welt einen letztlich ungefährdeten 3:1 (0:1)-Sieg heraus, bei welchem die Belgier bis heute nicht genau wissen, wie das passieren konnte. Einzig Man-City-Star-Stürmer Erling Haaland blieb an diesem Tag torlos und enttäuschte die vielen Jugendlichen im himmelblauen Trikot mit der Nummer „9“.

Auch der „Blue Moon“ wurde an diesem Abend mehrfach angesungen. Allerdings blieb mir nicht verborgen, dass das Lied lange nicht mehr so laut und stolz wie vor 20 Jahren abgeliefert wird. Schließlich passt es auch nicht mehr ganz ins Image eines Clubs mit einem irrwitzigen Markwert von 1,3 Milliarden Euro, wenn man nach dem Gewinn von acht englischen Meisterschaften und dem Titel in der europäischen Königsklasse (nach Übernahme durch die Abu-Dhabi-United-Group) über das seltene Ereignis eines (Auswärts-)Sieges und der damit verbundenen Erfolglosigkeit singt. Und dies ist vielleicht der grösste Identitätsverlust eines Clubs, der sich zwar alles kaufen kann, aber nie wieder durch seine eigenen Fans berührt werden kann.

In meinen Social-Media-Netzwerken bei Instagram und Facebook gibts weitere Fotos und bewegte Story-Bilder aus dem Etihad-Stadium von ManCity. Klickt Euch doch mal rein!

STAY TUNED…BLEIBT AUF EMPFANG!