Nach einer langen nervenaufreibenden Saison offenbart der Wonnemonat Mai alljährlich die finalen Entscheidungen des europäischen Vereinsfußballs. In dieser sicher spannendsten Phase einer Spielzeit ist im Prinzip alles möglich…der plötzlich und unerwartet eintretende Abstieg eines ambitionierten Traditionsclubs, der überraschende Einzug eines biederen Zweitligisten ins glamouröse Pokalendspiel, der sensationelle Klassenerhalt des Aufsteigers mit einem Derbysieg beim Lokalrivalen oder schlicht der 40. Titel eines Rekordmeisters, welcher nur noch mit der obligatorischen Bierdusche auf dem Platz gefeiert wird. Wie es auch immer läuft, zumeist kullern im Mai ganz viele Tränen der Freude, Enttäuschung und Erleichterung, aber auch Tränen des emotionalen Abschieds von verdienten Spielern und Vereinsikonen auf Fan-Schal oder Trikot herunter.

In der vergangenen Woche standen zwei Finalspiele auf dem Programm, die nicht gegensätzlicher hätten sein können und am Ende doch eine gemeinsame Schnittmenge besitzen. Bei dem vermeintlich bekannteren Spiel handelte es sich um das Finale der UEFA Champions League 2021/2022. Allein die Zahlen und Statistiken des weltweit wichtigsten und lukrativsten Spieles im Vereinsfußball beeindrucken…75.000 Zuschauer im ausverkauften Stade de France von Paris, eine weltweite TV-Liveübertragung mit bis zu 300 Millionen Zuschauern und ein millionenschwerer Gesamtumsatz für die teilnehmenden Vereine machen dieses Spiel zu einem großen gesellschaftlichen Ereignis, das allerdings auch aufgrund seiner völlig überzeichneten Eintrittspreise von bis zu 790 Euro (reguläre Preiskategorie 1) stark in der Kritik steht und die Rufe nach einer „fußballorientierten“ Reform immer lauter werden lässt.

Demgegenüber stand ein Finale, das man guten Gewissens als das kleinste Meisterschaftsfinale Europas bezeichnen kann. Das Endspiel des „Campionato Sammarinese di Calcio 2021/2022“, also der Fußballmeisterschaft San Marinos, dürfte nur den wirklich hartgesottenen Fußballfans ein Begriff sein und zeigte schon mit der einzig geplanten TV-Liveübertragung bei San Marino RTV, Kanal 831, seine absolute Exklusivität.

Bei Eintrittspreisen von gut 7 Euro standen sich am vergangenen Donnerstag die Mannschaften von SP La Fiorita 1967 und SP Tre Penne im Nationalstadion von San Marino-Serravalle gegenüber. Das größte Stadion des europäischen Zwergstaates fasst knapp 6.700 Zuschauer und wird während der normalen Saisonspiele der einheimischen Liga nicht genutzt. Hier bleiben die 15 teilnehmenden Vereine wie der amtierende Meister SS Folgore/Falciano oder Virtus Acquaviva auf ihren einheimischen (Dorf-)Sportplätzen.

Nach Abschluss einer Doppelrunde geht der san-marinesische Fußball mit den acht besten Teams in die Meister-Play-offs. In dieser Saison qualifizierten sich die bereits angesprochenen Teams für das große Finale im Nationalstadion. Die wohlklingenden Vereinsnamen, die man sich auch gut auf der Speisekarte eines italienischen Restaurants vorstellen könnte, heißen eingedeutscht übrigens „der Blumige“ (La Fiorita) und die „drei Federn“ (Tre Penne).

Vor der Saison-Rekordkulisse von 529 Zuschauern war bei Einlauf beider Teams trotzdem ein Hauch „Champions League“ zu spüren. Dies lag am offiziellen Einsatz von legaler Pyrotechnik und der feierlichen Nationalhymne San Marions. In den folgenden neunzig Minuten boten beide Mannschaften zwar ein spannendes Spiel mit viel Einsatz und Leistungsbereitschaft an, zeigten aber auch, warum San Marino in der UEFA-Fünfjahreswertung den 55. und damit letzten Platz fast schon einzementiert hat. Im Vergleich zu weiteren Zwergstaaten wie Andorra oder Malta war der Vortrag im spielerischen Bereich schon sehr dürftig und erinnerte eher an ordentlichen Fußball einer deutschen Landes- oder Verbandsliga.

Trotzdem befand sich ein Spieler auf dem Platz, der am Ende den Unterschied machte. Danilo Rinaldi, ein 36jähriger gebürtiger Argentinier, landete in jungen Jahren eher zufällig in San Marino und wurde nach seiner raschen Einbürgerung sofort in das himmelblaue Nationalteam berufen. Da leider auch die Nationalmannschaft San Marinos in der FIFA-Weltrangliste hinter illustren Konkurrenten wie Anguilla, Guam oder den britischen Jungferninseln auf dem letzten Platz steht, wird man bereits durch das Erzielen eines Tores zum Nationalhelden. Dies gelang Rinaldi im Jahr 2012, als er bei der 2:3-Niederlage gegen Malta in der Nachspielzeit traf.

Dementsprechend bewies Rinaldi auch im diesjährigen Meisterschaftsfinale seine „lokale“ Klasse, als er in der 11. Minute zur Führung einnetzte und seine Mannschaft in der Folge zum sechsten Meistertitel führte. Mit dem 2:0 (1:0)-Sieg, den Pancotti mit einem Konter in der 89. Minute sicherstellte, darf SP La Fiorita genau wie Champions League-Sieger Real Madrid an der Königsklasse 2022/2023 teilnehmen.

Während die Spanier erst in der Gruppenphase in den Wettbewerb einsteigen und den Favoritenstatus in ihrer DNA verankerten, muss sich La Fiorita erst einmal durch das Vorturnier zur Qualifikation kämpfen. Hier warten die Meister der drei „schlechtesten“ UEFA-Länder. Die kommen diesmal aus Estland (FCI Levadia Tallinn), Andorra (Inter Club d’Escaldes) und Island (Vikingur Reykjavik) und dürften eine unüberwindbare Hürde darstellen.

Ich kann jedenfalls nur hoffen, dass die Mannschaft von La Fiorita den kommenden Landesmeister-Wettbewerb etwas ernster nimmt als 2018, als man bei der Niederlage gegen die Lincoln Red Imps (Gibraltar) den damals 38jährigen Alessandro Cattelan zwei Minuten vor Abpfiff einwechselte. Der bekannte italienische Fernseh- und Radiomoderator, jüngst beim Eurovision Song Contest in Turin zu sehen, erfüllte sich als Hobbyfußballer so den Traum von der „kurzfristigen“ Champions League-Teilnahme.

Aber auch der unterlegene Rivale SP Tre Penne darf als Trostpflaster seine europäische Geschichte fortführen. Schließlich war man der erste san-marinesische Club, der ein Europapokalspiel gewinnen konnte, als man den armenischen Vertreter FC Schirak Gjumri im Juli 2013 in der Qualifikation zur Champions League sensationell mit 1:0 besiegen konnte. In der kommenden Saison darf man als gesetzte Mannschaft in der 1. Qualifikationsrunde zur UEFA Europa Conference League antreten. Ob das bei ungesetzten Teams wie dem slowakischen Topteam MFK Ruzomberok einen signifikanten Vorteil darstellt, bleibt tatsächlich abzuwarten.

Das war „UEFA55“ in der ältesten Republik der Welt, dem kleinsten europäischen Land mit einer eigenen Fußballmeisterschaft und den vermutlich erfolglosesten Europapokal-Teilnehmern unseres Kontinents. Da es mir aber nie auf Erfolg und Status ankommt, war auch dieses Abenteuer in wunderschöner Umgebung ein voller Erfolg. Dass die (Fußball-)Welt in San Marino noch in Ordnung ist, merkte ich spätestens nach dem Spiel, als man zur nächtlicher Stunde zufällig mit weiteren Fans, Offiziellen des san-marinesischen Fußballverbandes und den sechs eingesetzten Polizisten in einem Restaurant zusammenkam und das Spiel bei einem Mitternachts-Snack Revue passieren ließ.

Selbstverständlich gibt es auf meiner Facebook– und Instagram-Seite wieder einige Eindrücke aus San Marino. Schaut mal rein und lasst ein „LIKE“ da!

STAY TUNED…bleibt auf Empfang!