Meine Europapokal-Reise der laufenden Saison begann an einem schönen Sommertag im Juli des vergangenen Jahres. Für das Spiel der 3. Runde in der Qualifikation zur UEFA Europa-League, AZ Alkmaar gegen Istanbul Basaksehir FK, besuchte ich mit dem Auto unsere niederländischen Nachbarn an der Nordseeküste. Zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison 2015/2016 hätte ich nicht unbedingt damit gerechnet, dass ich nur knapp 10 Monate später einen Großteil der Finalrunde mit Reisen nach Spanien und Portugal live erleben durfte.
Deshalb ist es sicherlich verständlich, dass auch die Halbfinalspiele ein erstrebenswertes Etappenziel für mich darstellten und die Auslosung mit absoluter Spannung erwartet wurde. Zur Auswahl standen diesmal die interessanten Reiseziele Lviv (Spielort für den FC Shakhtar Donezk), Villarreal, Sevilla und Liverpool.
Nach Abwägung aller Möglichkeiten und Prüfung der Reiseverbindungen wurde es letztlich einer der traditionsreichsten Spielorte Europas, das Stadion an der Anfield Road in Liverpool.
Nur wie bekommt man bei einem der bekanntesten und beliebtesten Fussballvereine der Welt mit einem vergleichbar kleinen Stadion reguläre Eintrittskarten für ein europäisches Halbfinale? Nun ja, das war diesmal gar nicht so einfach. Da ich die bekannten Wiederverkaufsportale im Internet aufgrund der zumeist vorhandenen Habgier und Maßlosigkeit einiger Sportkameraden ablehne, verschaffte ich mir zunächst einen kleinen Überblick auf der Homepage des Liverpool FC. Die besagte, dass man für den Ticketverkauf des Spieles gegen das gelbe U-Boot aus Villarreal Mitglied beim LFC sein muss. Sicher wäre der ein oder andere jetzt schnell Mitglied geworden und hätte sich so eine Eintrittskarte gesichert. Aber was macht man, wenn man zusätzlich eine Ankaufshistorie von Eintrittskarten beim Liverpool FC besitzen muss, sprich einen Großteil der diesjährigen Europa-League-Saison des LFC gesehen haben muss? Richtig, erstmal gar nichts!
Während meiner kurz vorhandenen Resignationsphase vor dem Computer fiel mir aber plötzlich ein Begriff ins Auge. Das Wort „Hospitality“! Was sich zunächst nach einem schier unbezahlbaren Angebot mit Zusammenkunft der oberen Zehntausend anhört, war in Wirklichkeit ein sicherlich nicht günstiges, aber bezahlbares und vernünftiges Angebot mit Verpflegung in einem 5-Sterne-Hotel, Transfer zum/vom Stadion und wirklich hervorragenden Plätzen auf dem Centenary-Stand an der Anfield Road.
Generell möchte ich zum Thema Eintrittskarten noch ein bis zwei Worte verlieren. Auf all meinen Reisen habe ich interessante Geschichten zum Ticketkauf erlebt, die vermutlich schon allein einen Blog wert wären. Deshalb werde ich oft gefragt, wie ich das „mit den Karten“ eigentlich immer mache. Ich denke, das ist einfach eine Mischung aus Organisation, Erfahrung, Ideenreichtum, Kommunikation, Beziehungen und manchmal auch Glück. Natürlich sind die Tickets in den seltensten Fällen kostenlos und nicht wenige Leute denken, dass ich aufgrund eines Lottogewinnes jeden Preis zahlen würde. Diesbezüglich kann ich euch aber beruhigen, ich habe weder in der Lotterie gewonnen, noch zahle ich jeden Mondpreis. Da ich die Wiederverkaufsportale aufgrund ihrer sittenwidrigen Preise wie gesagt ablehne, zahle ich immer nur den regulären Preis. Und der lag bei den meisten Europa-League-Spielen in dieser Saison zwischen doch recht angenehmen und erträglichen 10 und 25 Euro.
Für den Kick an der Merseyside ging es am Vatertag 2016 frühmorgens mit meinem Lieblingsflugzeug für die Kurzstrecke, einem Canadair CRJ900 der Eurowings, von Düsseldorf nach Manchester. Nach Ankunft am Airport Manchester wählte ich das Fernbusunternehmen National Express für den kostengünstigen Transfer in das ca. 60 km entfernte Liverpool.
Dort traf ich pünktlich gegen 10 Uhr morgens ein und musste bereits bei meinem ersten Eindruck feststellen, dass sich einiges zum Positiven gewandelt hat. Bei meinem letzten Besuch im Jahr 2006 war Liverpool eine recht graue englische Großstadt, die nur knapp zwei Jahre später Europas Kulturhauptstadt sein sollte. Dementsprechend wurde damals viel umgebaut, die Stadt war eine einzige Großbaustelle.
Nun hat sich die Stadt doch recht eindrucksvoll herausgeputzt und stellt tatsächlich eine ernstzunehmende Alternative für einen netten Städtetrip dar.
Beginnen möchte ich bei der kurzen Vorstellung mit dem Herz jeder City, dem Stadtzentrum mit Fußgängerzone. In diesem befinden sich viele Geschäfte, Restaurants und Kneipen, nett zusammengefasst in der mondänen Shoppingmall mit dem Namen Liverpool ONE. Die Mall besteht aus mehreren Teilen in gesamten City und verfügt über Innen- und Außenbereiche. Dort dürfen natürlich auch die Fanshops der beiden professionellen Liverpooler Fußballclubs, den „Reds“ vom Liverpool FC und den „Toffees“ vom Everton FC, nicht fehlen. Sinnigerweise hat man beide Fanshops direkt nebeneinander angesiedelt. Dies hat sich der gefühlt etwas kleinere Club, der Everton Football Club, mit einem bemerkenswerten Marketingschachzug zu Nutze gemacht und seinen Fanshop mit einem innovativen Namen versehen. Der Shop heisst tatsächlich EvertonTWO und wirkt neben dem Namen der Shoppingmall Liverpool ONE immer als der klare Sieger (Liverpool 1 : Everton 2).
Auf dem anschießenden Weg aus der Innenstadt zum Liverpooler Hauptbahnhof Lime Street passiert man das so genannte „Cavern Quarter“. In dem Viertel befindet sich zum Beispiel der durch die Beatles geprägte Cavern Club. Wer mit der Musikunterhaltung in dem Club nichts anfangen kann, stößt aber dennoch auf eine Vielzahl von weiteren Pups und Clubs, in welchen täglich Livemusik geboten wird. Ein ideales Angebot für Nachtschwärmer und Partygänger, da auch die bekannten englischen Clubfilialen „Flares“ und „Revolution“ vor Ort sind. An diesem Tag war das Quarter übrigens fest in der Hand der Fans des gelben U-Bootes aus Spanien. Für mich war das Viertel erst nach dem Spiel eine Alternative, da ich nach einem sehr intensiven und anstrengenden Tag noch einen Gin Tonic zum Einschlafen benötigte.
Aber auch das am Ufer des Flusses Mersey gelegene Royal Albert Dock mit mehreren Hotels, Restaurants, Museen (Beatles Story, Maritime Museum, Tate Gallery) ist sehenswert und ein „must do“ in Liverpool. Von hier starten mehrere Schiffs- und Fährfahrten über die Mersey, bei welchen zum Ende das bekannte Lied „Ferry cross the mersey“ von Gerry & the Pacemakers gespielt wird. Insgesamt benötigt man für ein ausgewogenes Sightseeing in Liverpool sicherlich zwei volle Tage. Die hatte ich letztlich nicht, da ich ja für einen ganz speziellen Programmpunkt anreiste. Das Halbfinale in der UEFA-Europa-League, Jürgen Klopp´s Liverpool FC gegen CF Villarreal aus Spanien.
Hierfür begab ich mich in einer Art Business-Look zunächst einmal in das noble 5-Sterne-Hotel Titanic, um mein gebuchtes Hospitality-Programm zu genießen. Ich wollte mich ja schließlich an den zuvor übermittelten Dress-Code „Smart Casual“ halten. Nach Ankunft in der Lobby und Erhalt meiner Eintrittskarte wurde mir von einer sehr nett aussehenden Dame ein großer Tisch in dem abgedunkelten Saal zugewiesen. Die zunächst vorhandene leichte Nervosität wich allerdings sehr schnell, da meine Tischnachbarn sehr nett und gut gestimmt waren. Denn mein Tisch kann durchaus als international beschrieben werden. Gäste aus Island, Carlisle (England) und natürlich Deutschland bewiesen, dass unterschiedliche Sprachen und Kulturen nie eine Hürde für eine nette Unterhaltung sein müssen. Für mich mal wieder der Beweis, dass der Fussball bzw. Europapokal letztlich alle vereint. Ein angenehmer Nachmittag mit interessanten Gesprächen, leckerem Essen und dem ein oder anderen Cider.
Pünktlich um 18.00 Uhr wartete dann der Bus vor dem Hotel, um die gesamte Gesellschaft zum ca. 5 km entfernten Stadion an der Anfield Road zu bringen. Dort traf ich aufgrund des starken Verkehrs gegen 18.30 Uhr ein und muss ganz ehrlich sagen, dass die folgenden Eindrücke diesmal schwer zu beschreiben sind. Das liegt daran, dass es wirklich sehr beeindruckend war. Man hatte im gesamten Umfeld des Stadions den Eindruck, in der Zeit 20 Jahre zurück gereist zu sein. Eine insgesamt hoch interessante Mischung aus modernem und traditionellen Stadionumfeld.
Aber der Reihe nach…nach Verlassen des Busses im Bereich des angrenzenden Stanley-Parks musste ich mich dem Stadion erstmal durch die doch recht weitläufige Parkanlage im Rahmen eines 10minütigen Spazierganges annähern. Dies gestaltete sich sehr unkompliziert, da das Stadion am Ende des Parks auf einer kleinen Anhöhe thronte und jederzeit zu sehen war. Ich habe keine Ahnung, warum ich zu diesem Zeitpunkt an den Kaiserslauterer Betzenberg denken musste. Bei Ankunft an der weltbekannten Anfield Road geriet ich zufällig in die Ankunftsphase der beiden Mannschaftsbusse. Zu diesem Zeitpunkt schwirrte in meinem Gehirn bereits der Gedanke des „absoluten Irrsinns“ über das zu erwartende Ereignis. Mehrere tausend Fans an der gesamten Strecke, ein über uns schwebender Hubschrauber, berittene Polizei, rot-weisser Rauch, eindrucksvolle Fangesänge und ein durch Bier völlig verunreinigter Mannschaftsbus aus Spanien hätte ich eher im südlichen Teil Europas erwartet. Nachdem beide Busse das Stadioninnere sicher erreichten, bestand für mich kurzfristig die Chance, die Menschenmassen zu passieren und auf die andere Seite des Stadions an der Walton Breck Road zu gelangen.
Da das Stadion zur Zeit im Bereich der Haupttribüne umgebaut und vergrößert wird, war dieses Unterfangen gar nicht so einfach. Ich musste für einen weiteren Spaziergang noch einmal ca. 15 Minuten investieren, die sich rückblickend aber in jedem Fall rentierten. Der Gang führte mich durch die umliegenden Wohnsiedlungen mit den typisch englischen Einfamilienhäusern und den dazugehörigen engen Gassen und Straßen. Vor den Häusern standen teilweise ganze Familiengenerationen mit Liverpool-Trikots, die sich das bunte Treiben genüsslich anschauten. Dazu noch mehrere Pubs, welche von hunderten Fans belagert wurden und klar stellten, dass Recycling und Dosenpfand in England kein ernsthaftes Problem sind. Davon zeugten die gefühlt 14.000 leeren Bierdosen im Umfeld der Pubs. Der deutsche Pfandsammler hätte vermutlich sein Eldorado gefunden.
Bei Ankunft an der bekannten Fankurve „The Kop“ an der Walton Breck Road schien die Zeit irgendwie stehen geblieben. Alte Gebäude, Pubs, Geschäfte, Merchandising-Stände und auch der stark frequentierte Hauptsitz der Bewegung „Hillsborough Justice Campaign“ (Initiative für die 96 Toten der Stadion-Katastrophe von Sheffield) erinnerten an eine andere Zeit. Dies hing auch mit den dort anwesenden und recht kräftig wirkenden Personen zusammen, bei welchen es sich offensichtlich um „Sportfreunde“ alter Prägung handelte. Wer mit diesem Begriff nichts anfangen kann…es handelte sich um Menschen, die in früheren Zeiten vermutlich gerne Pullover und T-Shirts von „Blue System“ trugen, bei Turnschuhen die Marke „New Balance“ bevorzugen und gerne in Kontakt mit Anhängern anderer Clubs treten.
Bevor es dann ins Stadioninnere ging, konnte ich im Bereich des Centenary-Stand sehen, was dieser Verein und seine Fans in der Vergangenheit bereits erleiden mussten. Neben der Stadionkatastrophe von Sheffield mit 96 Toten erinnerte eine Tafel auch an die Katastrophe von Brüssel im Jahr 1985 mit 39 Todesopfern.
Nach Passieren der üblichen engen englischen „Turnstiles“ (Eingänge mit Drehkreuz) hatte ich es geschafft. Ich war drin, trotz meiner vielen Stadionerlebnisse tatsächlich mal ein besonderes Gefühl. Der anschließende Blick auf meine Eintrittskarte, verbunden mit der erfreulichen Erkenntnis eines spielfeldnahen Sitzplatzes, steigerte meine Vorfreude nochmals um einige Prozent. Ich saß in Reihe 4, was aufgrund des in England erhöhten Spielfeldes bedeutet, dass man auch als Zuschauer am Spiel teilnehmen muss. Das bezieht sich in erster Linie auf das Reklamieren von Entscheidungen gegen den FC Liverpool, da der Linienrichter nur gut einen Meter entfernt agierte.
Das anschließende Halbfinalspiel unter der Leitung des ungarischen Schiedsrichters Viktor Kassai ist in der Folge recht schnell zu erzählen. Nach der frühen Führung des LFC durch ein Eigentor des Spaniers Soriano gelang es Daniel Sturridge und Adam Lallana in der zweiten Halbzeit die Führung in einen ungefährdeten 3:0-Sieg umzuwandeln. Und obwohl dieses torreiche Spiel auf einem richtig guten Niveau geführt wurde und von teilweise entfesselten Zuschauern begleitet wurde, möchte ich den Spielbericht recht kurz halten. Denn auch während des Stadionerlebnisses empfand ich einige Sachen „wichtiger“ bzw. erwähnenswert.
Da wäre zunächst das bekannte Lied „You´ll never walk alone“ von der Liverpooler Gruppe Gerry & the Pacemakers zu nennen, welches vor jedem Spiel von den Zuschauern mit Leidenschaft gesungen wird. Selbst für einen hartgesottenen Stadionbesucher wie mich, der gerne auch mal damit prahlt, fast alles erlebt zu haben, ein absolut einschneidendes Erlebnis. Das war im Zusammenspiel mit der Choreografie für die 96 Toten von Sheffield ein Erlebnis mit Gänsehautfaktor. Sicher ist mir bekannt, dass das Lied mittlerweile in vielen Stadien intoniert wird und als „das“ Fussballlied gilt. Im Original ist es aber aufgrund der Leidenschaft, des typischen Liverpooler „Scouse“-Dialektes, der geölten Liverpooler Kehle und des Umfeldes einfach nur unschlagbar.
Doch auch der vielleicht einzige negative Punkt soll hier nicht zu kurz kommen. Aufgrund der in England bestehenden Gesetzeslage dürfen im Stadioninneren keine alkoholischen Getränke verzehrt werden. Dies wurde mittlerweile auch auf ein Rauchverbot ausgeweitet. Zudem existieren in England aufgrund der Katastrophe von Sheffield seit Jahrzehnten in den höheren Ligen keine Stehplätze mehr. Während des Spieles fiel mir auf, dass die Zuschauer hinter dem Tor auf dem Anfield Road Stand aufstanden, um ihr Team anzufeuern und zu supporten. Dies ist in England nicht gestattet und wurde durch eine sehr große Anzahl von Stewards und Ordnern auch sofort unterbunden. Ein wenig befremdlich für deutsche Fußballaugen.
Abschließen möchte ich meinen Bericht von der Anfield Road mit der „Siegesfeier“ nach dem Spiel. Der deutsche Trainer Jürgen Klopp musste wirklich vor jeder Tribüne seine bekannte Siegerfaust zelebrieren und wurde dafür übermäßig gefeiert. Vielleicht der Beweis, dass der englische Fußballfan die bekannte deutsche Verbissenheit, Disziplin und „Unlustigkeit“ auch ein wenig liebt.
Für mich ging es nach einer kurzen Nacht und einem leckeren englischen Frühstück im Premier Inn-Hotel Birkenhead mit dem Zug der East Midlands-Trains zurück nach Manchester. Dort habe ich noch einen interessanten Programmpunkt absolviert: Das englische Fußballmuseum. Hier ist ein kostenfreier Eintritt möglich, allerdings bittet man um eine kleine Spende. Für die Spende in Höhe von 5 GBP durfte ich dann auch den Premier-League-Meisterpokal und den FA-Cup in Händen halten und an einem Elfmeterschießen teilnehmen. Immer eine schöne Sache für Deutsche, sagte schon der dortige Mitarbeiter. 3 Schüsse und 3 Treffer bewiesen, dass er Recht hatte. Aber auch weitere schöne Exponate wie der bekannte Wembley-Ball von 1966 sind zu bestaunen.
Ich hoffe, ich konnte Euch das Fußballerlebnis Liverpool mit meinem Bericht und den Fotos ein wenig näher bringen. Wie immer danke fürs Lesen!!! Nächste Woche ist es Zeit für das Finale aus Basel. Ich melde mich….Stay tuned!!