Ein Wochenende bei guten Freunden in Schottland…neben dem unvermeidbaren aber auch stark erhofften Kultur- und Ernährungsprogramm mit der Abkürzung „PPP“ sollte einmal mehr auch das runde Leder ausreichend gewürdigt werden!

Anders ausgedrückt…drei Tage auf der britischen Insel mit Pub, Pie und dem ein oder anderen Pint sollten den Rahmen für ein ganz besonderes Spiel im Weltfussball bilden! Das 418. „Old Firm“-Derby von Glasgow!

Bevor es zum schottischen Spiel der Spiele ins Ibrox-Stadium gehen sollte, war Samstag noch ausreichend Zeit für eine leckere Vorspeise…denn die gehört zu einer besonderen (Haupt-)Mahlzeit schließlich dazu!

Für den Appetitmacher ging die Fahrt in die nur knapp 25 km östlich von Glasgow gelegene Nachbargemeinde Motherwell! Dort traf der heimische Motherwell Football Club am 4. Spieltag der Scottish Premiership 2019/2020 auf den Hibernian Football Club aus der Hauptstadt Edinburgh!

Bereits bei Ankunft am altehrwürdigen Fir Park war irgendwie klar, was mich in den kommenden 90 Minuten erwarten sollte!

Das im Jahr 1895 erbaute Stadion mit seinen charakteristischen Flutlichtmasten, den verschachtelten Katakomben, dem überall verbauten Wellblech, seinen uralten herunterklappbaren Holzsitzen und den unnachahmlich engen „Turnstiles“ vermittelt dem Besucher den Eindruck, dass „Kick and Rush“ genau hier erfunden wurde!

Wer jetzt darauf hoffte, ein Spiel mit gepflegtem Kurzpassspiel, einem dynamischen Taktikwechsel von 3-5-2 über 4-3-2-1 auf 4-3-3 sowie einer falschen Neun oder gar einer abkippenden Sechs zu sehen, wurde bitter enttäuscht!

Die 22 Spieler waren mit einer Ausnahme mehr oder weniger gross gewachsen und würden mit ihren gestählten Oberkörpern sicher auch im Boxring eine gute Figur abgeben! Aber genau diese physische Präsenz benötigt man vermutlich auch, wenn man über die gesamte Spieldauer als Abwehrspieler hoch geschlagene Bälle unter andauernder Bedrängnis aus der Gefahrenzone herausbefördert oder als Stürmer vorne „fest machen“ möchte!

Obwohl technisch hochwertiger Fußball zumeist auch taktisch anspruchsvoller ist, muss ich gestehen, dass diese einfache Art des Fußballs auf mich eine gewisse Magie ausübt! Hier muss man das oftmals beschriebene geschlossene Visier bis zur Fußspitze verlängern, um unbeschadet herauszukommen!

Vor 5964 Zuschauern gingen die Gastgeber in der 23. Minute in Führung…der mit 1,75 m eher kleine und schmächtige Außenspieler Sherwin Seedorf zog von links in den Strafraum und schloss mit Rechts ins lange Ecke ab…technisch äußerst fein und ein Beispiel, dass es selbst in Schottland auch ohne Gewalt geht! Sollte man aber auf der anderen Seite vom Neffen des großen Clarence Seedorf auch erwarten dürfen!

Die Führung der „Steelmen“ sorgte bei den gut 1600 mitgereisten Anhängern der Hibs nicht unbedingt für gute Laune. Die wurde bei dem grün-weißen Celtic-Schwesterclub noch schlechter, als man das Spiel in der 2. Hälfte komplett herschenkte! Donnely per Handelfmeter (80.) und Hylton (86.) bauten die Führung für Motherwell aus und sorgten für einen, auch in dieser Höhe, verdienten Heimsieg!

Der Sonntag stand dann ganz im Zeichen des 418. „Old Firm“ von Glasgow, eines der intensivsten Stadtderbys dieser Welt!

Die Partie zwischen dem 54fachen schottischen Meister Rangers Football Club und dem 50maligen Champion Celtic Football Club elektrisiert nicht nur in Glasgow die Massen…da beide Clubs zusammen mehr Anhänger als alle übrigen Premiership-Clubs besitzen, sorgt das Derby im gesamten Schottland für eine unfassbar große Rivalität!

Wie zu erwarten geht es in diesem Spiel nicht nur um Fußball, sondern auch um Religion, Politik und die dazugehörige Weltanschauung! Mit diesem sehr speziellen, vielschichtigen und vor allem heiklen Thema habe ich mich in der Vergangenheit bereits auf meiner Homepage www.henninglovesfootball.com auseinandergesetzt!

In der Kurzform bedeutet dies, dass hier zwei Clubs aufeinandertreffen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite der Rekordmeister Rangers FC mit seinen blauen Trikots, Club der Protestanten und loyalen Unionisten des Vereinigten Königreiches von Großbritannien…dem gegenüber der grün-weiße Celtic FC, katholischer Gegenpart der irischen Einwanderer! In politisch unruhigen Zeiten mit dem anstehenden „Brexit“ ein Duell mit besonderem Zündstoff!

Ich durfte diesem Derby zum ersten Mal beiwohnen und erhielt die exklusive Möglichkeit, den gesamten Tag aus Rangers-Sicht zu erleben! Der „Old Firm“-Tag begann aufgrund der äußerst frühen Anstoßzeit (12 Uhr Ortszeit) bereits um 08.30 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück…am Tisch war es eher ruhig, die Anspannung und Nervosität schwebte im Wohnzimmer förmlich umher! 

Von der Bahnstation „Croy“ ging es dann in die Glasgower Innenstadt! Obwohl die Gemeinde Croy eher als katholisch und damit „Celtic-affin“ gilt, fanden sich gegen 09.45 Uhr fast nur Menschen mit blauen Rangers-Trikots am Bahnhof ein! Dies lag daran, dass das Spiel im mit 49.873 Zuschauern restlos ausverkauften Ibrox Stadium der Rangers stattfand. Während in anderen Ländern wie Deutschland zumeist 5-10 Prozent der Karten an den Gast gehen, wohnten dem Match nur etwa 800 Celtic-Fans bei! Mehr Karten gab es für die Grün-Weißen einfach nicht!

Auch in meinem Wagon konnte ich nur einen Celtic-Fan identifizieren…Typ klassischer „Businessmann“, dessen Poloshirt mit dem grünen Kleeblatt trotz des Sakkos gelegentlich zum Vorschein kam! Dieses recht einseitige Bild änderte sich auch im Stadtzentrum nicht, die Farbe „Blau“ dominierte nicht nur…sie war trotz des Stadt-Derbys die Einzige!

Vom Bahnhof „Queen Street“ ging es mit der U-Bahn in Richtung Stadion…noch einmal 12 Minuten Fahrt bis zur Station „Cessnock“…dort lag bei Verlassen des Tunnels schon der streng frittierte Geruch von „Fish and Chips“ in der Luft…irgendwie authentisch!

Nach einem kurzen Spaziergang war der Ort der inneren Einkehr erreicht…der lieb gewonnene „Neptune Social Club“, für mich ein besonderer Ort, auch wenn er von Außen nicht so aussieht! Das graue Gebäude mit Flachdach und einem elektrischen Rolltor war um Viertel vor Elf noch geschlossen. Dies hing damit zusammen, dass der gewerbliche Alkoholausschank erst ab 11 Uhr behördlich erlaubt war und vorher keine Gaststätte öffnen durfte! In Verbindung mit der frühen Anstoßzeit kann man alkoholbedingte Ausschreitungen so einfach verhindern!

Zumindest in der Theorie…während der 15minütigen Wartezeit vor dem schweren Rolltor wurde in unserer Gruppe bereits das Geld für zwei schnelle Runden im Neptune Club gesammelt! Wohlgemerkt eine knappe Stunde vor Spielbeginn! Mit Öffnung des Clubs ging es rein…Mitgliedsausweis vorzeigen…Sitzplatz suchen…zwei Pints in 20 Minuten…das alles selbstverständlich im absoluten Schnelldurchgang! Da kann die Blase später schon mal nervös werden!

Gegen 11.30 Uhr ging es die 500 Meter rüber zum Ibrox-Stadium…während in Deutschland zu dieser Zeit schon lange die Vorspielphase mit Vereinssong und Aufstellung zelebriert wird, ist man in Schottland eher gemütlich unterwegs…das eigentliche Programm mit den Gassenhauern „Blue Sea of Ibrox“ und Tina Turner‘s „Simply the best“ startet kurz vor Anpfiff bzw. vor Einlauf der Teams!

Und genau dieses Einsingen erzeugte die totale Gänsehaut…absolut beeindruckend, wenn knapp 50.000 Menschen „volle Kanne“ singen! Das Spiel war mit Ausnahme des Endergebnisses genau so, wie ich es stimmungstechnisch erwartet habe! Ich war wirklich dabei…bei einem Spiel, für welches populäre Pubs in Glasgow umgerechnet 15 Euro Eintritt nehmen, nur um das Spiel bei Sky zu sehen!

Nach Anpfiff des etwas unglücklich wirkenden schottischen FIFA-Schiedsrichters Bobby Madden ging es sofort voll zu Sache! Harte Zweikämpfe, eingesprungene Tacklings mit beiden Beinen voraus sowie die ein oder andere zarte Rudelbildung…es soll tatsächlich Spieler gegeben haben, die mehr Grätschen als Ballkontakte hatten!

Obwohl die Gastgeber während der gesamten Spieldauer das aktivere Team waren und 60 % Ballbesitz sicher auch jeden Statistik-Liebhaber befriedigen, konnte sich die Mannschaft von Steven Gerrard letztlich nur 2-3 halbe Chancen erspielen. Da man im Mittelfeld zudem etwas unkonzentriert, gedankenschwach und behäbig wirkte, kam man nie zügig „hinter“ die Celtic-Defensive…von den gelegentlichen sowie ungewohnten dummen Fehlpässen im Spielaufbau ganz zu schweigen. 

So entführte der Gast vom Celtic Park am Ende mit 2:0 (1:0) die Punkte und ließ sich von seinem Anhang gebührend feiern! Ein wirklich bitterer Tag für die Rangers-Gemeinde!

Deshalb ging es nach Spielende schnurstracks zurück in den Club…ein oder auch zwei Frust-Bier mussten jetzt sein…und was soll ich sagen…nach einer guten Stunde setzte eine Art Trotzreaktion ein…es wurde gesungen und auch schon wieder gelacht…was muss hier erst nach einem Derbysieg los sein???

Alles in allem ein sehr schöner Tag und ein tolles Erlebnis! Ich möchte mich bei meinen Gastgebern ganz herzlich bedanken!!! Zudem wünsche ich dem Rangers FC viele Punkte im Verlauf der weiteren Saison, damit sie wieder da hinkommen, wo sie eigentlich hingehören: An die Spitze! 

„Thank you very much especially to the Wright-Family for your outstanding hospitality and support! Hope to see you soon!“

Das war das 418. Old Firm…mein erstes Glasgow-Derby und hoffentlich nicht das letzte!

In meinem Instagram-Account https://www.instagram.com/Henning_loves_football/ gibt es wie gewohnt noch viele zusätzliche Eindrücke aus Schottland mit bewegten Bildern in der Story! Schaut mal rein!

STAY TUNED…es geht weiter…immer!

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