Bei all meinen Fußballreisen in den letzten Jahren war die Türkei immer ein Schwerpunkt. Dies liegt daran, dass ein wichtiger Teil meiner Familie in der lebhaftesten Stadt dieses Landes lebt. Und so bin ich in den Genuss gekommen, nahezu alle Istanbuler Vereine live erleben zu dürfen.

In diesem Artikel möchte ich meine Erlebnisse beim Spiel der UEFA-Europa-League 2015, Besiktas JK gegen den englischen Vertreter Liverpool FC , beschreiben. Dies fand am 26.02.2015 statt. Jeder Fußballbesuch geht natürlich mit dem Kauf von Eintrittskarten los. Dies ist in der Türkei aufgrund der doch recht strikten Gesetze nicht mehr so einfach. Der türkische Staat hat sich nämlich aufgrund der gelegentlich herrschenden Fangewalt bei Derbys der Istanbuler Vereine eine personalisierte und landesweite Fancard ausgedacht. Diese nennt sich „PASSO-LIG“ und kann auch von Ausländern im Vorfeld bezogen werden. Wer jetzt denkt, wir leben in Deutschland in einem totalitären Bürokratiestaat, der sollte einmal diesen Pass bestellen. Zunächst meldet man sich über die in türkisch und englisch verfügbare Internetseite ca. 2 Monate vor der Reise an. Nach Eingabe sämtlicher persönlicher Daten mit Reisepassnummer muss man über die Webcam ein Foto von sich in die Türkei schicken. Danach kann man die Bearbeitungsgebühr von ca. 5 Euro mit seiner Kreditkarte abbuchen lassen und sich für ein beliebiges Stadion seiner Wahl in der Türkei zur Abholung der Karte entscheiden. Dies dauert selbst für einen geübten Computermenschen ca. 45 Minuten. Ich bin nicht geübt und stand den kompletten Prozess tapfer durch. Letztlich entschied ich mich zur Abholung der Karte für das Stadion des Konkurrenten Fenerbahce SK. Im Büro des Sücrü-Saracoglu-Stadions erhielt ich nach mehrfacher Sichtung meines Reisepasses und der Unterzeichnung von mehreren Formularen dann endlich meine Fancard.

Nur was mache ich, wenn das Spiel vor Anreise aufgrund des attraktiven Gegners plötzlich komplett ausverkauft war? Richtig, ich habe das erste Mal in meinem Leben eine oft etwas teurere Alternativquelle gewählt. Dies war in Zeiten des Internets recht einfach. Die Übergabe der Karten war dann aber etwas für einen Agentenfilm. Nach mehreren Telefonaten mit einem recht gut englisch sprechenden Kontaktmann wurde ich zum bekannten Taksim-Platz bestellt. Dort erfolgte eine recht konspirative Übergabe der Tickets, auf welchem nun mein neuer Name Mehmet Aydin als Besitzer angegeben war. Warum hatte ich da nur die Frage im Kopf, was der echte Mehmet eigentlich am Abend macht.

Nach Erhalt der Tickets am Spieltag stieg nun die Vorfreude auf das Match. Diese Lust auf Fußball wurde bei der anschließenden Anreise zum Stadion allerdings auf eine harte Probe gestellt. Das Spiel fand aufgrund des Stadionneubaus von Besiktas im größten Stadion der Stadt, dem Atatürk Olympia Stadion statt. Und so ging die Reise gegen 15.00 Uhr los. In einer 14-Millionen-Mega-City wie Istanbul eine nicht ganz einfache Aufgabe. Wenn man nämlich den guten alten Herrn Google zur Routenplanung vom asiatischen Stadtteil Acibadem zum „europäischen“ Atatürk-Stadion befragt, kommt schnell eine Entfernung raus, die auch für die Nutzung eines ICE auf der Strecke von Bochum nach Düsseldorf gereicht hätte. Da ich aber diesen Herrn Google vorab nicht befragte, wurde die „Anreise“ ebenfalls ein echtes Abenteuer. Wir starteten mit diversen öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus, Straßenbahn, U-Bahn) und gelangten hiermit in einer unerwartet guten Durchschnittszeit in den europäischen Teil. Da die U-Bahnen auf dem letzten Teilstück allerdings total überfüllt waren, entschieden wir uns auf den „letzten Metern“ für die Nutzung eines Taxi. Das Stadion konnte nicht mehr weit sein. Zu diesem Zeitpunkt war es 18:00 Uhr.

Die Geschichte der Taxifahrt hätte eigentlich einen separaten Beitrag verdient gehabt, trotzdem versuche ich diese irre Fahrt zu beschreiben. Die Fahrt startete ein wenig verspätet, da wir in dem Stadtteil zunächst kein freies Taxi fanden. Nach erfolgtem Einsteigen trafen wir auf einen netten, ca. 35jährigen Taxifahrer. Dieser schaute nach Nennung des Fahrtzieles, einem immerhin 70.000-Menschen fassenden Olympia-Stadions, recht sparsam und ein wenig unwissend. Aber zum Glück gibts Handys, dachte sich der Chauffeur. Hier kann man den Joker setzen, den eigentlichen Taxifahrer anrufen und sich den Weg erklären lassen. Denn unser Taxifahrer machte das nur aus Hobby und zur Aushilfe. Nach einem kräftigen „Tamam“ ging die Fahrt nun los. Er vermittelte jetzt zumindest den Eindruck zu wissen, wo er hinwill. Im Verlauf der anschließenden 1 1/2 Stunden Fahrt habe ich nicht mehr damit gerechnet, überhaupt noch ein Fußballspiel zu sehen. Wenigstens war es eine nette Fahrt, die trotz der langen Fahrzeit nicht mal überteuert war. Und da ich aufgrund der unklaren Ausgangslage ein wenig angespannt war, spendierte der überragende Fahrer sogar noch Zigaretten. Ja und irgendwann war es soweit, man konnte den Riesenklotz am Horizont erkennen. Und da wir zu diesem Zeitpunkt mal wieder in einem Superstau auf einer Stadtautobahn standen, stiegen wir aus und liefen die letzten 2 Kilometer. Das machte letztlich jeder, die Autos wurden einfach auf der Autobahn geparkt. Ein interessantes Gefühl.

Nach Ankunft am Stadion war nur noch der Einlass zu absolvieren. Vor jedem Zugang stand ein Wasserwerfer der türkischen Polizei sowie ca. 20 behelmte Kollegen. Nach umfangreichen Sicherheitskontrollen (insgesamt 4 Mal) waren wir tatsächlich drin. Und das noch vor der Euro-League-Hymne, ich konnte es eigentlich nicht fassen. Es soll sogar eine kleine Träne die Wange herunter gerollt sein.

Das Spiel war ebenfalls wahnsinnig. Ausverkauftes Haus, ca. 65.000 Zuschauer, ein freier Block, hermetisch abgeriegelte 500 Liverpool-Fans und eine Stimmung, wie ich sie selten erlebt habe. Das war eine magische Europapokalnacht aus dem Buche. Das Spiel war jederzeit spannend und zumindest von Besiktas mit viel Herz gespielt. Und als der ehemalige HSV-Spieler Tolgay Arslan dem Liverpooler Keeper Mignolet mit einem Schuss in den Winkel keine Chance ließ, war das Ergebnis des Hinspieles egalisiert. Es gab Verlängerung und dann das, was man sich immer wünscht. Ein ELFMETERSCHIESSEN, und das auch noch, Dank der Seitenwahl durch Schiedsrichter Damir Skomina, vor unserer Kurve.

Eine schier unfassbare Spannung, jeder Schütze traf im regulären Teil des Shoot-outs. Und als Besiktas wieder vorlegt hatte, kam der Liverpooler Dejan Lovren und jagte den Ball in den Istanbuler Nachthimmel. Ich befand mich in einem Menschenknäuel und muss sagen, dass mein Adrenalinspiegel schon mal niedriger war.

Der abschließende Fangsang der 64.500 türkischen Fans wird mir ewig in Erinnerung bleiben, vermutlich weil er den Gesamtzustand aller Heimfans recht gut beschrieb:

Sex, Sex, Sex on the beach….