Mit dem Bundesliga-Aufstieg 1971 kehrte beim VfL Bochum 1848 eine schier unfassbare Stabilität und Beständigkeit ein.

Obwohl die Mannschaft von der Castroper Straße durch sogenannte Experten wie Bild-Trainer Max Merkel vor Saisonbeginn regelmäßig als potentieller Absteiger eingestuft wurde, streckte die Truppe um regionale Spieler wie Ata Lameck oder Lothar Woelk dem imaginären Abstiegsgespenst Jahr für Jahr die Zunge raus…und das trotz stark limitierter finanzieller Möglichkeiten!

Diese Serie hielt unglaubliche 22 Jahre, in welchen der Verein zwar nie über Platz 8 hinauskam, aber dafür auch immer erstklassig in der Bundesliga spielte! Zudem konnte man im Jahr 1988 das DFB-Pokalfinale in Berlin erreichen, wo man Eintracht Frankfurt mehr als unglücklich mit 0:1 (0:0) unterlag!

Da diese sportlich starke Leistung des Vereins außerhalb Bochums naturgemäß als durchschnittlich und langweilig wahrgenommen wurde, war der VfL in den 1970- und 1980er Jahren die personifizierte graue Maus der Bundesliga!

Die Blau-Weißen hatten zu Beginn der 90er-Jahre aber auch einen anderen, viel schöneren, Spitznamen zu bieten…der kreative Beiname „Die Unabsteigbaren“ war rückblickend eher eine ganz große Bürde, unter welcher man irgendwann begraben werden musste!

Am 33. Spieltag der Saison 1992/1993 steckte die Mannschaft von Trainer Jürgen Gelsdorf mal wieder tief im Abstiegskampf der 1. Bundesliga! Was kann da einfacher sein, als ein Auswärtsspiel beim designierten deutschen Meister FC Bayern München?

Die Legende der „Unabsteigbaren“ erhielt schon vor diesem richtungsweisenden Spiel in München deutliche Risse! 

In einer völlig indiskutablen Hinrunde gewann die Mannschaft von Trainer Holger Osieck insgesamt nur einmal und stand nach 17 Saisonspielen mit mickrigen acht Punkten abgeschlagen am Tabellenende! Das rettende Ufer war zu diesem Zeitpunkt bereits satte fünf Punkte entfernt…angesichts der damals geltenden 2-Punkte-Regel sollte die Aufholjagd ein schwieriges Unterfangen werden!

Dementsprechend ließ der Club nichts unversucht…nach dem frühen Trainerwechsel am 12. Spieltag (Gelsdorf folgte auf Osieck) verpflichtete Manager Klaus Hilpert mit Holger Aden im Winter noch den gewünschten Stoßstürmer!

Fortan spielte die Mannschaft „vonne Castroper“ weitaus kompakter, erfolgreicher und entfachte in der Anhängerschaft neuen Mut! Sollten die „Unabsteigbaren“ ihren Kopf wie immer aus der Abstiegsschlinge ziehen können?

Bis zum 33. Spieltag holte die Gelsdorf-Elf ordentliche 16 Punkte, welche bei einem durchschnittlichen Verlauf der Hinrunde locker für einen Mittelfeldplatz gereicht hätten!

Trotz der guten Rückrunde musste der VfL Bochum 1848 im angesprochenen Auswärtsspiel beim FC Bayern München unbedingt punkten, um die Chance auf den Klassenerhalt am letzten Spieltag zu vergrössern!

Leider waren Auswärtsspiele beim FC Bayern für viele Clubs auch vor knapp 30 Jahren schlimmer als eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt!

Vor 64.000 Zuschauern kam der VfL im ausverkauften Münchner Olympiastadion richtig gut ins Spiel und hätte durch Yoo-Sung Kim und Holger Aden in Führung gehen können! Sollte tatsächlich eine Sensation in der Luft liegen?

Jeder Fußballfan, der seinem Herzensverein in den vergangenen 30 Jahren schon einmal in einer ähnlichen sportlichen Situation nach München gefolgt ist, wird spätestens jetzt wissen was kommt.

Mit Ausnahmen bietet der FC Bayern München seinen Besuchern gestern wie heute nur zwei Spielmuster an:

1.) Der Gast ist von Beginn an völlig unterlegen und fährt nur mit einer einstelligen Niederlage nach Hause, da das bayrische Star-Ensemble abends noch in die Discothek P1 möchte! In diesem Spielmuster sind 4-5 Gegentore pro Halbzeit keine Seltenheit! 

2.) Der Gast hat Selbstvertrauen, erspielt sich gute Chancen und ist an einem perfekten Tag zumindest mal gleichwertig. Da man fahrlässig nicht in Führung geht, stellt der FC Bayern auf Spielmuster Nr. 1 um!

Zusammenfassend kann man sagen, dass Fußballwunder in München für den Gast ungefähr so häufig vorkommen, wie eine gleichzeitig stattfindende Sonnen- und Mondfinsternis!

Nach den bereits angesprochenen Bochumer Torchancen von Kim und Aden wussten die Zuschauer nach ziemlich genau einer halben Stunde, welches Spielmuster es an diesem Tag sein sollte! Die Roten zeigten einmal mehr, wie furchtbar effektiv man immer schon war!

Zur Halbzeit stand es wie von Geisterhand 3:0 für den FC Bayern…die Herren Mehmet Scholl, Christian Ziege und Lothar Matthäus entschieden das Spiel innerhalb einer knappen Viertelstunde! Ich fühlte mich wie vom Zug überfahren!

Dass es am Ende kein FCB-Schützenfest wurde, lag an bayrischer Zurückhaltung in der 2. Halbzeit und dem Bochumer Ehrentreffer durch den damals 23jährigen Dariusz Wosz (74.)!

Bei Abpfiff des Spiels durch Schiedsrichter Alfons Berg war der VfL zwar Dank der Niederlage des direkten Konkurrenten 1. FC Nürnberg noch nicht abgestiegen, hatte aber aufgrund der schlechteren Ausgangsposition nur noch geringe Hoffnung auf den Klassenerhalt!

Mein T-Shirt mit dem Aufdruck „Unabsteigbar“ war jedenfalls deutlich eingelaufen! Vor Abfahrt mit dem gereinigten Sonderzug orientierte ich mich an der Rückseite der Eintrittskarte! Die zeigte mir jedenfalls schon vor 27 Jahren, wo ein hungriger Fußball-Fan auf der langen Auswärtsfahrt immer irgendwie landet!

Nach der bitteren Niederlage beim FC Bayern besiegte der VfL am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison 1992/1993 die SG Wattenscheid 09 im Stadtderby mit 3:1 (2:0)!

Da der 1. FC Nürnberg im Parallelspiel erwartungsgemäß mit 4:1 (3:1) gegen den bereits abgestiegenen 1. FC Saarbrücken gewann, war dieser letzte Saisonsieg völlig wertlos! 

Nach 22 Jahren Bundesligazugehörigkeit gab es für die „Unabsteigbaren“ kein erneutes Happy-End…der VfL musste den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten!

Bei Abpfiff der Partie durch den Kölner Schiedsrichter Jürgen Aust stürmte ein Großteil der 20.000 Zuschauer auf das Spielfeld und feierte die Bochumer Spieler! Weinende und niedergeschlagene Akteure wie Frank „Funny“ Heinemann oder Holger Aden wurden von euphorischen und fröhlichen Fans auf Händen getragen! 

Diese recht skurrile Verarbeitung des 1. Bundesliga-Abstiegs der Vereinsgeschichte war letztlich aber nur der positive Abschluss eines Stimmungswandels!

Nachdem die Mannschaft um Alpenbomber Uwe Wegmann in einer desaströsen Hinrunde viele Sympathien verspielte, weckte die teils begeisternde Rückrunde mit Siegen gegen Schalke, Mönchengladbach oder Abstiegs-Konkurrent Nürnberg neue Euphorie und Begeisterung! Dieser Stimmungsumschwung zeigte eindrucksvoll, dass der VfL-Fan gar nicht so eine hohe Erwartungshaltung besitzt…es hört sich zwar abgedroschen an…aber ehrlicher Ruhrgebiets-Kampf-Fußball weckt in Bochum immer die Lebensgeister! Für diese Aussage spende ich gerne fünf Euro ins beliebte Phrasenschwein!

Für die darauffolgende Saison 1993/1994 transferierte der Club diese Aufbruchstimmung in sein erstes Zweitligajahr! Da Dynamo Dresden aufgrund der erschlichenen Erstliga-Lizenz „nur“ mit einem Punkteabzug bestraft wurde und wider Erwarten erstklassig blieb, verlor der VfL auch am grünen Tisch und musste tatsächlich in dieser unerforschten zweiten Liga antreten!

Zum ersten Zweitliga-Spiel beim SV Meppen 1912 (1:0) setzte sich die Bochumer Fan-Karawane wie beim letzten Bundesliga-Auswärtsspiel in München mit Sonderzug, Bussen und Autos in Bewegung und gab der Mannschaft den nötigen Rückenwind!

Es folgte eine richtig schöne und erfolgreiche Saison mit völlig neuen Erfahrungen…plötzlich war man selbst der Favorit…getreu dem Motto „Eine neue Liga ist wie ein neues Leben“!

Am Ende gelang der Mannschaft mit einem 1:0 (0:0)-Sieg beim VfL Wolfsburg der sofortige Wiederaufstieg! Das entscheidende Tor an diesem 36. Spieltag erzielte selbstverständlich Dariusz Wosz! Ich erinnere mich gerne an die gemeinsame Party auf dem Platz des alten Wolfsburger Stadions am Elsterweg, bei welcher ich von Abwehrspieler Rob Reekers mit Dosenbier versorgt wurde!

Das Mannschaftsposter zeigt den VfL-Aufstiegs-Kader 1993/1994 mit den originalen Autogrammen!

Bei Ansicht des Posters muss ich feststellen, dass die Farbwahl der Trikots schon etwas grenzwertig war! Zudem bin ich etwas erstaunt über die Werbepartner auf dem Poster…in der heutigen Zeit würde ein Werbedeal mit dem „Dortmunder Union-Bier“ vermutlich wochenlange Demonstrationen vor dem Stadioncenter verursachen! Gut, dass wir mittlerweile fast schon traditionell durch die geliebte Bochumer Brauerei Moritz Fiege versorgt werden!

Zum Abschluss noch eine Erklärung für die hier anwesenden Jugendlichen zum Werbepartner „Nokia“…in grauer Vorzeit besaßen Eure Eltern und älteren Verwandten fast alle ein Handy von Nokia. Die finnische Firma stellte die angesagten Handys in Bochum her…die Dinger waren so angesagt, dass man guten Gewissens vom „IPhone“ der 90er sprechen kann! Die Handys hatten coole Namen wie „3310“ und letztlich eine wirklich unfassbare Funktion: Man konnte mit den Geräten telefonieren…klingt komisch, ist aber so!

STAY TUNED!