Der Donnergott „Thor“ war eine der wichtigsten Figuren der nordischen Mythologie und wurde insbesondere bei den seeerprobten Wikingern als vertrauenswürdiger Herr über Sturm, Gewitter und Regen verehrt. Dementsprechend war es mehr als naheliegend, dass die Gründungsväter der färöischen Hauptstadt Torshavn den vermeintlich stärksten aller Götter als Namenspatron für ihre Kommune auswählten.
In der Gegenwart besitzt die auf der Insel Streymoy gelegene Hauptstadt etwas mehr als 14.000 Einwohner und gilt als kulturelles sowie wirtschaftliches Zentrum der Färöer Inseln. Auch wenn der „Hafen des Thor“ damit nur geringfügig größer als der nordrhein-westfälische Urlaubsort Winterberg ist, versprüht er bei Ankunft dieses manchmal schwer zu beschreibende (Groß-)Stadtgefühl. Dies gilt vor allem dann, wenn man sich zuvor mehrere Tage in der schroffen Natur der Färöer Inseln aufhalten durfte, in welcher Begriffe wie Hauptverkehrszeit, Andrang oder Stress überhaupt nicht existieren.
Genau deshalb war die Ankunft in Torshavn gleichbedeutend mit der Rückkehr zur Normalität…ein Zustand, den man nach der wohltuenden Entschleunigung der Vortage nicht unbedingt vermisst hat. Plötzlich gab es wieder Ampelkreuzungen, Querverkehr, eine Fußgängerzone mit Geschäften sowie ein kleines Einkaufszentrum mit dem einzigen Fastfood-Burger-Grill der gesamten Inselgruppe. Während das Ansehen dieser Restaurantkette in Deutschland aufgrund der Investigativ-Recherche eines Kölner Fernsehsenders massiv gesunken ist, kam es in Torshavn speziell in den Abendstunden zu langen Warteschlangen am exklusiven Autoschalter. Schließlich will jeder mal ein „Big King“ sein.
Bevor das Bild über Torshavn jetzt allerdings zu negativ gezeichnet wird, bleibt in jedem Fall festzuhalten, dass die „Kapitale der Färinger“ eine wirklich einladende und sympathische Stadt mit schönen Cafés und einem kleinen aber feinen Sightseeing-Programm ist. Hervorzuheben ist hierbei sicherlich das Altstadt- und Regierungsviertel auf der Halbinsel Tinganes, in welchem man mit ein wenig Phantasie in die Wikingerzeit zurückversetzt wird.
Mit der offiziellen Einweihung des neu erbauten Nationalstadions „Torsvollur“ im Jahr 2000 kehrte die färöische Nationalmannschaft aus dem Svangaskard-Stadion von Toftir in die Hauptstadt zurück. Die hochmoderne Arena, die übersetzt übrigens „Thor´s Platz“ heißt, besitzt ein Fassungsvermögen von gut 6.500 Zuschauern und gilt damit als grösstes Stadion des Landes. Da es in Torshavn keine Hochhäuser oder größeren Geschäftsgebäude gibt, fällt dieses Stadion mit seinen futuristisch anmutenden Flutlichtmasten speziell aus den etwas höher gelegenen Stadtteilen sofort ins Auge.
In direkter Nähe zum „Torsvollur“ befindet sich mit dem „Gundadalur“ ein weiteres Stadion, das durchaus höheren Ansprüchen genügt und in der Vergangenheit bereits als Gastgeber für mehrere Vergleiche in der Qualifikation zu den verschiedenen Europapokal-Wettbewerben fungierte.
Das „Gundadalur“ fasst insgesamt 5.000 Zuschauer und weist eine Besonderheit auf, die es in dieser Form so vermutlich kein zweites Mal gibt. Dies liegt an den beiden Hausherren der 1911 in Betrieb genommenen Sportanlage. Hierbei handelt es sich um die beiden Hauptstadt-Konkurrenten HB und B36, welche in dem Stadion jeweils über ihre eigene Sitzplatztribüne verfügen. Während sich im südlichen Bereich des Platzes auf der gesamten Länge eine Art Haupttribüne „für alle“ erstreckt, stehen auf der gegenüberliegenden Seite zwei baulich voneinander getrennte Tribünen, in welchen beide Vereine ihre Funktionsbereiche, Büros und Clubheime untergebracht haben. Die außergewöhnliche Anordnung beider Tribünen sorgt unweigerlich dafür, dass man bei Draufsicht von der gegenüberliegenden Seite an zwei Burganlagen aus dem Mittelalter denken muss, aus welchen sich die Ritter beider Königreiche abwechselnd angreifen.
Was sich oberflächlich betrachtet nach gegenseitiger Ablehnung und Feindschaft anhört, stellte sich im direkten „Derby“-Vergleich allerdings ganz anders dar. Auch wenn die Rivalität mit Sicherheit sehr groß ist, begegnete man sich im Torshavener Hauptstadtderby durchgehend mit Fairness und Respekt. Dementsprechend war es auch während des Spieles ohne eine verstärkte Ordnerkette jederzeit möglich, einen Hotdog vom B36-Grill zu essen und anschließend bei HB ein Bier zu trinken.
Vor dem Aufeinandertreffen beider Rivalen am 16. Spieltag der „Betri Deildin“ 2025 konnte man anhand des Tabellenstandes vorsichtig prognostizieren, dass weder die Rot-Schwarzen des „Havnar Bóltfelag“ noch die schwarz-weißen Jungs des „Fótbóltsfelagið B36“ in dieser Saison etwas mit dem färöischen Meistertitel zu tun haben werden. Da die Erwartungshaltung in beiden Fan-Lagern trotzdem hoch ist, sollte am Ende der Kalenderjahr-Saison wenigstens die fast schon obligatorische Qualifikation zur Vorrunde der UEFA Conference League herausspringen.
Nach einer torlosen ersten Halbzeit mit leichten Feldvorteilen für den färöischen Rekordmeister HB nahm das Duell in der zweiten Hälfte mal so richtig Fahrt auf. Dies lag vordergründig an HB-Schlussmann Bjarti Vitalis Mork, der zwei Minuten nach Wiederanpfiff aufgrund einer Notbremse des Feldes verwiesen wurde. Den anschließenden Freistoß versenkte B36-Mittelfeld-Akteur Petersen aus gut 20 Metern völlig humorlos und sorgte für einen ganz bitteren Einstand des frisch eingewechselten HB-Ersatzkeepers Reinis Reinholds.
Die Mannschaft von B36 war in Überzahl nun deutlich überlegen und drückte auf die Entscheidung. Spätestens mit dem 2:0 durch Agnarsson (61.) schien der Drops gelutscht zu sein. Da wir aber alle wissen, dass Fußball gelegentlich ein nicht näher zu erklärender Sport ist, wurde es tatsächlich nochmal spannend. Mit einer Standardsituation gelang HB der schmeichelhafte Anschlusstreffer (80.), welcher in der verbleibenden Spielzeit völlig überraschend zu einer völligen Schubumkehr im Spielapparat führte. Die Schwarz-Weißen von B36 verloren in Überzahl nun völlig den Faden und mussten in der 90. Minute den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleichstreffer von Emil Pedersen hinnehmen. Damit endete das Platz-Derby von Torshavn vor 500 be- und entgeisterten Zuschauern schiedlich friedlich mit einem 2:2 (0:0)-Unentschieden.
Wäre noch die Frage zu klären, wie weit die beiden Geschwister-Stadien „Gundadalur“ und „Torsvollur“ tatsächlich voneinander entfernt sind? Ohne jetzt eine genaue Meterzahl zu wissen, ergab ein Selbstversuch nach dem Spiel, dass man den Weg von der B36-Tribüne im „Gundadalur“ bis in den Mittelkreis des „Torsvollur“ völlig entspannt innerhalb eines 45-sekündigen Spazierganges erledigen kann. Dass so eine ungewöhnliche Zeitnahme überhaupt möglich war, liegt an der Tatsache, dass die Stadien auf den Färöer Inseln jederzeit für jeden zugänglich sind, um einfach mal ein wenig Fußball zu spielen. Dies gilt selbstverständlich auch für das angesprochene Nationalstadion, welches außerhalb von Spieltagen der färöischen Gesellschaft nahezu uneingeschränkt zur Verfügung steht. Ein Umstand, der vermutlich auch nur auf den Inseln im Nordatlantik funktioniert, da man Begriffe wie Vandalismus und Gruppengewalt dort maximal im Duden findet.
In meinen Social-Media-Netzwerk bei Instagram gibt’s ein paar bewegte Story-Bilder zu meinem Spaziergang zwischen „Gundadalur“ und „Torsvollur“. Klickt Euch doch mal rein!
STAY TUNED…BLEIBT AUF EMPFANG!