Eine Europapokal-Fahrt im November kann je nach Wahl des Reiseziels eine sehr kühle Angelegenheit werden! Das gilt insbesondere für Spielorte in Ost- und Nordeuropa. Für den 4. Spieltag der UEFA Europa League 2017/2018 fiel meine Wahl Anfang November deshalb auf das spanische Ziel Donostia-San Sebastian. Ich wollte einfach nochmal ein wenig Sonne tanken und die dicken Jacken zu Hause lassen, der Winter in Deutschland kommt schließlich früh genug!
Bevor ich jetzt über eine Reise in eine wunderschöne Stadt und Region berichte, muss ich das Reiseziel zunächst einmal geografisch und politisch richtig einordnen. Zumindest versuche ich das, denn an der folgenden Problematik mit all den Gebietsansprüchen und Unabhängigkeitswünschen sind schon Generationen von Politikern gescheitert.
Natürlich befindet sich die Stadt Donostia-San Sebastian völkerrechtlich auf dem Staatsgebiet des Königreiches Spanien! Diese Aussage sollte man gerade vor Einheimischen aber nicht zu laut kundtun, denn auf den zweiten Blick ist die Stadt fester Bestandteil der autonomen Gemeinschaft Baskenland. Hierbei handelt es sich um eine Art „Bundesland“, welches sich innerhalb Spaniens selbst verwaltet und auch eigene Volksvertreter in das spanische Parlament entsendet! Die im Jahr 1979 gegründete Gemeinschaft besitzt knapp 2,2 Millionen Einwohner und befindet sich im Norden Spaniens. Obwohl vor Ort vieles sehr „spanisch“ wirkt, kann selbst der unvorbereitete Reisende in Bezug auf kulturelle Traditionen und eine wirklich einzigartige bzw. berühmte Küche die Unterschiede erkennen. Spätestens bei der eigenen und unverwechselbaren Sprache der „Euskadi“ merkt auch der letzte Tourist, dass man sich eigentlich nicht mehr in Spanien befindet! Trotz eines weiterhin stark ausgeprägten Wunsches nach Unabhängigkeit von der spanischen Krone (ähnlich wie aktuell in Katalonien), ist die Zeit der radikalen bzw. gewalttätigen Forderungen aufgrund der Auflösung der „ETA“ glücklicherweise vorbei. Die militante Terrororganisation wurde in den 1950er-Jahren gegründet und forderte einen eigenen Baskenstaat auf spanischem und französischem Territorium. Bis zur Auflösung der Organisation im Jahr 2011 kamen 864 Menschen bei Anschlägen ums Leben!
Nach meiner Landung in der mit 352.000 Einwohnern größten Stadt des Baskenlandes, Bilbao, ging es mit einem Leihwagen mehr oder weniger direkt in die Küstenstadt Donostia-San Sebastian! Auf der gut 100 km-langen Strecke über die mautpflichtige Autopista (AP) 8 stieß ich auf etwas, was ich irgendwie gar nicht erwartet hatte. Eine wunderschöne und idyllische Landschaft, bestehend aus Bergen und Tälern, die mich eher an die Alpen in Österreich und der Schweiz erinnerten, aber nicht an das erwartete maritime San Sebastian! Zudem gab es auf halber Strecke mit der Stadt Eibar einen ersten fußballerischen Höhepunkt.
Der mit 27.000 Einwohnern kleinste Ort im spanischen Erstliga-Fußball befindet sich tatsächlich „Irgendwo im Nirgendwo“. Im Gegensatz zur bereits beschriebenen Idylle und Schönheit der Umgebung wurde er offensichtlich in das Tal des Flusses „Deba“ reingepresst, wirkt sehr industriell und verfügt über einige doch eher hässliche Hochhäuser. Der dortige Verein SD Eibar stieg im Jahr 2014 sensationell in die erste Liga Spaniens auf und hält sich seitdem dort mehr als tapfer! Das mit einem Fassungsvermögen von 6.000 Zuschauern ausgestattete „Estadio Ipurua“ ist gar nicht so einfach zu finden, da es zwischen Autobahn und Fluß irgendwie reingebaut wurde. Bei dem in Deutschland bekanntesten Spieler von SD Eibar dürfte es sich um den japanischen Nationalspieler Takashi Inui handeln, der für den VfL Bochum 1848 und Eintracht Frankfurt die mittlerweile bunten Fußballschuhe schnürte. Nach Rücksprache mit dem doch eher recht wortkargen Platzwart durfte ich zumindest mal meinen Kopf reinstecken und ein schnelles Übersichtsfoto schießen! Mehr ging nicht!
Nach meiner Ankunft im 20 km westlich der französischen Grenze gelegenen Donostia-San Sebastian (kurz San Sebastian) wusste ich sofort, dass ich bei der Wahl des Reiseziels diesmal genau richtig lag! Eine Mischung aus Lifestyle, Wetter und den vorhandenen Sehenswürdigkeiten erzeugte ein sehr wohliges und vor allem positives Lebensgefühl!
Die Stadt San Sebastian war mit ihren knapp 190.000 Einwohnern im Jahr 2016 Kulturhauptstadt Europas und kann mit Fug und Recht als Bilderbuch-Küstenstadt beschrieben werden! Das liegt neben den vielen alten Gebäuden in erster Linie an der muschelförmigen La Concha-Panorama-Bucht mit ihrer Strandpromenade! Die Bucht ist wirklich wie gemalt und wird an der Mündung zum Golf von Biskaya von zwei Felsmassiven begrenzt. Gerade das Felsmassiv Monte Igueldo bietet einen nahezu atemberaubenden Blick auf die Bucht und das gegenüberliegende Felsmassiv Monte Urgull bzw. die in der Ausfahrt liegende Felseninsel Santa Clara! Der Monte Igueldo ist mit Hilfe einer historischen Standseilbahn (Funicular de Igueldo) leicht und schweissfrei zu bezwingen und meiner Meinung nach ein absolutes Muss!
Rund um die genannte Stadtpromenade befinden sich weitere Sehenswürdigkeiten, die alle fußläufig erreicht werden können! Gerade die verschiedenen Punkte rund um das neue Rathaus, den Fischereihafen sowie den Jaques-Cousteau-Platz am Aquarium bieten Hobbyfotografen derartig gute Kameraperspektiven an, dass man so manches Foto macht und dann immer verbessern will.
Aber auch die Flußmündung des Flußes Urumea bietet mit dem Konzerthaus und den dortigen Brücken ein sehr schönes Fotomotiv!
In der Altstadt San Sebastians („Parte Vieja“) befindet sich neben der Kathedrale und dem Plaza de la Constitucion das Herz der baskischen Küche. Die vielen kleinen Restaurants und Kneipen bieten die für San Sebastian berühmten „Pintxos de Donostia“ an. Hierbei handelt es sich um kleine Teller mit Gerichten („Tapas“) aus Fleisch, Fisch und unterschiedlichen Beilagen, die einfach von der Theke genommen und gezahlt werden. Die Auswahl ist teilweise so groß, dass man allein aus Kostengründen nie mit zuviel Hunger an die ganze Sache herangehen sollte!
Aber auch für die Freunde des gepflegten Drinks vor oder nach dem Spiel habe ich einen guten Tip! In der Innenstadt befindet sich der Pub „Molly Malone“. Sehr lange Öffnungszeiten, eine hervorragende Getränkeauswahl und Longdrink-Mischungen, die eher an eine Maß auf dem Münchener Oktoberfest als an einen handelsüblichen Gin Tonic erinnern!
Natürlich verfügt die Stadt auch über jede Menge Fußballtradition! Der einheimische Club Real Sociedad de Futbol („Königliche Fußballgesellschaft“) wurde am 07. September 1909 gegründet und ist mit Sicherheit der große Stolz der Stadt! Leider liegen die fetten Jahre auch hier schon ein wenig zurück, die einzigen beiden spanischen Meisterschaften errang der Club Anfang der 1980er-Jahre! Wie nah Sieg und Niederlage manchmal beisammen liegen, erfuhren die Fans im Zeitraum 2003 bis 2010. Nach einer grandiosen Saison 2002/2003 wurde man nur knapp hinter Real Madrid Vizemeister Spaniens. In der anschließenden UEFA Champions League-Saison ging die Reise bis ins Achtelfinale, wo man Olympique Lyon äußerst knapp unterlag. Eine goldene Zukunft lag vor dem Verein, könnte man jedenfalls glauben! Denn wie überall auf der Welt wanderten die aufstrebenden Spieler zu größeren Vereinen ab und hinterließen einen Scherbenhaufen, der nur selten dauerhaft beseitigt werden kann. Am Ende stand 2006/2007 der Abstieg aus der Primera Division, der auch finanziell nicht aufgefangen werden konnte! Da der sofortige Wiederaufstieg nicht geschafft werden konnte, musste der Club im Juli 2008 Konkurs anmelden! Zum Glück gab es eine große Unterstützungswelle in der gesamten Stadt, die dem Verein nicht nur temporär finanziell weiterhalf, sondern auch dafür sorgte, dass es nachhaltig weiterging! So konnte der Club im Jahr 2010 die dauerhafte Rückkehr in die erste Liga klarmachen und ist mittlerweile wieder in den Top 6 des spanischen Fußball angelangt!
Der Club trägt seine Heimspiele im Estadio Anoeta aus, welches aus dem Stadtzentrum innerhalb eines gemütlichen Spazierganges von knapp 30 Minuten erreichbar ist! Das im Umbau befindliche Stadion soll 2018 fertiggestellt werden und dann insgesamt 42.000 Zuschauer fassen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es ein grauer Betonklotz aus den 1990er-Jahren, der zwar einen gewissen Charme besitzt, in anderen Ländern aber durchaus als unfassbare Bausünde durchgehen würde. Eine Art Düsseldorfer Rheinstadion „light“….
In der vierten Episode der Gruppenphase spielte Real Sociedad gegen den FK Vardar Skopje. Die fielen im Stadion in erster Linie durch den kleinsten Auswärtsblock der Welt auf! Dies bezieht sich nicht unbedingt auf die mitgereisten 50-100 Fans aus Mazedonien, sondern auf das Platzangebot, welches zur Verfügung gestellt wurde.
Nach Anpfiff des guten österreichischen Schiedsrichters Robert Schörgenhofer entwickelte sich im Estadio de Anoeta ein Trainingsspiel, welches ich in diesem Wettbewerb bzw. in dieser Form noch nicht gesehen habe!
Während der gesamten Spieldauer waren die heimstarken Basken derartig überlegen, dass man mit dem aktuellen mazedonischen Meister aus der Hauptstadt Skopje schon ein wenig Mitleid haben konnte. Obwohl ich kein großer Freund von Spielstatistiken bin, belegen genau diese die beschriebene Überlegenheit der Mannschaft von Coach Eusebio Sacristan!
77 Prozent Ballbesitz, 11:1 Ecken, 25:2 Torschüsse, 836:255 gespielte Pässe sprechen aus Sicht von Real Sociedad eine deutliche Sprache! Nur aufgrund der Tatsache, dass die Basken ein wenig zu verspielt wirkten, siegte man nach dem 6:0-Auswärtssieg im Hinspiel gestern „nur“ mit 3:0 (1:0)!
Vor knapp 18.000 Zuschauern in der Baustelle „Anoeta“ (Abriss der Südtribüne) erzielten der ehemalige Premier-League-Spieler Juanmi (31.), de la Bella (69., Traumtor durch Volleyschuss in den Winkel) und Bautista (81.) die Tore für Real!
Bei der Mannschaft von Vardar muss man sich fragen, wie man in den Playoffs zur Gruppenphase zwei Spiele gegen Fenerbahce SK siegreich gestalten konnte! 0 Punkte, 1:17 Tore und ein letzter Platz in Gruppe L sprechen eine deutliche Sprache!
Auch am gestrigen Abend spielte man nahezu körperlos und ohne jegliche Härte. In einem Spiel, in welchem man defensiv gut stehen möchte, sind 2 gelbe Karten ein Scherz. Dass das Spiel nicht wieder in einem richtigen Debakel endete, ist nur Schlussmann Filip Gacevski zu verdanken, der zwar äußerst unsicher wirkte, aber in den entscheidenden Aktionen zumeist ein Körperteil an den Ball brachte!
Insgesamt ein völlig ungefährdeter und verdienter Sieg von Real Sociedad, der mit Sicherheit um 3-4 Tore zu niedrig ausfiel. Der beeindruckende Sieg wurde durch die einheimischen Anhänger derartig euphorisch gefeiert, dass das Stadion 5 Minuten nach Spielende komplett leer war! Nur die Auswärtsfahrer aus Skopje mussten artig in ihrem Miniblock warten! Ich war jedenfalls froh, dass ich nach einem Toilettenbesuch sechs Minuten nach Abpfiff noch aus dem Stadion kam. Direkt hinter mir wurde der Eingang verschlossen. Nun ja, andere Länder, andere Feiersitten! Auch das Thema Abreise vom Stadion war definitiv ganz anders als in deutschen Landen. Vor dem Stadion war ein unerträglicher Abgasgeruch wahrnehmbar. Dies lag daran, dass nahezu alle Besucher mit dem Motorroller an- und vor allem gleichzeitig abreisten! Dazu musste man wirklich aufpassen, nicht überfahren zu werden, auch eine neue Erfahrung!
Das war das Baskenland….Danke fürs Lesen! Bleibt auf Empfang, die Reise geht weiter! Ständig!