Im Mai des vergangenen Jahres durfte ich in der britischen Hauptstadt London dem Play-Off-Finale der vierten englischen Liga in der Saison 2015/2016 beiwohnen. In diesem Spiel stritten die Mannschaften des AFC Wimbledon und Plymouth Argyle FC im traditionsreichen Wembley-Stadion um den letzten verbliebenen Aufstiegsplatz in die dritte Liga, die „English Football League One“.
Den Aufstieg sicherte sich am Ende der Londoner Vorortclub AFC Wimbledon mit einem hart erkämpften 2:0-Sieg gegen die Jungs aus der Grafschaft Devon. Die naturgemäß vorhandene überschwängliche Freude bei Fans und Spielern nach Abpfiff war zu diesem Zeitpunkt aber nicht nur dem Aufstieg gewidmet, sondern zeigte in besonderem Maße die Vorfreude auf ein ganz besonderes Highlight der mittlerweile laufenden Saison 2016/2017. Aufgrund des Aufstieges in die League One durften die „Dons“ des AFC Wimbledon erstmals gegen den sehr unbeliebten Rivalen Milton Keynes Dons in einem Pflichtspiel antreten. Die waren nur wenige Tage zuvor aus der zweiten englischen Liga, der sogenannten Championship, abgestiegen und über das bevorstehende Ereignis sicherlich weitaus weniger erfreut.
Warum ein Spiel der dritten englischen Liga im Hinblick auf Clubgebilde wie RB Leipzig oder finanziell aufgepumpte Dorfvereine wie die TSG Hoffenheim nun etwas Besonderes ist, habe ich in meinem damaligen Reisebericht aus Wembley hoffentlich ausreichend erklärt. Ohne diese Geschichte jetzt noch einmal künstlich aufwärmen zu wollen, ist dieses Duell für mich persönlich ein modernes Fußballmärchen. Auf der einen Seite ein durchaus erfolgreicher kleiner Traditionsverein, der pleite war, mit Hilfe seiner Anhänger im Jahr 2002 neu gegründet wurde und mittlerweile insgesamt sechsmal aufgestiegen ist. Dem gegenüber steht ein zuvor nicht existenter Fußballclub, der in der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen wird, die Strukturen des alten Clubs mit Hilfe der aufgekauften Profilizenz einfach übernommen hat und in seiner Eigenschaft als Fahrstuhlmannschaft gerade aus der zweiten Liga abgestiegen ist.
Ich habe jedenfalls Gefallen an dieser Geschichte gefunden und muss sagen, dass das Aufstiegsfinale in Wembley noch mehr Neugier auf die kommenden Ereignisse im Kampf „Gut gegen Böse“ ausgelöst hat. Deshalb war es für mich klar, vor meinem London-Trip im Dezember 2016 auch den Spielplan der League One unter die Lupe zu nehmen. Nach Sichtung der Spielpaarungen des 21. Spieltages war meine Entscheidung trotz interessanter Premier-League-Heimspiele der Londoner Schwergewichte Chelsea FC und Arsenal FC gefallen. Der oft zitierte Fußballgott meinte es sehr gut mir mir und setzte einfach mal das „Dons“-Derby an. Da das erste Pflichtspiel beider Vereine zuerst im knapp 90 km von London entfernten Milton Keynes stattfand, wurde aus dem London-Trip eine kleine England-Reise.
Obwohl der Aufenthalt in London mehr oder weniger schon vollständig durchgeplant war und mit dem Besuch eines Musikkonzertes des ehemaligen The Verve-Sängers Richard Ashcroft in der O2-Arena seinen Höhepunkt finden sollte, muss ein selbsternannter Fußballweltreisender wie ich seinem Ruf gerecht werden und Lösungswege finden.
Hierfür waren zunächst einmal die Chancen auf dem regulären Ticketmarkt zu prüfen. Die waren nach der üblichen Sichtung des Zuschauerschnitts der MK Dons meines Erachtens recht gut. Trotz eines Fassungsvermögens von gut 30.000 Zuschauern wurden die Spiele im sogenannten stadium:mk durchschnittlich von „nur“ 9.400 Zuschauern besucht. Allerdings sollte man aufgrund einer hohen Verfügbarkeit von Karten in England nie von einem einfachen bzw. völlig problemlosen Ticketankauf ausgehen. Dies liegt meistens an den zum Teil recht strengen Regularien beim Ticketing.
Im Fall des Spieles gegen den AFC Wimbledon wurden Fans mit bestimmten Postleitzahlen für den allgemeinen Ticketverkauf grundsätzlich ausgeschlossen. Bei den Postleitzahlen handelte es sich natürlich um den Bereich des Londoner Stadtteils Wimbledon. Mögliche Besucher aus „Übersee“, zum Beispiel ich, wurden um eine direkte Kontaktaufnahme per Email oder Telefon gebeten. Ein Online-Ankauf über das einfach zu bedienende Ticketportal war nicht möglich. Nach dem Versenden einer Email erhielt ich schon wenig später eine Antwort aus England. In dieser wurde mir mitgeteilt, dass es kein Problem sein würde, Tickets zu erwerben. Ich müsste nur die in der Email angehängte Stadionordnung akzeptieren und mittels Rückantwort bestätigen. Mit meiner Antwort bestätigte ich unter anderem, dass ich außerhalb des Gästeblocks nur die Heimmannschaft supporten darf. Zudem waren außerhalb des Gästeblocks jegliche Fandevotionalien des AFC Wimbledon, sprich Fanschal oder Trikot, strengstens verboten. Nach meiner Bestätigungsemail und dem Hinweis, ein neutraler Fußballfan zu sein, bat man seitens der MK Dons um einen Anruf zwecks Bestellung der Karten. Diese Hürde sollte dann die Letzte sein, nach einem angenehmen Gespräch erhielt ich zwei Karten für eine Art VIP-Bereich auf der Haupttribüne.
Nach Buchung einer günstigen Zugfahrkarte war ich der Meinung, bestens vorbereitet zu sein. Zumindest bis zum Vorabend des Spiels. Nur aufgrund der Tatsache, dass das Spiel auch in Deutschland durch diverse Medien wie die Sportschau thematisiert wurde, erhielt ich zufällig eine nicht ganz unwichtige Information. Das Spiel wurde durch die English Football League kurzfristig von der geplanten und üblichen englischen Anstoßzeit 15 Uhr um zwei Stunden auf 13 Uhr vorverlegt. Zum Glück besaß ich „flexible“ Zugtickets mit der Möglichkeit, ein wenig früher nach Milton Keynes zu reisen. Die kurzfristige Vorverlegung eines vermeintlichen Risikospiels wird in England gerne praktiziert. Begründet werden diese Maßnahmen damit, dass Auswärts- sowie Heimfans vor dem Spiel weniger Zeit haben, einen Pub nach der Öffnung um 11 Uhr aufzusuchen. Somit ist die Chance geringer, dass es zu alkoholbedingten gewalttätigen Ausschreitungen kommen kann. Ob die Gewaltdelikte bei Fußballspielen aufgrund dieser Vorgehensweise zurückgingen, ist mir leider unbekannt.
So ging es am 10.12.2016 gegen 10 Uhr mit einem Zug der privaten Bahngesellschaft „London Midland“ vom Bahnhof Euston in Richtung Milton Keynes, eine auf dem Reißbrett geplante Stadt, die übrigens erst in den 1960er-Jahren erbaut wurde. Offenbar hatte ich die schnellste und beste Verbindung nach Milton Keynes ausgewählt, zumindest wenn man einen Großteil der mitreisenden Wimbledon-Anhänger im Zug als Gradmesser für diese Entscheidung nimmt.
Nach einer Fahrtzeit von ca. 60 Minuten ging es irgendwo im nirgendwo raus aus dem Zug. Die Station für das mk:stadium ist nämlich nicht der „Hauptbahnhof“ von Milton Keynes, sondern der vorgelagerte Bahnhof der Ortschaft „Bletchley“. Nach Verlassen der kleinen schnuckeligen Bahnhofsstation, die einmal mehr an den Harry-Potter-Bahnhof „Hogsmeade“ erinnerte, war es aber auch schon vorbei mit der Idylle.
Der Vorort Blechtley war zumindest oberflächlich alles andere als schön. Im Verlauf des knapp 30minütigen Fußmarsches zum Stadion führte der teils unbefestigte Gehweg bei unangenehmen Dauerregen durch mehrere sehr düstere und verdreckte Unterführungen. Absolute Höhepunkte des Weges waren die Ruine eines abgebrannten Burger-King-Restaurants und ein wohl schon länger geschlossener Pub, der mit Holzlatten zugenagelt wurde. Die beschriebene Apokalypse endete aber völlig unvermittelt nach Erreichen des mk:stadiums. Der Ground befand sich nämlich inmitten einer Art Einkaufszentrum. Der übliche 24-Stunden-ASDA-Megasupermarkt, ein Sportgeschäft, ein Fitnessstudio und ein bekannter irischer Textildiscounter waren vor Ort.
Das bereits benannte stadium:mk (ja, das schreibt sich wirklich so) wurde durch den Besitzer des Clubs, Pete Winkelman, als Folge des Umzugs erbaut und im Jahre 2007 mit einem Spiel gegen den FC Chelsea durch die Königin von Großbritannien, Queen Elisabeth II., eröffnet. Dem Stadion ist im Bereich der Haupttribüne ein Luxushotel der Hilton-Gruppe angegliedert. Insgesamt kann man sicherlich festhalten, dass dieses höchstmoderne Stadion inklusive Hybridrasen nicht in die Gegend und schon gar nicht in diese Liga passt. In Deutschland würden sich Bundesliga-Mannschaften wie Darmstadt oder auch Karlsruhe die Finger nach diesem Stadion lecken. Leider ist das Fassungsvermögen (30.500 Zuschauer) für die heimische Fanszene mit Sicherheit völlig überdimensioniert. Bislang war es nämlich noch nie vollständig ausverkauft, zu allem Überfluss wurde der Zuschauerrekord von 30.048 Zuschauern bei einem Spiel der Rugby-WM 2015 (Fidschi-Uruguay) aufgestellt.
Nachdem ich meine Tickets an der Rezeption des Hilton-Hotels abholte, ging es in die erste Etage des Hotels, oder war es doch das Stadion? Dies wurde zunächst nicht ganz klar, da ich mich in einer Art VIP-Lounge befand. Da der Eintrittspreis in Höhe von 30 Pfund aber keine Freigetränke beinhaltete, musste ich mir einen leckeren Cider an einer der zwei Pub-Theken gegen Entgelt besorgen.
Das anschließende „Hass-Derby“ war in der Folge das erwartete englische Drittligaspiel. Man muss diese Art des Fußballspielens schon mögen, in diesem Land, in dieser Spielklasse wird selten filigran oder technisch anspruchsvoll gespielt. Trotzdem ist in dem Spiel eine schier unfassbare Physis, ein unbändiger Wille, ein hohes Maß an Disziplin und vor allem viel Herz vorhanden. Beide Mannschaften schenkten sich gar nichts, grätschten und rutschten auf dem nassen Rasen und sorgten so für eine richtige Schlacht.
Aufgrund dieser doch recht grobschlächtigen Art des Fußballspielens gab es leider auch nur wenige Torchancen. Die Gäste aus Wimbledon hatten sich für dieses Spiel mit Sicherheit richtig viel vorgenommen, konnten es aber während der 90 Minuten überhaupt nicht umsetzen. Gerade im Offensivspiel blieb man vieles schuldig und wirkte gehemmt. Für mich gerade in diesem Spiel ein wenig enttäuschend, da man beim Warmmachen sehr fokussiert wirkte und allein aufgrund des damaligen sensationellen Tabellenstandes (7. Platz) ganz befreit hätte aufspielen können. Die Gastgeber, die zu diesem Zeitpunkt als Absteiger aus der 2.Liga schon wieder im Tabellenkeller standen, profitierten möglicherweise von dem Trainerwechsel unterhalb der Woche. Insgesamt waren die MK Dons ein wenig zwingender und bereiter, das Spiel zu gewinnen. Dies gelang am Ende des Tages vor 11.185 Zuschauern mit einem 1:0 (0:0). Das Tor erzielte der MK Dons-Stürmer Dean Bowditch in der 63.Minute durch einen berechtigten Elfmeter. Die vielleicht einzige unstrittige Entscheidung des Unparteiischen Geoff Eltringham, der während der gesamten Spieldauer sehr unsicher wirkte und bei den 50/50-Entscheidungen grundsätzlich für die MK Dons entschied.
Ich begab mich mit den 2000 enttäuschten Wimbledon-Fans nach Spielende zurück nach London. Bei den 2000 Karten für Fans des AFC handelte es sich übrigens um das gesamte Kontingent. Obwohl viele freie Plätze im Unterrang vorhanden waren, gab es keine weiteren Tickets für Gästefans. Noch eine kleine Episode der strengen englischen Ticketregularien.
Abschließen möchte ich diesen Bericht damit, dass meine Gastgeber in Milton Keynes trotz des „Gummiclub-Images“ sehr freundlich, herzlich und serviceorientiert waren. So stellt man sich einen Besuch als Gastfan vor. Vom Kartenverkauf bis zum Steward war alles top. So muss es sein.
Das war mein Fußballjahr 2016, nochmals vielen Dank für die Unterstützung. Nun gehts weiter mit Fußball, made in 2017!!!
Stay tuned!!!