Nach dem Zerfall der mächtigen Sowjetunion zu Beginn der 90er-Jahre kam es auf der europäischen und zentralasiatischen Landkarte zu erheblichen Veränderungen. Am Ende dieses beispiellosen Erneuerungsprozesses fanden insgesamt vierzehn neue Staaten den Weg in die Geografiebücher unserer Welt. Hierbei handelte es sich ausnahmslos um Regionen, die sich zuvor fast 70 Jahre als Teilrepublik der sogenannten „UdSSR“ hinter dem eisernen Vorhang versteckten.
Mit der Souveränität von Ländern wie Armenien, Georgien oder Usbekistan verlor der bis dato grösste Staatenbund der Welt mit einem Schlag gut fünf Millionen Quadratkilometer seines Hoheitsgebietes. Und dennoch behielt man den prestigeträchtigen Titel des grössten Landes der Welt, da die nachfolgende Russische Föderation mit fast 17 Millionen Quadratkilometern Landmasse auch weiterhin einen beachtlichen Teil der ehemaligen Sowjetunion beanspruchte.
Trotz der von UdSSR-Generalsekretär Michail Gorbatschow ausgerufenen „Glasnost und Perestroika“ lief die lang ersehnte Umgestaltung des kommunistischen Ostens aufgrund der vielen verschiedenen Kulturen und Ethnien nicht überall so, wie man sich das vorstellte. Während es die Bevölkerung der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen kaum abwarten konnte, in die europäische Gemeinschaft integriert zu werden, kam es in der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau zu erheblichen Spannungen um die künftige politische Ausrichtung des noch jungen Landes. Auch wenn der überwiegende Teil der rumänisch-sprachigen Einwohner Moldaus die Unabhängigkeit ihres Landes befürwortete, gab es speziell im russisch-sprachigen Osten der Republik viele Menschen, die gerne in der Russischen Föderation verblieben wären.
Die großen Meinungsverschiedenheiten mündeten kurz nach Gründung der eigenständigen Republik Moldau in einer kriegerischen Auseinandersetzung. Obwohl die heiße Phase des Konfliktes „nur“ knapp fünf Monate andauerte, bestehen die immensen Nachwirkungen bis zum heutigen Tag. Der aktuelle „Status Quo“ erinnert ein wenig an das geteilte Deutschland, in dem sich Bundesrepublik und Deutsche Demokratische Republik bis zur Wiedervereinigung einen jahrzehntelangen Kampf der Systeme geliefert haben.
Auch die Republik Moldau ist in der Gegenwart mehr oder weniger ein geteiltes Land, da beide Parteien nach Beendigung der bereits angesprochenen kriegerischen Auseinandersetzung bis heute keine adäquate (Vereinigungs-)Lösung vereinbaren konnten. Dementsprechend muss man sich in Moldau mit zwei Staatsformen auseinandersetzen. Auf der einen Seite steht nach wie vor die rumänisch-sprachige Republik Moldau mit der Hauptstadt Chisinau, welche Dank ihrer Präsidentin Maia Sandu lieber heute als morgen der Europäischen Union beitreten würde. Demgegenüber steht der abtrünnige Landesteil Transnistrien an der östlichen Grenze zur Ukraine, der sich selbst den offiziellen Namen „Pridnestrowische Moldauische Republik“ gab und weiterhin einen Anschluss an die Russische Föderation befürwortet.
Im Vergleich zum geteilten Deutschland hat die Geschichte in Moldau allerdings einen riesigen Haken. Während Bundesrepublik und Deutsche Demokratische Republik von den Vereinten Nationen sowie vielen anderen Ländern dieser Welt als souveräne Staaten anerkannt wurden, blieb dies bei der angesprochenen „Pridnestrowischen Moldauischen Republik“ (PMR) bislang aus. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es dieses Land mit seiner rot-grünen „Hammer und Sichel“-Flagge eigentlich gar nicht gibt.
Dementsprechend verfügt die kleine „PMR“ mit ihren 350.000 Einwohnern weder über international anerkannte Reisepässe, noch eine Währung, die man im Nachgang seiner Reise in irgendeiner Zentralbank dieser Welt umtauschen könnte. Deshalb sind die Plastikmünzen und Geldscheine des in Tiraspol ausgegebenen „Transnistrischen Rubel“ für die wenigen Touristen nicht nur das perfekte Souvenir, sondern schlicht die einzige Möglichkeit, dort irgendetwas zu bezahlen. Selbst in meiner Unterkunft mit dem passenden Namen „Hotel Russia“ war der heimische (Fantasie-)Rubel die einzige Option, da die Zentralbank der Republik Moldau den elektronischen Zahlungsverkehr im abtrünnigen Separatisten-Gebiet einfach gesperrt und unsere westeuropäischen Kreditkarten damit tatsächlich zu einem unbrauchbaren Stück Plastik gemacht hat.
Der internationale Druck „von außen“ ist der pridnestrowischen Regierung in der Hauptstadt Tiraspol bislang allerdings herzlich egal, da man mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen sehr mächtigen Partner im Rücken hat. Putin erkennt die „PMR“ zwar auch nicht als souveränen Staat an, behielt aber die Stationierung von bis zu 1500 russischen „Friedenssoldaten“ zum Schutz der Grenzen bis zum heutigen Tag bei. Mit der schützenden Hand aus Moskau konnte sich die „PMR“ in den vergangenen gut dreißig Jahren zu einem russischen Außenposten entwickeln, den man in Europa so vermutlich nicht mehr finden wird.
Bei dem mit Abstand wichtigsten Mann Pridnestrowiens handelt es sich überraschenderweise nicht um Präsident und Staatsoberhaupt Vadim Krasnoselsky, sondern um den recht umtriebigen Unternehmer Victor Gusan. Der ehemalige Kriminalbeamte und KGB-Agent gründete in Anlehnung an seine frühere Tätigkeit im Jahr 1993 den „Sheriff“-Konzern und kontrolliert in der Gegenwart fast 70 Prozent der Gesamtwirtschaft des De-Facto-Landes.
Konkret bedeutet dies, dass in der PMR so gut wie jeder ausgegebene Rubel in die Tasche des Sheriffs wandert. Der Konzern beschäftigt über 15.000 Mitarbeiter und ist vor allem mit einem dichten Netz von Supermärkten und Tankstellen im Stadtbild allgegenwärtig. In dem recht unübersichtlichen Unternehmens-Konstrukt des äußerst öffentlichkeits-scheuen Milliardärs befinden sich zudem eine große Textilfabrik, der berühmte Spirituosen-Hersteller „Kvint“ sowie der einzige Mobilfunkanbieter der PMR.
Das absolute Herzensprojekt des Sheriffs residiert vor den Toren Tiraspols und frisst vermutlich viel mehr Geld als es bringt. Hierbei handelt es sich natürlich um den gleichnamigen Fußballclub, der von Victor Gusan 1996 gegründet wurde und dem breiten Fußballpublikum erstmals so richtig auffiel, als man Weltclub Real Madrid im Estadio Bernabeu eine völlig unerwartete Niederlage beibrachte.
Dass es überhaupt zu diesem sensationellen Spielausgang in der UEFA Champions League 2021/2022 kommen konnte, ist letztlich dem Fußballverband der Republik Moldau zu verdanken, welcher den Sheriff trotz aller Grenzkonflikte und der ungeklärten Staatenlösung bis heute in seinen Wettbewerben mitspielen lässt. So kommt es im (gesamt-)moldauischen Fußball Woche für Woche zu einem kleinen fußballerischen Grenzverkehr…einmal mehr der Beweis…dass Fußball tatsächlich verbindet.
Allerdings darf auch nicht verschwiegen werden, dass sich Sheriff nach der Aufnahme ins moldauische Fußballsystem schon allein aufgrund seiner Finanzkraft schnell zum Rekordmeister schoss. Von 2000 bis 2023 konnte man sich unglaubliche 21mal die Meisterkrone aufsetzen, ein Umstand, welcher sicher nicht jedem gefallen dürfte.
Der an der Karl-Liebknecht-Straße 1 gelegene „Sports Complex Sheriff“ wurde 2002 eröffnet und bietet den Sheriff-Akteuren Bedingungen, die man auf dieser Welt so nur selten findet. Auf dem 40 Hektar-großen Gelände, welches durch einen Zaun aus Sheriff-Sternen gesichert ist, findet man neben acht Trainingsplätzen, diversen Tennisplätzen, einem Schwimmbad, dem Jugend-Nachwuchszentrum und einem luxuriösen Wohngebäude insgesamt drei Stadien „für jede Lebenslage“.
Die vollständig überdachte Hauptarena verfügt über 12.500 Plätze und wird zumeist im Europapokal bespielt. Direkt nebenan steht die kleine „Malaya Sportivnaya Arena“, die oftmals im nationalen Liga- und Pokalalltag Beachtung findet und etwas mehr als 9.000 Zuschauern einen Sitzplatz bietet. Abgerundet wird die hochmoderne Anlage mit der imposanten „Indoor-Arena“, in welcher auch Spielbetrieb stattfinden kann, wenn es die Wetterbedingungen draußen nicht zulassen!
Zum meinem ersten Spiel ging es in die bereits angesprochene Indoor-Arena, welche von innen und außen an einen riesigen Zeppelin erinnert. Dort traf die zweite Mannschaft des FC Sheriff in der moldauischen 2. Liga auf den Konkurrenten des FC Speranta Drochia.
Um Moldaus Ligaunterhaus mit dem etwas verwirrenden Namen „Liga 1“ zu beschreiben, war diese Spielbegegnung das Paradebeispiel schlechthin. Auch wenn ich dem FC Speranta nicht zu nahe treten möchte, dieser Auftritt hatte überhaupt gar nichts mit Profifussball zu tun. Und das liegt jetzt ausnahmsweise nicht an der Einstellung der Spieler, dem fehlenden Kampfgeist oder dem schlecht gewählten Spielsystem. Neben zwei bis drei ansatzweise talentierten Akteuren überraschte dieses „professionelle“ Fußballteam vor allem mit Spielern, die aufgrund ihres körperlichen Erscheinungsbildes dringend auf Diät gesetzt werden sollten und an diesem Tag gegen so manchen deutschen Bezirksligisten ein echtes Problem besessen hätten. Wenn man dann noch gegen die Reserve eines Topclubs antritt, der nur auf voll austrainierte U20-Spieler setzt, kann man am Ende mit der 0:5 (0:4)-Niederlage völlig zufrieden sein. Unter die Zufriedenheit sollte sich dann aber noch Dankbarkeit mischen, da die Zweite des FC Sheriff in der zweiten Halbzeit ungefähr drei Gänge zurückschaltete und sogar noch einen Elfmeter vergab.
Zur Wahrheit gehört am Ende der Geschichte allerdings auch, dass diese überqualifizierte U20-Auswahl des FC Sheriff selbst in der 2. moldauischen Liga nichts zu suchen hat, da sie selbstverständlich nicht aufsteigen kann und dazu so ziemlich jeden Gegner Woche für Woche „aus der Halle“ schießt. Nach der Vorrunde grüsste man mit 15 Punkten Vorsprung und einem Torverhältnis von 43:8 vom Spitzenplatz des Unterhauses.

Nach dem torreichen Auftakt in der Halle stand nur einen Tag später die nächste Partie im „Sports Complex Sheriff“ an. Hier traf die erste Mannschaft des FC Sheriff am 4. Spieltag der diesjährigen Meisterrunde auf den FC Balti.
Nach der Ankunft am gut sechs Kilometer vom Stadtzentrum entfernten Sheriff-Gelände zeigte der Verein, dass man vornehmlich Familien mit Kindern ins Stadion locken möchte. Dementsprechend erinnerte das Begleitprogramm eher an Kirmes und bot neben Pony- und Pferdereiten sogar zwei „echte“ Mitglieder der „Paw Patrol“ als ultimatives Fotomotiv an. Zudem gab es vor dem „großen“ Hauptstadion feinste osteuropäische Folkloremusik einer gut gelaunten Kapelle, welche bei einigen Fans sofort ins Blut ging und den Bewegungsdrang erheblich steigerte.
Im Vergleich zu den vergangenen Jahren muss sich der FC Sheriff im Kampf um den Meistertitel auch in dieser Saison mächtig strecken. Nach Jahren der absoluten Sheriff-Dominanz gibt es in Moldau mittlerweile nämlich richtige Konkurrenz, die ebenfalls Lust auf eine Teilnahme an der Königsklasse besitzt. Nachdem Sheriff in der vergangenen Saison im Kampf um die Meisterschaft fast schon sensationell dem FC Petrocub unterlag, schickt sich in dieser Spielzeit der FC Milsami Orhei an, den Rekordmeister ein weiteres Mal zu entthronen.
Da der FC Sheriff vor dem 4. Spieltag der sogenannten „Phase 2“ bereits vier Punkte hinter Konkurrent Milsami lag, zählte im Spiel gegen den FC Balti nur ein Sieg! Nach Anpfiff von Schiedsrichter Roman Jitari kam Sheriff in der kleinen „Liga“-Arena gut ins Spiel. In der 10. Spielminute köpfte der Ghanaer Nana Boakye zur frühen Führung ein und brachte die 2.312 Zuschauer erstmals in zarte Ekstase. Die anwesenden Fans genossen Spiel und schönes Wetter im übrigen völlig kostenlos, da die Tickets im Stadtzentrum und vor dem Stadion einfach verschenkt wurden.
Auch wenn Sheriff weiterhin am Drücker blieb und gute Chancen für eine höhere Führung herausspielte, gab es kurz vor der Halbzeit die kalte Dusche! Zunächst öffnete Petrus seine Schleusen und sorgte dafür, dass sich ein Großteil der Zuschauer fragte, warum Sheriff-Besitzer Victor Gusan in der Liga-Arena nur eine klitzekleine Überdachung installierte. Zudem gelang Baltis Brasilianer Caio Ferreira unter gütiger Mithilfe von Sheriff-Keeper Emil Velic noch vor der Pause der etwas glückliche Ausgleich (39.).
In der zweiten Halbzeit spielte nur noch der Sheriff, welcher an diesem Spieltag äußerst international daher kam und tatsächlich keinen einzigen moldauischen Spieler in der Startelf aufbot. Mit zunehmender Spieldauer wurde der Gast aus Balti im Abwehrverbund allerdings immer sicherer und hätte gut und gerne einen Punkt beim Rekordmeister mitnehmen können. Dafür hätte Balti-Keeper Artur Nazarciuc kurz vor dem Ende eine völlig harmlose Flanke einfach nur festhalten müssen. Tat er nicht und ermöglichte damit dem vom 1. FC Magdeburg ausgeliehenen Montenegriner Aleksa Marusic den vielumjubelten Abstauber zum 2:1 (1:1)-Sieg.
Das waren zwei Tage in der „Pridnestrowischen Moldauischen Republik“ und ihrer Hauptstadt Tiraspol. Wer auch mal Lust auf eine Zeitreise „hinter den eisernen Vorhang“ besitzt und sich von vermummten russischen Soldaten mit Kalaschnikow im Anschlag nicht abschrecken lässt, wird mit jeder Menge Sowjet-Kultur, breiten Pracht-Boulevards wie der „Straße des 25. Oktobers“ und ganz viel pridnestrowischer Propaganda „beschenkt“. Zudem findet man einige interessante Sehenswürdigkeiten wie die Festung in Bendery, aus welcher der berühmte Lügenbaron von Münchhausen auf einer fliegenden Kanonenkugel die feindlichen Stellungen inspizierte.
Bleibt zum Ende dieses Blogs nur die Frage zu klären, warum der Prachtboulevard nach dem 25. Oktober benannt wurde? Auch wenn an diesem Tag zwei berühmte Frauen wie die deutsche Erotik-Unternehmerin Beate Uhse oder die US-Amerikanische Sängerin Katy Perry geboren wurden, bezieht sich das Datum auf die sogenannte Oktoberrevolution eines gewissen Wladimir Lenin im Jahr 1917, also der kommunistischen Grundsteinlegung für die Gründung der Sowjetunion.
In meinen Social-Media-Netzwerken bei Instagram und Facebook gibts neben vielen weiteren Stadion-Fotos und bewegten Story-Bildern noch viele Bilder vom Sightseeing in Tiraspol und Umgebung! Klickt Euch doch mal rein!
STAY TUNED…bleibt auf Empfang!