Fußball und Reisen…das ist mein Projekt „Henning loves Football“! Während das Bahn- und Busfahren in den meisten westeuropäischen Ländern größtenteils vereinheitlicht und relativ einfach zu planen ist, kann man speziell in Osteuropa in die unentdeckten Weiten des öffentlichen Personennah- und Fernverkehres vordringen!

In diesem Blog möchte ich über so ein „Abenteuer im Abenteuer“ mal ein paar Worte verlieren. Die nächtliche Zugreise von Belgrad nach Podgorica war ein wichtiger Bestandteil des UEFA55-Abenteuers in Serbien und Montenegro und muss in einem „Blog Spezial“ ausreichend gewürdigt werden! Im Vergleich zu einer Zugfahrt mit der oft gescholtenen Deutschen Bahn war die Fahrt mit dem serbisch-montenegrinischen Nachtzug „432 Lovcen“ in Puncto Reiseplanung, Fahrkartenkauf und Zugfahrt nämlich ein absolutes Erlebnis sowie eine Zeitreise in die Vergangenheit!

Nach meiner Ankunft in der serbischen Hauptstadt Belgrad am späten Freitagmittag hatte ich nach Ankunft im Mercure Hotel gar nicht so furchtbar viel Zeit! Ich musste mich nämlich schon mal um die Weiterreise nach Podgorica kümmern, die zwar erst für Montag angesetzt war, aufgrund fehlender Online-Buchungsmöglichkeiten aber am guten alten Bahnschalter erfolgen musste…und das nach Auskunft der einschlägigen Reiseportale bitte frühzeitig, bevor der Zug am Reisetag ausgebucht ist und man mit viel Glück noch eine Pritsche im 6er-Abteil erhält!

Gesagt, getan…bei „Google Maps“ den Belgrader Hauptbahnhof eingegeben und ab ging die Post! Nach gut 2 km Fußweg musste ich mir dann aber die Frage stellen, ob das auch wirklich der Weg zum Hauptbahnhof war. Obwohl „Google Maps“ weiterhin auf seiner Routenführung beharrte, konnte ich meine subjektiven Bedenken nicht mehr verheimlichen. Ich befand mich plötzlich in einer Art Problemviertel mit völlig heruntergekommenen Häusern und einer Kneipe, wo mich die 10-15 augenscheinlich stark alkoholisierten und Streit suchenden Gäste von oben nach unten musterten und überlegten, ob der Typ eine längere Haftstrafe wert sei. Vielleicht war es aber auch nur der Streifenwagen der Belgrader Polizei, der gleichzeitig mit mir die derb wirkende Gaststätte passierte und die Gäste zur Ruhe und Ordnung animierte!

Wo war denn jetzt zum Teufel dieser letzte kleine eingezeichnete Fußweg über das Brachgelände der serbischen Bahn? Genau, nicht vorhanden, „Google Maps“ hatte mich megamäßig verarscht! Die einzige Frage, die mich zu diesem Zeitpunkt beschäftigte, war die Möglichkeit, sich schriftlich in Kalifornien zu beschweren!

Ich musste mir also einen anderen Weg durch die Angsträume in Richtung Hauptbahnhof suchen. Ganz einfach…entlang der Autobahn, ein bis zwei mit Graffiti vollgesprühte und menschenleere Tunnel und schwups war ich dann doch da: 

DER HAUPTBAHNHOF BELGRAD…BEOGRAD CENTAR!

Mittlerweile war es 17 Uhr und wir alle wissen, was an einem Verkehrsknotenpunkt im Berufsverkehr am Freitagnachmittag so los ist! Am Hauptbahnhof der 1,6-Millionen-Metropole Belgrad nicht viel…man könnte auch „gar nichts“, „nothing“ oder „nada“ sagen, ich fühlte mich ein wenig wie im Film „28 Days later“, als es nach einer Zombieapokalypse nur einen Überlebenden gab! Der recht modern gehaltene Hauptbahnhof Belgrads war nahezu menschenleer!

Nein, stimmt nicht ganz…im Büro für internationale Reisen saß eine Bahnmitarbeiterin, die vermutlich nur auf mich gewartet hat. Typ Angela Merkel, heruntergezogene Mundwinkel und nicht wirklich zum Scherzen aufgelegt! 

Das Büro hatte den Charme der 1960er Jahre und war so gar nicht kompatibel mit den heutigen modernen Kundencentern. So muss es früher ausgesehen haben, als unsere Großeltern mit dem D-Zug der Bundesbahn eine Reise unternahmen…vielleicht nur mit dem Unterschied, dass die Tapeten da noch nicht vergilbt waren. Die Dame spulte ihr semi-freundliches Verhalten jedenfalls professionell herunter, steckte Papier in den Tintenstrahldrucker und fertigte Fahrkarte und Reservierung! Jetzt konnte mein Sightseeingprogramm in Belgrad endlich starten!

Am Montagabend war es dann endlich soweit…eine der interessantesten Bahnstrecken der Welt lag vor mir. Die Strecke zwischen Belgrad und dem montenegrinischen Badeort Bar wurde im Jahr 1976 nach 25 Jahren Bauzeit fertiggestellt! Die Gebirgsbahn überquert während der 10stündigen Fahrt drei Gebirgszüge und besitzt ihren Scheitelpunkt bei über 1000 Metern Höhe…bis dahin muss der Zug bis zu 25 Prozent Steigung bewältigen! Genau deshalb gilt die Trassenführung als eine der schwierigsten Stecken weltweit. Die komplizierte Streckenführung machte den Bau von über 200 Tunneln und Brücken, darunter die höchste Eisenbahnbrücke Europas, erforderlich! Ich war jedenfalls äußerst ge- und auch ein wenig angespannt!

Die Fahrt sollte fahrplanmäßig vom Belgrader Bahnhof Topcider gegen 21.10 Uhr starten! Der Bahnhof Topcider ist im Gegensatz zum bereits beschriebenen Hauptbahnhof ein historischer Halt am Rand der serbischen Hauptstadt! Hier empfing der jugoslawische Staatsgründer Josip Tito in der Vergangenheit immer seine mit dem Zug ankommenden Staatsgäste…zudem galt der Bahnhof zuletzt im Kosovo-Krieg 1999 als wichtiger strategischer Punkt, da aufgrund der vorhandenen Rampen sogenannte Kriegszüge mit Panzern beladen werden konnten. Der Bahnhof wirkt mit seinem historischen Gebäude aus der Zeit der jugoslawischen Monarchie wie der perfekte Abfahrtsort des Orient-Expresses! Ich war wirklich beeindruckt und hielt Ausschau nach einem gewissen Hercules Poirot!

Leider hielt sich diese Stimmung nicht allzu lange, da das Wort Schienenersatzverkehr offenbar auch in Serbien einen großen Bekanntheitsgrad besitzt!

Aufgrund einer Streckenbaustelle startete der Nachtzug an diesem Abend im kleinen Ort Lazarevac…also erst nochmal gut 50 km in einem vollbesetzten Reisebus, welcher interessanterweise circa eine Stunde vor der planmäßigen Abfahrt des Zuges in Topcider startete. Was wäre passiert, wenn ich nicht überpünktlich vor Ort gewesen wäre? So schlecht das Informationsmanagement in Topcider auch war, so hoch war die Heizung in dem Bus eingestellt…draußen war es stockfinster, innen hatten wir gefühlte 60 Grad Celsius…da macht eine Stunde Busfahrt richtig Laune und regt den Kreislauf an!

21.10 Uhr…Ankunft im Kleinstädtchen Lazarevac…er stand tatsächlich vor mir: Der Nachtzug „432 Lovcen“, eine bunte Mischung aus aus blauen, weiß-blau-roten und grünen Wagons, welche natürlich allesamt mit Graffiti beschmiert waren!

Auf der Suche nach dem Wagen mit der Nummer 462 durfte ich mit meinen Wagen- und (Leidens-)Genossen feststellen, dass der Zug zu lang für den Bahnsteig war. Also runter aufs Schotterbett und die letzten 80 Meter zu Fuß…und das bei absoluter Dunkelheit!

Der Wagon mit der Aufschrift „Schlafwagen“ war offensichtlich deutsche Markenware und hatte 40-50 Jahre auf dem Buckel…dementsprechend gab es auch keinen separaten Stromanschluss oder gar W-LAN!

Nach Kabinenzuweisung durch das mittlerweile eingetroffene Zugpersonal ging es gegen 22.20 Uhr los! Mit Abfahrt des Zuges zogen sich fast alle Reisenden in ihre Schlafkabinen zurück. Die einkehrende Ruhe war aber erstmal nur oberflächlich und so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm! Aufgrund des recht maroden Schienennetzes und der alten Wagons machte der Zug ganz wahnsinnige Geräusche und Bewegungen, die ein sofortiges Einschlafen selbst bei einer leichten Alkoholisierung verhinderten. Das Ambiente war irgendwie mystisch und erinnerte mich an den 007-Film „Der Spion, der mich liebte“, wo James Bond in einem Nachtzug vom „Beißer“ überfallen wurde!

Trotz dieser geheimnisvollen Stimmung war es eine gute Idee, die Augen für 3-4 Stunden zu schließen und ein wenig Kraft zu tanken! Schließlich ist es draußen eh dunkel und auf serbischem Staatsgebiet gibts nicht mehr all zu viel zu sehen! 

Ab kurz nach vier war es dann mit der Ruhe vorbei…der leicht mürrische Zugbegleiter klopfte an jede Tür und entgegnete in Englisch „prepare for control“! Darauf folgten im Abstand von einer Stunde zwei längere Stops im serbischen Bahnhof Prijepolje und dem montenegrinischen Grenzhalt Bijelo Polje! Die Aus- und Einreisekontrollen standen an…stilecht durchgeführt von übermüdeten aber unerwartet freundlichen Grenzposten der serbischen und montenegrinischen Polizei!

Mittlerweile war es kurz vor sechs Uhr und die Reise erreichte langsam aber sicher ihren absoluten Höhepunkt…die Fahrt durch die Berge Montenegros, bekannt aus den Karl-May-Filmen mit Winnetou und Co.!

Die folgenden Eindrücke kann ich weder mit Worten beschreiben, noch geben die beigefügten Bilder einen ausreichenden Einblick in dieses Erlebnis! Nur soviel…der Sonnenaufgang, der Duft der Bäume, die Berge, die Höhe und die Zugstrecke…unerreicht und sagenhaft! Das muss man wirklich erlebt haben!

Mit zwei Stunden Verspätung kam ich geschafft aber glücklich in Montenegros Hauptstadt Podgorica an…476 Kilometer, 12 Stunden Fahrt, 2 Passkontrollen, 254 Tunnel, 243 Brücken und 3 Gebirgszüge! Was ein Ritt!

STAY TUNED!

  • Der Weg, den es nur bei Google Maps gibt!