Nach einem sehr stimmungsvollen Mannschaftsabend mit dem Team des VfL Bochum 1848 war das Trainingslager von Jerez am Sonntag auch schon wieder vorbei. Während die traurige Aufbruchstimmung nach dem Frühstück bei allen Beteiligten spürbar war, konnte ich meinen leicht verlängerten Aufenthalt mit einem Besuch der spanischen Liga verknüpfen…sprichwörtlich „das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden“!

Ein Besuch der weltweit angesehenen ersten spanischen Liga ist mit einer recht existenziellen Frage verbunden: England oder Spanien…Premier League oder La Liga…wo wird Europas bester Club-Fußball gespielt??

Obwohl die nackten Zahlen in Form der UEFA-Fünfjahreswertung momentan für die iberische Halbinsel sprechen, beantwortet jeder einzelne Fußballfan diese Frage ganz individuell mit seinen persönlichen Präferenzen rund um das Thema Fußball!

Während das englische Mutterland des Fußballs auf mich bekanntermaßen eine gewisse Magie ausübt und in der Vergangenheit überdurchschnittlich oft besucht wurde, führten meine Reisewege eher selten in die beliebten spanischen Fußballstadien!

Um die Frage zur besten Fußball- Meisterschaft Europas zumindest ansatzweise beantworten zu können, hatte ich also ein wenig Nachholbedarf!

Am 20. Spieltag der laufenden Saison traf Real Betis Balompié in der andalusischen Hauptstadt Sevilla auf Real Sociedad de Fútbol! Die Partie war so etwas wie der perfekte Indikator für die Stärke einer Fußball-Liga…nicht zu gut, nicht zu schlecht…keine Spitzenmannschaften, keine Abstiegskandidaten…einfach nur gehobener Durchschnitt!

Nach Anpfiff von Schiedsrichter Adrian Cordero Vega entwickelte sich vor 51.171 Zuschauern im kolossal wirkenden Estadio Benito Villamarin ein ausgeglichenes und interessantes Spiel! Überraschenderweise ohne viel Mittelfeldgeplänkel, beide Teams waren stark daran interessiert, ein Tor zu erzielen!

In der 27. Minute gingen die Hausherren in Führung. Nach einer Ecke von Canales köpfte Stoßstürmer Borja Iglesias aus fünf Metern unhaltbar ein…erst das dritte Saisontor des physisch starken Stürmers, der vor der Saison von RCD Espanyol de Barcelona zu Betis wechselte!

Das Tor beeindruckte die Gäste aus Donostia-San Sebastian, welche fortan ein wenig unkonzentriert agierten. Kurz vor der Halbzeit verlor Ander Guevara den Ball in der Vorwärtsbewegung an den offensivstarken Betis-Rechtsverteidiger Emerson. Der Brasilianer nahm Tempo auf, passte flach in die Mitte und fand den großen alten Mann des spanischen Ligafussballs.

Joaquín Sánchez, mittlerweile 38 Jahre alt, ist definitiv mit dem guten alten VW Käfer zu vergleichen. Er läuft und läuft und läuft! In diesem Fall traf er dann sogar mit einem Flachschuss ins lange Eck zur 2:0-Halbzeitführung! Der Außenspieler befindet sich im 20. Profijahr und absolvierte neben 537 La Liga-Spielen auch 52 Länderspiele für Spanien. Ich kenne nicht allzu viele aktive Spieler in seinem Alter, die in dieser Saison bereits sieben Tore geschossen haben und einen Marktwert von 2 Millionen Euro vorweisen können!

In der 2. Halbzeit waren die Gäste von der knapp 1000 km entfernten Biskaya auf einen schnellen Anschlusstreffer aus. Die Mannschaft von Trainer Imanol Alguacil Barrenetxea spielte sich jetzt immer wieder gefährlich in die Box und kam zu einigen gefährlichen Chancen! Allein Sociedad-Außenstürmer Portu hätte zum Held des Tages mutieren können…hierfür hätte er die zwei sich bietenden Riesenchancen aber nicht völlig freistehend und vor allem kläglich vergeben dürfen!

Spätestens bei der Szene des Tages war aber schnell klar, dass San Sebastián an diesem Tag nicht zurückkommt und auch keinen Lotto-Schein mehr abgegeben sollte! Nach einem Steilpass eilt Betis-Keeper Joel Robles aus seinem Tor und klärt den Ball…leider viel zu kurz! Der an der Mittellinie wartende Mikel Merino fackelt nicht lange und schießt aus 51 Metern aufs leere Tor. Ein toller Schuss, der kurz vor dem Tor nochmal auftickt und letztlich von der Latte zurück ins Feld springt! Eine irre Szene!

In der Nachspielzeit finalisierte Canales einen Betis-Konter zum 3:0 (2:0)-Endstand…während die Basken mit der Niederlage den Anschluss an die Champions League-Plätze verloren, rückte Real Betis an die Europa League-Plätze ran…so schnell kann es gehen! 

Bevor ich jetzt mein Fazit zum Ligenvergleich ziehe, möchte ich noch eine Personalie hervorheben. Im Mittelfeld von Real Sociedad zeigte ein Spieler eine richtig starke und reife Leistung, der vor fünf Jahren von so ziemlich allen Fußball-Medien als kommender Weltstar gefeiert wurde! 

Dem ehemaligen Jahrhundert-Talent Martin Ödegaard, im Alter von 16 Jahren bereits bei Real Madrid im Kader, hätten vermutlich die Wenigsten noch so eine Entwicklung zugetraut! Dafür ist die Liste der hochgejubelten Supertalente, welche dann tief gefallen sind, einfach zu lang! Nachdem es bei Real Madrid nicht klappte und er letztlich nur einmal spielen durfte, nahm Ödegaard über die niederländischen Clubs SC Heerenveen und Vitesse Arnheim einen neuen Anlauf! Jetzt ist er zurück in La Liga und mit immer noch jungen 21 Jahren ein richtig starker Mittelfeldspieler mit einem Marktwert von 50 Millionen Euro…Entwicklung und Ende nach oben offen!

Zum Abschluss ist jetzt nur noch die Frage offen, welches Land die beste Liga Europas und vielleicht auch der Welt stellt. 

Letztlich bleibe ich da diplomatisch und möchte mich nicht abschließend festlegen. Ich denke, dass man beide Ligen und den gebotenen Fußball auch gar nicht miteinander vergleichen kann.

Während die englische Premier League allein aufgrund der vielen starken ausländischen Spieler eine Art Weltliga ist, verdienen in Spanien erstaunlich viele einheimische Akteure ihr gutes Geld!

Auch die Art Fußball zu spielen, ist komplett anders. Während in England die Schnelligkeit des Spiels sowie die physische Belastbarkeit der Spieler immer wieder als Vorteil gewertet werden, habe ich in Spanien in Sachen Technik und Spielwitz die ganz feine Klinge gesehen! Da muss man sich als Ball richtig wohlfühlen! 

Insgesamt war es ein sehr stimmungsvoller Nachmittag in einem tollen Stadion…das roch ganz stark nach mehr!

Deshalb passte es doch super ins Bild, dass an diesem Sonntag noch ein weiteres Spiel in Reichweite lag. Frei nach dem charismatischen Weltmeister-Trainer Sepp Herberger, der schon 1954 folgende Redewendung prägte: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“

Nach dem ungefährdeten Sieg von Real Betis Balompié am frühen Nachmittag dirigierte mich mein Navi aus der mediterranen Region Sevilla in die angrenzende autonome Region Extremadura…ein eher abgelegenes Gebiet an der portugiesischen Grenze mit Bergen, Wäldern, Seen und Naturschutzgebieten!

Genauer gesagt ging die Fahrt in die 34.000-Einwohner-Gemeinde Almendralejo in der Provinz Badajoz! Die Kleinstadt beheimatet den erst 2007 gegründeten Club Extremadura UD, welcher nach dem Aufstieg 2018 nun im zweiten Jahr in der 2. spanischen Liga, der sogenannten „La Liga 2“, spielt!

Was sich zunächst relativ traditionsfrei anhört, ist im zweiten Anlauf einmal mehr die beliebte Geschichte des insolventen Clubs, welcher nun unter einem etwas abgeänderten Namen weiterhin im Profifußball existiert!

Der 1924 gegründete „Vorgängerclub“ CF Extremadura sorgte Ende der 1990er-Jahre zweimal für Furore, als man nahezu sensationell den Aufstieg in die 1. spanische Liga, die damalige „Primera Division“, realisieren konnte (1996 und 1998)!

Speziell beim zweiten Aufstieg fallen zwei Protagonisten ins Auge, mit welchen man schöne (Fußball-)Erinnerungen verbindet!

Als Aufstiegstrainer fungierte der damals 37jährige Rafa Benitez, der bei seinen vorherigen Stationen in Valladolid und Osasuna nur bedingt erfolgreich war! Vielleicht war der Aufstieg mit der Mannschaft von CF Extremadura der Startschuss für eine bemerkenswerte Trainerkarriere, welche mit dem Gewinn der UEFA Champions League 2005 (mit dem Liverpool FC) ihren Höhepunkt fand! Im Finale von Istanbul holte er mit seinem Team einen 0:3-Rückstand gegen den AC Milan auf und sorgte vielleicht für das dramatischste Europapokalfinale aller Zeiten!

Weitaus intensiver und persönlicher sind die Erinnerungen an einen ehemaligen Innenverteidiger des CF Extremadura. Der kamerunische Nationalverteidiger Raymond Kalla verbrachte vier Jahre im spanischen Südwesten und lief 121mal für die Blau-Roten auf. Im Jahr 2002 wechselte er zu meinem VfL Bochum 1848 und avancierte zum Kultspieler! Kalla, mittlerweile 44 Jahre alt, beeindruckte als eisenharter und später sogar torgefährlicher Innenverteidiger und war auch beim bitteren Aus im UEFA-Pokal für den VfL am Ball! Nach seinem Wechsel zu Sivasspor in die Türkei kehrte er noch einmal zurück nach Bochum, als er 2008 vom Amtsgericht Bochum wegen Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt wurde…ein unrühmliches Ende für einen wirklich kultigen Spieler!

Offensichtlich stimmten auch die Bilanzen in Extremadura nicht immer mit dem tatsächlichen Budget überein. Der Club landete letztlich in der Insolvenz und wurde im Jahr 2010 still und leise aufgelöst! Das Märchen vom „Fußballzwerg“ in der großen „La Liga“ war schon wieder vorbei, bevor es richtig starten konnte!

Was macht man aber mit einem durchaus netten Stadion in einer Kleinstadt in der Provinz!? Man gründet einfach einen Nachfolgeverein, behält die Vereinsfarben sowie das Wappen bei und nimmt im Amateurfussball einen neuen Anlauf!

Mittlerweile ist die Mannschaft von Trainer Juan Sabas zurück im Profifußball und traf am vergangenen Sonntag in der „Segunda“ auf Aufstiegskandidat UD Almería!

Vor 5109 Zuschauern im gut gefüllten Estadio Francisco de la Hera kamen die Gastgeber, welche nach 23 Saisonspielen tief im Abstiegskampf stecken, sehr gut ins Spiel! In den ersten 45 Minuten war überhaupt kein Qualitätsunterschied zum ambitionierten Zweitplatzierten UD Almeria zu erkennen! 

Dementsprechend war der 1:1-Halbzeitstand mehr als schmeichelhaft für den Favoriten, welcher nur mit Hilfe eines Foulelfmeters etwas Zählbares auf die Anzeigetafel stellte.

In der 2. Halbzeit war es weiterhin ein ausgeglichenes Spiel mit Chancen auf beiden Seiten. Leider gilt aus Sicht des Underdogs auch in Spaniens zweiter Liga ein ungeschriebenes Gesetz…“du kannst noch so gut spielen, am Ende gewinnt immer der Favorit“. Kurz vor dem Ende schloss Almerias Juan Munoz einen der wenigen Konter eiskalt ab und stürzte die Hausherren nicht nur in tiefe Depressionen, sondern auch auf den vorletzten Tabellenplatz!

Der Gast aus Almeria setzte sich mit dem glücklichen Sieg an die Tabellenspitze und darf sich schon mal vorsichtig auf den Besuch von Messi und Co. in der nächsten Spielzeit freuen!

Ich musste mich von dem recht großen Temperatursturz von über 10 Grad Celsius erstmal erholen und drehte die Heizung auf meinem Weg zurück nach Sevilla richtig auf! Ein langer aber schöner Tag!

In meinem Instagram-Account 👉https://www.instagram.com/henning_loves_football/ gibts natürlich wieder die passenden Fotos von beiden Spielen und dem Sightseeing im andalusischen Sevilla!!!

STAY TUNED!