Bevor der Ball auch im brandneuen Jahr 2022 rollen wird, gibts noch einmal einen Schulterblick in die jüngere Vergangenheit.

Die Redewendung „Zwischen den Jahren“ hat ihren Ursprung im julianischen Kalender des römischen Reiches, in welchem das alte Jahr bereits am 24. Dezember endete und erst am 6. Januar neu begann. Trotz Einführung des heute noch gültigen gregorianischen Kalenders vor über 400 Jahren hat sich der Begriff „Zwischen den Jahren“ als eine Art Übergangszeit in unseren Köpfen etabliert. In der Gegenwart stehen die fünf (Werk-)Tage zwischen Weihnachten und Neujahr in erster Linie für ein nahezu ruhendes öffentliches Leben, etwas mehr Zurückhaltung nach dem Weihnachtsfest und sehr viel mehr Zeit, um das zurückliegende Jahr Revue passieren zu lassen. Für mich persönlich stellten diese fünf Tage „zwischen den Jahren“ in der Vergangenheit immer einen wichtigen Termin im Kalender eines Fußballreisenden dar. Dementsprechend ging es zumeist auf die britische Insel, auf welcher nie eine Winterpause existierte und der Begriff „Belastungssteuerung“ aufgrund eines explodierenden Spielplans maximal zweitrangig behandelt wurde.

Nachdem ich im Jahr 2020 „coronabedingt“ aussetzen musste, sollte es zum Ende des Jahres 2021 wieder losgehen…auch wenn dies wegen der einsetzenden „Omikron“-Variante und der damit verbundenen Einreise- und Hygiene-Regularien vieler Länder nicht ganz einfach erschien. Letztlich ging es nach Weihnachten auf die iberische Halbinsel, wo die „Liga Portugal“ mit neun Spielen an drei Tagen eine englische Woche offerierte.

Als ich vor Abreise mit meinen sehr fußballinteressierten Arbeitskollegen über die Mannschaften der 1. portugiesischen Liga diskutierte, bemerkte ich sofort das vielleicht grösste Problem des Fußballs „made in Portugal“. Obwohl die Liga gemäß der UEFA-5-Jahres-Wertung auf dem sechsten Platz rangiert und damit als eine der besten europäischen Fußball-Meisterschaften anzusehen ist, interessiert sie gerade in Westeuropa nur die wirklich Hartgesottenen. Dies erkennt man recht schnell, wenn mehr als fünf portugiesische Erstligamannschaften als Quiz aufzuzählen sind. Na klar, das ist doch einfach…FC Porto, Benfica, Sporting Clube de Portugal und SC Braga kommen wie aus der Pistole geschossen, mit etwas Nachdenken vielleicht noch Boavista Porto oder Vitória Guimaraes…aber dann wird’s schon schwieriger, was ist mit den verbleibenden zwölf Teams?

Woran das liegt, ist aus der Entfernung natürlich schwer zu analysieren. Ich war jedenfalls sehr gespannt auf Zuschauerzahlen, Stadien und die portugiesische Fußball-Kultur. Das erste Duell am Dienstagabend war gleich das vermeintlich kleinste Spiel der Woche. Im beschaulichen Moreira de Conegos, einer Kleinstadt mit knapp 5000 Einwohnern, traf der einheimische Club Moreirense FC auf Aufsteiger GD Estoril Praia.

Das Stadion mit dem klangvollen Namen „Estadio Comendador Joaquim de Almeida Freitas“ wurde vor knapp 20 Jahren erbaut und fällt mit seinen wuchtigen Flutlichtmasten schon bei der Ortseinfahrt auf. Bei Ankunft am Stadion hätte mir bei der Parkplatzsuche bereits bewusst sein müssen, wie hoch der Zuschauerandrang an diesem Abend sein wird. Ich konnte nämlich direkt vor dem Stadion parken. Leider war das Entertainment-Programm bis Öffnung der Stadiontore mehr als dürftig. Da das Stadion im Prinzip im Nirgendwo liegt, war neben der typisch südeuropäischen Stadion-Bier-Gaststätte mit grimmig dreinblickenden Senioren eine nahegelegene Lotto-Toto-Bude mit angeschlossenem Kiosk der „Place to be“.

Der Moreirense FC spielt seit der Saison 2014/2015 durchgängig erstklassig und konnte im Jahr 2017 den grössten Erfolg der Vereinsgeschichte feiern. Im Finale von Faro gewann man durch ein 1:0-Sieg gegen den hochfavorisierten SC Braga den erst 2008 erschaffenen portugiesischen Ligapokal. Aktuell stehen die Grün-Weissen allerdings im unteren Bereich der Tabelle und sind stark abstiegsgefährdet. Deshalb mussten im Duell mit dem auf Platz 5 rangierenden Aufsteiger Estoril dringend drei Punkte her. Leider konnte die Mannschaft von Trainer Jose Carlos Fernandes Vidigal nicht vollends auf die Unterstützung der eigenen Fans setzen. Im Stadion, das mit seinen knapp 6.200 Plätzen die gesamte Bevölkerung von Moreira de Conegos hätte aufnehmen können, fanden sich an diesem Abend bei Sprühregen nur 311 Zuschauer ein.

Wenigstens wurden die Anwesenden mit einem 1:0 (1:0)-Sieg ihrer Herzenstruppe belohnt. Das goldene Tor erzielte der bullige Stürmer mit der ominösen Rückennummer 99, der 32jährige Brasilianer Rafael Martins (28.). Der Gast auf Estoril war in einem intensiven und durchaus interessanten Spiel gerade in der 2. Halbzeit völlig überlegen, konnte aber durch den eingewechselten Japaner Ryotaro Meshino kurz vor Abpfiff nur den Pfosten treffen.

Meine Begegnung des Abends fand aber am einzigen Stadionkiosk der Gegentribüne statt. Ich wollte ein Bier, ein Super Bock. Das gab es aufgrund der portugiesischen Corona-Regularien aber nur in der alkoholfreien Version. Bis dies zwischen mir (englisch sprechend) und meinem Gegenüber (portugiesisch sprechend) klar war, dauerte es knapp 2 Minuten. In der Folge wurde die Verständigung aber noch schwieriger, da die Flasche mit 0,33 l Bier gefüllt, nur Becher mit einem Fassungsvermögen von 0,2 l vorhanden waren und Bierflaschen nicht an den Zuschauer herausgegeben werden durften. Es hat ein wenig gedauert, bis ich verstand, dass ich ein Viertel des Bechers vor Ort leeren muss, bevor der Rest der edlen Flasche einfliessen darf.

Bei herrlichem Sprühregen ging es aus dem beschaulichen Moreira de Conegos die acht Kilometer zurück nach Guimaraes.

Das Stadion des Moreirense FC

Der erste portugiesische König Afonso Henrique soll nach Meinung vieler Historiker im Jahr 1109 in der nordportugiesischen Stadt Guimaraes geboren worden sein. In den folgenden Jahren formte „Afonso der Gründer“ aus der Grafschaft Portucalia das erste Königreich Portugal und rief Guimaraes als erste Hauptstadt des Landes aus. Dementsprechend gilt die Stadt mit ihren knapp 160.000-Einwohnern heute als „Wiege der Nation“ und wird jährlich von vielen geschichtsinteressierten Touristen besucht. Als Hauptattraktionen gelten der Königspalast „Paco dos Duques de Braganca“, die oberhalb gelegene Burg und die historische Altstadt, welche zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.

Einen wirklich schönen Panoramablick über die gesamte Stadt erhält man auf dem nahegelegenen Berg „Serra da Penha“. In einer Höhe von 600 Metern sind die genannten historischen Bauwerke gut zu erkennen, auch wenn sie gegenüber einem weitaus neueren Bauwerk vergleichsweise winzig erscheinen.

Das selbstverständlich nach dem berühmtesten Sohn der Stadt benannte „Estadio Dom Afonso Henrique“ wirkt von oben wie ein völlig überdimensioniertes UFO, das kurz zuvor im historischen Zentrum der Stadt gelandet ist. Die Spielstätte wurde 1965 für den einheimischen Vitória Sport Clube erbaut und letztmalig im Jahr 2003 für die nur ein Jahr später beginnende Europameisterschaft grundlegend renoviert. Das moderne Stadion fasst heute gut 30.000 Zuschauer und ist endlich mal wieder einer dieser von mir sehr geschätzten Grounds mit großer Individualität. Neben den bereits angesprochenen zwei Spielen der UEFA Euro 2004 (Vorrundenspiele Dänemark gegen Italien 0:0 und Italien gegen Bulgarien 2:1) war das Stadion zuletzt 2019 Co-Gastgeber des „Final Four“-Turnieres der UEFA Nations League.

Am 16. Spieltag der „Liga Portugal“ 2021/2022 traf der Vitoria Sport Clube, ausserhalb Portugals besser bekannt als Vitoria Guimaraes, im kleinen Derby auf den Boavista Futebol Clube aus der 60 Kilometer entfernten Metropole Porto. Beide Vereine besitzen für portugiesische Verhältnisse eine recht große Fangemeinde und gelten hinter den drei großen Benfica, Sporting Clube de Portugal und FC Porto momentan als „zweite Garde“. Damit gewinnt man in der Gegenwart zwar nur höchstselten einen Titel, nimmt aber wenigstens regelmäßig an den europäischen Pokalwettbewerben teil.

Am Mittwochabend war die Begegnung beider Clubs ein biederes Mittelfeld-Duell, in welchem die Gastgeber mit einem möglichen Sieg wenigstens den Anschluss an die Europapokal-Plätze der UEFA Europa Conference League halten konnten. Nach Anpfiff der Partie vor heißblütigen 6.835 Zuschauern entwickelte sich eine ausgeglichene Partie, in welcher die Gastgeber optisch überlegen wirkten, die Gäste allerdings die etwas besseren Chancen besaßen. Nach einer torlosen ersten Halbzeit änderte sich auch in der 2. Hälfte nicht allzu viel. Allerdings wurde das Spiel jetzt zunehmend aggressiver und erinnerte immer mehr an ein Derby.

Spätestens als der Ecuadorianer Oscar Estupinan einen Fehler des 40jährigen Boavista-Keepers Bracali nutzte und den Ball zur überraschenden Vitoria-Führung ins Tor stocherte (81.), musste man als neutraler Zuschauer von einem Heimsieg ausgehen. Davon gingen offensichtlich auch die Gastgeber aus, die fortan etwas schläfrig wirkten und die Führung umgehend wieder hergaben. Nach einer Freistoß-Flanke und Kopfball an den Pfosten nutzte Boavistas Innenverteidiger Tiago Ilori den Abpraller zum 1:1-Endstand (85.).

König Afonso Henrique in Guimaraes

Zum Abschluss meiner kurzen Stippvisite im Norden Portugals ging es am vergangenen Donnerstag zurück in die Hafenstadt Porto. Obwohl dort an diesem Abend mit der Partie FC Porto gegen Benfica das vielleicht wichtigste Spiel des portugiesischen Fußballs auf dem Spielplan stand, sah mein Programm lediglich ein wenig Sightseeing im Bereich der berühmten Brücke „Dom Luis I“ und dem angrenzenden „Ribeira“-Stadtviertel am Douro-Fluss vor.

Der Grund für meine zu diesem Zeitpunkt eher zurückhaltende Einstellung zum Spitzenspiel war die Tatsache, dass ich vor Abreise bereits vergeblich versuchte, eine Eintrittskarte über die Internetseite des FC Porto zu ergattern. Dementsprechend wollte ich nach einem kleinen Spaziergang durch die Altstadt eigentlich weiter in die nahegelegene Gemeinde Pacos de Ferreira reisen, wo gemeinsam mit der Azoren-Mannschaft Santa Clara an diesem Tag ebenfalls Erstliga-Fussball gespielt werden sollte.

Dass sich dieser Plan dann doch recht kurzfristig änderte, war in erster Linie dem portugiesischen Autobahnnetz geschuldet. Während mein geliehener Fiat 500 bei leichtem Gefälle über die Autobahn A20 in Richtung Stadtzentrum rollte, tauchte auf der rechten Seite plötzlich und unerwartet ein fast schon futuristisch anmutendes Bauwerk auf, das meine Konzentration auf den Straßenverkehr merklich verringerte…das „Estadio do Dragao“!

Das Drachenstadion des FC Porto war gut neun Stunden vor Spielbeginn augenscheinlich bereit für portugiesischen Spitzenfußball und suggerierte mir, dass ich mich vielleicht doch nochmal um eine Eintrittskarte bemühen sollte. Deshalb ging es mit durchaus hohem Puls in die Innenstadt Portos, wo der Fanshop des Clubs noch vor dem absolvierenden Kulturprogramm aufgesucht und tatsächlich mit einer der wenigen Restkarten in der Hand auch wieder verlassen werden konnte. Ich war ob der zu erwartenden Zuschauerzahl und Stimmung jetzt jedenfalls richtig euphorisiert und hatte „super Bock“ auf das Match!

Wie bereits kurz angeschnitten, treffen in dem sogenannten „O Classico“ die beiden erfolgreichsten Mannschaften Portugals aufeinander. Während der Gast aus Lissabon hierbei mit bislang 37 Landes-Meisterschaften unangefochten als Rekordmeister auf dem Thron sitzt, war der FC Porto mit 29 portugiesischen Meistertiteln zwar ähnlich erfolgreich, konnte aber mit dem Gewinn der UEFA Champions League 2004 und der UEFA Europa League 2011 in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch international Fußspuren hinterlassen.

Bereits bei meiner Ankunft am Stadion bemerkte ich diese besondere Derby-Stimmung, die an diesem Abend in der Luft lag und die ich aufgrund der zahlreichen europaweiten Zuschauerbegrenzungen und Restriktionen seit fast zwei Jahren auf meinen Reisen nicht mehr spüren durfte. Und dieses Gefühl täuschte mich nicht. Bei Anpfiff des Spieles durch Schiedsrichter Ferreira C. Moreira Miguel befanden sich…bezogen auf die momentanen Verhältnisse…unfassbare 46.250 Zuschauer im Estadio do Dragao, die in ihrer Gesamtheit eine absolut elektrisierende und mitreissende Stimmung verursachten. Endlich wusste ich wieder, warum ich mich stundenlang in ein Flugzeug setze, um irgendwo auf diesem Planeten ein Fußballspiel zu verfolgen. Das Adrenalin war wieder da, gepaart mit Freude und Begeisterung für diesen fantastischen Sport.

Beide Teams arbeiteten in der Folge daran, diese rivalisierende Stimmung bei den Zuschauern über die gesamte Spieldauer zu halten. Anders gesagt, es ging über die 90 Minuten richtig ab. Schneller hochklassiger Fußball, viele Torchancen, harte Zweikämpfe, gelb/rote Karten und insgesamt vier Tore, bei denen die Gastgeber vom FC Porto etwas besser abschnitten. Am Ende siegte der FC Porto durch Tore von Fabio Vieira (34.), Pepe (37.) und dem Iraner Mehdi Taremi hochverdient mit 3:1 (69.). Für die Gäste aus der Hauptstadt konnte der Ukrainer Yaremchuk kurz nach der Halbzeit lediglich verkürzen (46.). Ich war jedenfalls richtig dankbar, diesen ausgelassenen Torjubel mit einer Passage des Liedes „This Girl“ von Kungs Vs. Cookin´On 3 Burners insgesamt dreimal hören zu dürfen.

Mit dem Sieg übernahm der FC Porto aufgrund des besseren Torverhältnisses die Tabellenführung vom punktgleichen Sporting Clube de Portugal. Die Mannschaft von Benfica bleibt mit nun schon 10 Punkten Abstand auf dem dritten Tabellenplatz. Daran konnte auch der ehemalige Dortmunder Julian Weigl nichts ändern, der im Mittelfeld kein schlechtes Spiel machte, aber auch nicht sonderlich auffiel.

Das waren drei Erstliga-Spiele der „Liga Portugal“…vom kleinen abstiegsgefährdeten Dorfclub mit wenig Zuschauern über die historische ehemalige Hauptstadt und ihrem EM-Stadion bis zum wichtigsten Spiel des Landes mit fast ausverkauftem Haus. Wen das tatsächlich auch mal reizt, dem kann ich diesen technisch feinen Fußball nur wärmstens empfehlen. Gerade wenn man nicht nur ein Spiel schauen möchte, sind die regionalen Besonderheiten fast schon perfekt. Insgesamt neun Mannschaften kommen aus dem Großraum Porto im Norden des Landes, der damit das Fußball-Epizentrum ist und kurze Wege garantiert. Aber auch die Hauptstadt Lissabon ist mit insgesamt vier Teams äußerst interessant. Selbst für Inselliebhaber bietet das portugiesische Fußballoberhaus mit den beiden Inselteams aus Madeira (CS Marítimo) und von der Azoreninsel São Miguel (CD Santa Clara) etwas durchaus exotisches an!

Selbstverständlich findet Ihr in der Story meines Instagram-Accounts auch bewegte Bilder zu den Spielen wie dem bereits angesprochenen Torjubel in Porto! Dazu gibts jede Menge Fotos bei Instagram oder Facebook! Schaut mal rein!

STAY TUNED…BLEIBT AM BALL!

  • FC Porto