In den Abendstunden des 08.10.2021 meldeten diverse deutsche Sportmedien den Ausbruch eines größeren Feuers im Nationalstadion des kleinen Pyrenäen-Landes Andorra, bei welchem glücklicherweise niemand zu Schaden kam. Diese Meldung wäre vermutlich nur als Randnotiz in den regionalen andorranischen Nachrichten erschienen, wenn nicht zufällig ein europaweit agierender Sportsender mit dem Namen des Himmels die Löscharbeiten live und in Farbe übertragen hätte.

Das Fernsehteam befand sich anlässlich des bevorstehenden WM-Qualifikationsspieles im Stadion und berichtete eigentlich über das kurz zuvor beendete Abschlusstraining der hoch favorisierten englischen Nationalmannschaft. Die ungewohnte Unglücksreportage war offensichtlich so dramatisch, dass fortan alle anderen Medien über eine bevorstehende Absage des Spieles aufgrund der großen Beschädigungen an Kamerastand und Spielfeld spekulierten.

Warum erzähle ich Euch das jetzt? Weil ich nur sieben Tage später genau in diesem Stadion meine „UEFA55“-Tour fortsetzen und mir ein Bild vom andorranischen Fußball machen wollte. Dementsprechend war ich einigermaßen bedient, da meine Reiseplanungen zu diesem Zeitpunkt nicht nur am seidenen Faden hingen, sondern gefühlsmäßig schon abgerissen waren.

Nach einer recht unruhigen Nacht, in welcher vorsorglich schon einmal alle denkbaren Alternativen durchgespielt wurden, gab es glücklicherweise bereits am nächsten Morgen Entwarnung. Dank des wirklich unermüdlichen Einsatzes der Verantwortlichen der „Federació Andorrana de Futbol“ rollte knapp 24 Stunden später nicht nur der Ball, sondern in erster Linie eine englische Mannschaft, die überforderte Gastgeber mit 5:0 überrollte.

Dementsprechend ging es nur wenige Tage später erleichtert und voller Vorfreude ins Hochgebirge der Pyrenäen. Der andorranische Vereinsfussball besteht oberflächlich betrachtet zunächst einmal nur aus einem Club. Der FC Andorra wurde im Jahr 1942 gegründet und nimmt seitdem traditionell am spanischen Ligensystem teil. Hier war man in der Vergangenheit allerdings nicht sonderlich erfolgreich. Während der Club aus dem Fürstentum in den 1980er- und 90er-Jahren wenigstens noch drittklassig spielte, war man bis zum überraschenden Transfer des spanischen Weltmeisters Gerard Piqué Dauergast in der fünftklassigen Regionalliga Katalonien.

Jeder halbwegs bewanderte Fußballexperte, der jetzt aufschreit und darauf hinweist, dass der 34jährige Piqué seinen FC Barcelona nie verlassen hat und sportlich nach wie vor auf Champions League-Niveau agiert, dem möchte ich uneingeschränkt zustimmen. Dieser besondere Transfer fand nämlich nicht auf sportlicher Ebene, sondern im Bereich der Vereinsführung statt. Der geschäftlich sehr umtriebige Ehemann der kolumbianischen Sängerin Shakira übernahm Ende des Jahres 2018 während seiner aktiven Spielerlaufbahn den kleinen andorranischen Verein und besitzt seitdem äußerst visionäre Ziele.

Nach einer ersten Schuldentilgung und dem Einsatz einer höheren sechsstelligen Geldsumme wurde der Spielerkader umfangreich umgebaut. Hier bediente sich Piqué bei seinem Arbeitgeber FC Barcelona und der legendären Jugendakademie „La Masia“, indem er junge talentierte Fußballer nach Andorra holte, die im Starensemble von Barcelona nie eine Chance erhalten hätten. Das nennt man dann wohl „Win-Win-Situation“.

Nach einem eindrucksvollen sportlichen Aufstieg in die vierte Liga und dem erkauften Einstieg in Spaniens Liga 3 (durch den finanziellen Rückzug bzw. Zwangsabstieg von CF Reus) schickt man sich momentan an, in die 2. Liga aufzurücken. Die soll allerdings auch nur eine Zwischenstation sein, nach eigenen Angaben träumt der gute Piqué irgendwann von der Champions-League-Hymne im beschaulichen Andorra.

Ich wollte mir am 8. Spieltag der „Primera RFEF“ einen ersten Überblick über den andorranischen (Profi)-Fußball verschaffen. Die semi-professionelle „Dritte Liga“ besteht aus insgesamt 40 Vereinen, die in zwei Gruppen zu je 20 Mannschaften organisiert sind und am Saisonende insgesamt vier Aufsteiger zur 2. spanischen Liga stellen. Beide Gruppen sind nach regionalen Gesichtspunkten eingeteilt worden, welche im anstehenden Spiel allerdings überhaupt nicht nachzuvollziehen waren.

Der FC Andorra traf an diesem schattigen Freitagabend auf den Abstiegskandidaten San Fernando C.D. aus der Nähe der andalusischen Stadt Cadiz. Der im Jahr 2009 gegründete Club musste stolze 1248 km mit dem Flugzeug zurücklegen und zeigte sich auf der eigenen Club-Homepage sehr stolz ob des ersten internationalen Auswärtsspieles der noch jungen Vereinsgeschichte.

Vor Anpfiff der spanischen FIFA-Schiedsrichterin Marta Huerta de Aza erhielt ich die Gelegenheit eines recht ausführlichen Stadionchecks. Das bereits erwähnte „Estadi Nacional“ mit einem Fassungsvermögen von 3.193 Zuschauern befindet sich inmitten der Hauptstadt Andorra La Vella und besticht durch Lage und seine sehr charakteristischen Flutlichtmasten. Auch der angeblich verheerende Brandschaden entpuppte sich letztlich als „Fatamorgana“, die mit viel Farbe und einem ordentlichen Dampfstrahler beseitigt werden konnte. Nur der leicht angesenkte Kunstrasen im Bereich der Außenlinie erinnerte noch an das Feuer.

In den folgenden 90 intensiven Spielminuten agierten die Gastgeber in Trikots, die zum Einen die andorranischen Nationalfarben Blau-Gelb-Rot repräsentierten, aber auch irgendwie an den FC Barcelona erinnerten. Am Ende siegte der FC Andorra vor 500 Besuchern mit 1:0 (1:0) und blieb auf dezenter Tuchfühlung zu Tabellenführer FC Villarreal B. Das goldene Tor fiel bereits in der 11. Spielminute durch den Spieler mit dem schönen Namen Marti Riverola Bataller.

Andorras „Estadi Nacional“

Nach dem vielversprechenden Auftakt beim zuvor beschriebenen spanisch-andorranischen Mix aus National- und Clubmannschaft gab es nur zwei Tage später das passende Alternativprogramm. Das Fürstentum verfügt selbstverständlich auch über eine eigene Liga, die mit ihrem Meister, Vizemeister und Pokalsieger an der Qualifikation zu den europäischen Pokalwettbewerben teilnimmt. Die zeigte sich im Vergleich mit dem „großen“ FC Andorra zwar genauso ambitioniert, dürfte aber speziell im finanziellen Bereich weitaus kleinere Brötchen backen.

Die „Lliga Multisegur Assegurances“ mit ihren acht teilnehmenden Mannschaften wird von der „Federacion Andorrana de Futbol“ organisiert und jeden Sonntag auf dem Trainingsgelände des Verbandes ausgetragen. Der Trainingskomplex liegt etwas abseits des Stadtzentrums am Fluss „La Valira“ und verfügt über zwei Kunstrasenplätze sowie eine kleine überdachte Tribüne mit fantastischem Bergpanorama im Hintergrund. Da für die Spiele lediglich der grössere Hauptplatz genutzt wird, finden die vier Begegnungen des Spieltages hintereinander statt. Dementsprechend muss sich der interessierte Zuschauer bereits zu ungewohnter Anstoßzeit um 11 Uhr morgens einfinden, um das erste Spiel zu verfolgen. Als kleine Entschädigung ist der Eintritt dann auch kostenfrei.

Im ersten Duell des 4. Spieltages der noch jungen Saison traf Rekordmeister FC Santa Coloma auf Aufsteiger FC Ordino. Der 11fache Landesmeister und 10fache Pokalsieger ist der beliebteste und erfolgreichste Verein Andorras. Obwohl der Club in seinen insgesamt 42 Europapokalspielen bei einem Torverhältnis von minus 63 Toren zumeist Lehrgeld zahlen musste, so war man auch für den bislang grössten Erfolg einer andorranischen Vereinsmannschaft verantwortlich. Im Jahr 2007 konnte man den israelischen Topclub Maccabi Tel Aviv FC in der 1. Qualifikationsrunde zum damaligen UEFA-Pokal sensationell mit 1:0 besiegen. Im Spiel gegen Ordino hatten die anwesenden 50 Zuschauer noch gar nicht auf der Tribüne Platz genommen, da gab es schon den ersten Platzverweis. Nach handgezählten 20 Sekunden flog Ordinos Verteidiger Lucas Sousa nach einer Notbremse vom Platz. Trotz Unterzahl entwickelte sich in der Folge ein intensives und packendes Spiel mit Chancen auf beiden Seiten, das der Favorit aus Santa Coloma am Ende glücklich mit 3:2 (2:2) gewinnen konnte.

Nach einer knapp 45minütigen Spielpause und Verpflegungseinnahme an der gegenüberliegenden bp-Tankstelle startete das zweite Spiel auf dem Platz mit dem offiziellen Namen Stadion Centre d’ Entrenament de la FAF 1. Hier standen sich der amtierende Meister Inter Club d’Escaldes und UE Engordany gegenüber. Nach Anpfiff des einzigen andorranischen FIFA-Schiedsrichters Luis Miguel do Nascimento Teixeira entwickelte sich auch hier ein spannendes und offenes Spiel. Speziell in der 2. Halbzeit gab es mit zwei Roten Karten, Rudelbildung, Elfmeter und späten Toren jede Menge Gesprächsstoff. Die anwesenden Anhänger aus Engordany fühlten sich ob der 0:3 (0:1)-Niederlage ihres Teams jedenfalls komplett verpfiffen und machten sich gegenüber dem Schiedsrichter ordentlich Luft.

Das Trainingszentrum der andorranischen Fußball-Federation

Der lange Tag auf dem andorranischen Sportplatz mit purem Fußball ließ mein Herz einmal mehr höher schlagen. Vielleicht war es auch die bereits angesprochene Atmosphäre der angrenzenden Bergwelt, die mich zudem über den einen oder anderen Begriff der „Großen“ für die „Kleinen“ nachdenken ließ.

Die National- und Vereinsmannschaften der kleinen souveränen europäischen Länder wie San Marino, Liechtenstein, Malta oder Andorra werden von den führenden Fußballnationen oft etwas despektierlich als Fußball-Zwerge und Exoten bezeichnet.

Was genau zeichnet den ultimativen „Fußballexoten“ überhaupt aus? Ist es das maßstabsgerechte Verhältnis aus limitierter sportlicher Leistungsfähigkeit und Fläche des Landes? Ist es das ausbaufähige Spielniveau der einheimischen Liga? Oder ist es die Tatsache, dass sich in dem jeweiligen Land niemand für Fußball interessiert?

Gemäß meiner inoffiziellen Definition handelt es sich bei dem „Fußball-Exoten“ um eine chronisch erfolglose Mannschaft, die aus einem weit entfernten (tropischen) Land stammt, in welchem der Fußball in der öffentlichen Wahrnehmung noch unterhalb des Sportangelns rangiert.

Am Beispiel von Europas grösstem „Zwergstaat“ Andorra kann man zumindest schon einmal festhalten, dass das Land an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien irgendwie nah und doch so fern ist. Dies liegt an der exklusiven Lage des Fürstentums im Herzen der imposanten Gebirgskette der Pyrenäen. Da das Land mit seinen knapp 80.000 Einwohnern weder über Schienenverkehr noch einen internationalen Flughafen verfügt, ist die Anreise aus Spanien oder Frankreich durch das Hochgebirge in jedem Fall sehr beschwerlich. Deshalb darf man sich auch nicht wundern, wenn das Navigationsgerät für die 189 Kilometer lange Strecke zwischen der südfranzösischen Stadt Toulouse und Andorra über drei Stunden Fahrtzeit veranschlagt.

In Sachen Spielniveau agieren die andorranischen Teams auf einem Level mit der Spielstärke einer deutschen Ober- und Regionalliga. Dies liegt vornehmlich an den vielen jungen ausländischen Spielern aus Spanien und Frankreich, welche zuvor das hervorragende Ausbildungssystem ihres Landes durchliefen, aber letztlich keine Chance auf erstklassigen Profifussball besaßen. Genau deshalb kann man das Fürstentum, in welchem Wintersport und Rugby die beliebtesten Sportarten sind, mit einem Augenzwinkern in die Rubrik „Fußball-Exot“ einordnen. Für mich persönlich ist dieser kleine Fußballverband, welcher nur auf dem 54. und damit vorletzten Platz der UEFA-Fünfjahreswertung steht, aber ein weiterer Riese im europäischen Fußball. Hier hat man Visionen, lebt den europäischen Gedanken und liebt diesen Sport…auch ohne das ganz große Geld!

Wer jetzt auch einmal Lust auf die Beletage des andorranischen Fußballs besitzt, aber keine Lust auf die beschwerliche Anreise besitzt, dem kann ich das Live-Streaming-Portal „Twitch“ ans Herz legen, wo alle Spiele der Liga offiziell vom Verband übertragen werden. Nach Auskunft der Verantwortlichen gibts momentan Zugriffszahlen von 1000-1500 Zuschauern pro Spieltag. Für all die Anderen, die sich mit Lust durch die Pyrenäen quälen wollen, sei gesagt: Es lohnt sich!

Das kleine Land mit seiner modernen Hauptstadt Andorra La Vella präsentiert sich als sehr attraktives Reiseziel. Dies liegt neben der atemberaubenden Schönheit der Natur und der damit verbundenen hohen Lebensqualität in erster Linie an dem gewinnbringenden Geschäftszweig schlechthin: Dem zollfreien Verkauf von Alkohol, Benzin, Tabak und sonstigen Konsumgütern! Allein die Fußgängerzone der Hauptstadt mit ihren übersichtlichen 22.000 Einwohnern bietet ein interessantes Lifestyle und erinnerte eher an den Shopping-Boulevard einer Großstadt. Zudem befindet sich in Andorra La Vella Europas grösstes Wellness-Center, dass von Außen sehr futuristisch daherkommt.

Wie immer gibts auf meinem Instagram-Kanal eine stattliche Anzahl Fotos und Eindrücke aus Andorra. Lasst mir ein „Gefällt mir“ da!

STAY TUNED…BLEIBT AM BALL!

  • Andorra La Vella, Estadi Nacional