Die UEFA Europa League 2017/2018 und meine „Ganzjahresreise“ zum Endspielort Lyon! Am 3. Spieltag des Wettbewerbs hieß das Ziel zumindest schon einmal Frankreich, es ging zum traditionsreichen neunfachen Landesmeister Olympique de Marseille.

Nach meiner Landung auf dem knapp 20 km vom Stadtzentrum entfernten Flughafen Marseille-Provence ging es mit dem Zubringerbus zum Hauptbahnhof der Stadt, der Station „Marseille-Saint Charles“. Dieser Ort macht es einem erwartungsfrohen Touristen nicht unbedingt leicht, sich auf den „ersten Stadtblick“ zu verlieben. Eine Ansammlung von zwielichtigen Gestalten, vermeintlichen Taschendieben und leider auch recht vielen Obdachlosen, welche in der heutigen Zeit als wichtiger Indikator für soziale Probleme zu verstehen sind. Zudem fallen die vielen schwer bewaffneten Soldaten auf, welche gerade nach dem kürzlichen Terroranschlag mit zwei jungen Todesopfern in und vor dem Bahnhof weiterhin für Sicherheit sorgen.

Dementsprechend war ich zunächst nicht abschließend davon überzeugt, diesmal den richtigen Ort für meine Europapokal-Reise ausgewählt zu haben. Zum Glück bin ich kein Mensch, der sich vom ersten Eindruck bzw. von Vorurteilen „beeinflussen“ lässt. Nach meiner Ankunft und einer kurzen Rast im direkt neben dem Stadion gelegenen „B&B“-Hotel startete ich mein wie immer sehr intensives Sightseeing-Programm, ich hatte ja wenig Zeit!

Die am Mittelmeer gelegene Hafenstadt Marseille ist mit ihren knapp 860.000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt Frankreichs und so etwas wie die Hauptstadt des französischen Südens. Aufgrund der Tatsache, dass die Stadt im Jahr 2013 den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ tragen durfte, stellt sich insbesondere das Stadtzentrum ein weniger „frischer“ und vor allem „schöner“ als erwartet vor.

Bevor ich nun zu meiner Sightseeing-Entdeckungstour komme, möchte ich mein persönliches Urteil zur Stadt Marseille vorwegnehmen:

Die Stadt ist ein Schmelztiegel der verschiedenen Kulturen mit großen sozialen Unterschieden und einfach typisch französisch. Obwohl die Stadt oftmals einen heruntergekommenen und eher dreckigen Eindruck vermittelt, überwiegen für mich die positiven Aspekte. Das zumeist gute Wetter, tolle Sehenswürdigkeiten, ein überragendes Lifestyle auf dem Gourmet-Sektor und natürlich die unerwartet freundlichen Einwohner, die sogar „Englisch“ sprachen. Wer hätte das in Frankreich erwartet?

Ein weiterer mehr als positiver Aspekt war das überaus gute Preis-Leistungsverhältnis für den Besuch sämtlicher Sehenswürdigkeiten. Obwohl ich normalerweise kein Freund von überteuerten „City-Pässen“ bzw. geführten Touren bin, konnte mich das Angebot in Marseille absolut überzeugen. Der „Marseille City Pass“ wird bereits am Flughafen für einen Aufenthalt von 24, 48 und 72 Stunden angeboten und beinhaltet so ziemlich alles, was ein Besucher für einen Kurzaufenthalt benötigt. Ich entschied mich für den 48-Stunden-Pass zum Preis von 33 Euro, welcher den 30minütigen Transfer vom und zum Flughafen, sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel Marseilles, eine Fährpassage zum Chateau d´If, eine Stadtrundfahrt mit dem „Touristenzug“ und den freien Eintritt in alle wichtigen Attraktionen Marseilles beinhaltete! Günstiger, einfacher und besser gehts wirklich nicht, dafür kann man dann auch mal ein wenig Schleichwerbung machen!

Das Hauptziel eines jeden Marseille-Besuchers ist natürlich das eindrucksvolle Wahrzeichen der Stadt. Die Wallfahrtskirche „Notre-Dame de la Garde“, im Volksmund auch „La Bonne Mère – „Die gute Mutter“ genannt, thront auf einem 147 Meter hohen Kalksandfelsen über der Stadt und ermöglicht tagsüber einen spektakulären Ausblick über die Stadt. Im letzten Satz habe ich bewusst das Wort „tagsüber“ vermerkt, da ich nun allen Romantikern den Wind ein wenig aus den Segeln nehmen muss. Da das gesamte Areal der Kirche schon vor Sonnenuntergang geschlossen wird, kann man leider keinen abschließenden Blick über das beleuchtete Marseille am Abend bzw. zur Nacht genießen. Trotzdem sollte man nicht verzagen und den sehr langen und beschwerlichen Aufstieg über den „Boulevard Andre Aune“ wagen. Bei Ankunft am letzten Treppenaufgang zur Kirche befindet sich rechtsseitig ein kleiner steiniger Hang, welcher nach einer kurzen und ungefährlichen Kletterpartie einen schönen Abendblick auf die Frioul-Inseln bzw. das Chateau d´If vor der Küste ermöglicht. Für alle Fußballromantiker befindet sich unterhalb des Hanges ein Kunstrasenplatz, welcher aufgrund der Lage zwischen Hochhaus und dem Hang irgendwie reingepresst und unwirklich wirkt. Natürlich darf hier auch nicht unerwähnt bleiben, dass fusskranke oder konditionsschwache Mitbürger selbstverständlich auch mit dem bereits genannten Touristen-Zug anreisen und den Ausblick zur Tageszeit genießen können!

Ein weiterer Touristenmagnet ist der im Stadtzentrum gelegene „Vieux Port“. Der heute als Yachthafen genutzte älteste Hafen Marseilles stellt das kulturelle und historische Zentrum der Stadt dar. Neben dem wichtigsten U-Bahn-Knotenpunkt der Stadt befinden sich auf der Promenade unzählige Restaurants, Bars und Irish Pubs. Aber auch weitere Sehenswürdigkeiten wie die Haupteinkaufs- bzw. Prachtstraße „La Canebiere“, das Rathaus, die Kathedrale und das am Hafenausgang befindliche „Fort St. Jean“ sind fußläufig erreichbar. Gerade das auf den ersten Blick recht unscheinbar wirkende Fort St. Jean ist ein absolutes Muss! Ich möchte übrigens festhalten, dass mein Schrittzähler am ersten Tag gute 22 km anzeigte, ein Indiz, dass mich diese Stadt wirklich fesselte und interessierte!

Aber auch für maritim angehauchte Besucher hat Marseille etwas zu bieten, eine zumeist windige und recht wacklige Fährpassage zu den vorgelagerten Frioul-Inseln bzw. der „Ile d´If“. Hierbei handelt es sich um eine kleine und nur wenig bewohnte Inselgruppe, knapp 4 km von der Küste Marseilles entfernt. Gerade die kleine „Ile d´If“ ist bei Touristen der absoluter Renner, da sie Hauptbestandteil der Geschichte um den sagenumwobenen Graf von Monte Christo ist. Auf der Insel befindet sich das Gefängnis Chateau D´If, in welchem der Graf mit bürgerlichem Namen Edmond Dantes bis zu seiner Flucht unter absolut menschenunwürdigen Bedingungen knapp 14 Jahre inhaftiert war. Könnte man zumindest glauben, das Gefängnis gab es wirklich, den Grafen leider nicht. Denn die ganze Story entsprang leider nur einem Abenteuerroman des Schriftstellers Alexandre Dumas aus dem Jahr 1846! Wie auch immer, die gesamte Inselgruppe ist sehr interessant, da sie einen tollen Blick auf Marseille bietet und selbst über unzählige Militärruinen aus dem 19. Jahrhundert verfügt.

Der abschließende „Sightseeing“-Punkt hatte nicht unwesentlich mit meinem Besuchsgrund zu tun. Das imposante Fußballstadion Marseilles, das „Stade Velodrome“, wurde ursprünglich 1937 erbaut und letztmalig zur Fußball-Europameisterschaft 2016 aufwendig umgebaut. Während der dreijährigen Umbauarbeiten (2011-2014) erfolgte eine grundlegende Modernisierung des Stadions. Da ich beide „Versionen“ kenne, darf ich sagen, dass der ursprüngliche Charme des Stadions beibehalten wurde und die gesamte Arena allein aufgrund der nun vorhandenen Dachkonstruktion noch größer wirkt. Das Stadion verfügt über ein Fassungsvermögen von 67.394 Zuschauern und ist somit das grösste Fußballstadion Frankreichs, in welchem ein fester Club beheimatet ist. Im etwas größeren „Stade de France“ im Pariser Vorort Saint Denis spielt nur die französische Nationalmannschaft. Am Abend wird das Stadion in den Vereinsfarben von Olympique de Marseille angestrahlt, hier hätte ich mir vielleicht einen anderen Sponsoren und aktuellen Namensgeber als den Mobilfunkkonzern „Orange“ gewünscht. Sieht halt komisch aus, wenn alles „blau“ ist und „Orange Velodrome“ am Stadiondach prangt.

Der Verein Olympique de Marseille ist einer der beliebtesten und erfolgreichsten Vereine Frankreichs. Neben den bereits genannten neun nationalen Meisterschaften gewann der Club zehnmal den französischen Pokal. Zudem ist der Verein der erste und einzige französische Club, der je die UEFA Champions League gewinnen konnte (Saison 1992/1993 durch einen 1:0-Sieg gegen den AC Milan). Leider war der Club aber auch in den größten französischen Fußball-Skandal verwickelt. Mehr oder minder direkt nach dem Gewinn des Europapokals zahlten die Vereinsverantwortlichen mehrmals Bestechungsgelder, um Spiele in der einheimischen „Ligue 1“ vorab zu gewinnen. Die ganze Geschichte kippte auf, dem Verein wurde nicht nur die Meisterschaft 1993 aberkannt, der Zwangsabstieg in die „Ligue 2“ war ein weiterer Tiefpunkt.

Aktuell muss man festhalten, dass der Verein mit Sicherheit zu den ersten drei bis vier Vereinen in Frankreich gehört, aber auch schon seit 7 Jahren keine Meisterschaft mehr nach Marseille holen konnte. Man fristet neben Vereinen wie Paris St.Germain oder AS Monaco ein Schattendasein und gilt eher als schlafender Riese.

Im Orange Vélodrome spielte die Mannschaft von Trainer Rudi Garcia in der UEFA Europa-League-Gruppe I gegen den Vitória Sport Clube aus der portugiesischen Stadt Guimaraes!

Wo bei anderen Vereinen eine große Kartennachfrage herrscht und Choreografien vorbereitet werden, entscheiden sich die stolzen OM-Fans am UEFA Europa Leauge-Matchday offensichtlich lieber für einen Zahnarztbesuch mit Wurzelbehandlung! Konnte man vorab vermuten, wenn man den Stadion-Fanshop in Augenschein nahm und nur Fanartikel der Königsklasse vorfand. Alles war mit dem Champions League-Logo verfügbar, seltsam nur, dass man dort gar nicht spielt. Jedenfalls verloren sich bei dem Spiel nur 13.359 Zuschauer im riesigen Rund der Arena!

In den ersten 20 Spielminuten waren die Portugiesen die etwas aufgewecktere Mannschaft. Gegen eine B-Elf von OM, die Schlüsselspieler wie Payet und Mitroglou auf der harten Ersatzbank schonte, ging man durch einen Kopfball des Brasilianers Rafael Martins in Führung (17.).

Erst jetzt nahm Olympique das Vereinsmotto „Droit au but“ („direkt zum Tor“) ernst und setzte Vitoria unter Druck! In der 28. Minute erzielte der Argentinier Ocampos nicht nur den Ausgleich, sondern auch ein Traumtor. Nach Flanke von Sanson verwandelte Ocampos unhaltbar aus 14 Metern per Seitfallzieher!

Für die Szene der ersten Halbzeit sorgte aber der schwedische Schiedsrichter Stefan Johannesson. Nach einer Ablage im Strafraum stieß der einschussbereite Sanson mit dem Schiedsrichter zusammen. Eine unglückliche Aktion von beiden, obwohl sie lustig aussah! Jedenfalls prallte der 1,82 m-große Spieler vom noch größeren Schiedsrichter ab wie ein nasser Sack! Der blieb einfach stehen!

Die 2. Halbzeit war dann eine klare Sache für OM! Vom Vitoria Sporte Clube kam nichts mehr, man stellte das Fußballspielen einfach ein! So bestrafte der 19jährige Maxime Lopez das träge Spiel der Portugiesen mit dem verdienten 2:1-Siegtreffer (76.) für die Mannschaft von OM.

Abschließend ein paar Worte zur wahrscheinlich nicht ganz einfachen Fanszene von Olympique. Bereits vor dem Anpfiff fand ich es ein wenig befremdlich, dass trotz der äußerst hohen Terrorgefahr mehrere „Polenböller“ vor und im Stadion gezündet wurden. Zudem wurde der eigene Mannschaftskapitän Patrice Evra vor dem Spiel bzw. bei jeder Ballberührung gnadenlos und hasserfüllt ausgepfiffen. Was sich während des Spiels komisch anfühlte, mündete im Rückspiel in Portugal in einer körperlichen Auseinandersetzung mit den eigenen Fans und der anschließenden Entlassung des Spielers. Kannte ich so bislang auch nicht…

Das war mein Besuch in der Hafenstadt Marseille, wie gewohnt besten Dank für das Interesse!!

Bleibt auf Empfang, es geht ansatzlos weiter!