Mit dem Europa-League-Finale in Basel war meine persönliche Fußballsaison 2015/2016 eigentlich vorbei. Eigentlich? Ein schönes Wort, oder? Denn kurzfristig ergab sich doch noch die Möglichkeit, an einem in Deutschland eher unbekannten, aber dennoch recht reizvollen Finalspiel teilzunehmen. Mit anderen Worten: Es gab eine Art Verlängerung für mich!

Für das Spiel reiste ich einmal mehr in das Mutterland unseres geliebten Sports, nach England. Diesmal ging es in die Haupt- und Weltstadt London, die gerade für Fußballfans eine schier unfassbare Anzahl von Stadien der Premier League und allen weiteren englischen Profiligen bereit hält. Genau diese Profiligen unterhalb der Premier League standen diesmal bei meinem Besuch im Fokus.

Bevor ich jetzt über dieses Finalspiel schreibe, möchte ich Euch zunächst einmal den englischen Spielmodus ein wenig näher bringen. Der ist für das deutsche Fusballverständnis zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, letztlich aber auch sehr dramatisch und spannend.

Bei den ersten vier Ligen in England handelt es sich um professionelle Fußballligen. Die erste Liga mit großem Finanzvolumen ist weltweit sehr beliebt und besitzt ab der Saison 2016/2017 wieder den traditionellen Namen The Premier League (ohne den Sponsorennamen Barclays). Die Liga wird wie in Deutschland von einem eigenen Ligaverband als Unternehmen geführt. Unterhalb der Premier League befinden sich drei weitere Profiligen, welche unter dem Dach der sogenannten „Football League“ geführt werden. Bei der Football League handelt es sich um einen eigenständigen Verband, der natürlich an der Auf- und Abstiegsregelung zur Premier League teilnimmt, aber bei der Namenswahl der eigenen drei Ligen ein wenig eigensinnig agiert.

Deshalb hat die zweite englische Fußballliga, aber höchste Liga der Football League, den schönen Namen „Championship“. Das heisst soviel wie „Meisterschaft“. Es wirkt ein wenig so, als wenn die Football League gar keine Ahnung von der Existenz der Premier League besitzt bzw. besitzen möchte. Dementsprechend heisst die dritte Liga dann im Fortlauf „League 1“ und die vierte Liga „League 2“. Auf den ersten Blick alles ein wenig verwirrend?

Aber auch der alljährliche Auf- und Abstiegsmodus unterscheidet sich gravierend zu den Relegationsspielen in Deutschland. Kurz zusammengefasst steigen aus den ersten vier Profiligen immer die letzten drei Mannschaften direkt ohne eine „Relegationschance“ ab (aus der League 1 sogar die letzten vier Mannschaften). Dementsprechend steigen aus der unteren Liga immer die Teams auf den ersten beiden Tabellenplätzen direkt auf (aus der League 2 die Mannschaften auf den ersten drei Plätzen). Der letzte offene Aufstiegsplatz (zumeist der dritte Tabellenplatz) wird in einer Art Pokalwettbewerb nach der Saison ausgespielt. An diesem Wettbewerb mit dem gewöhnlichen Namen Play-Offs nehmen immer die Mannschaften der Tabellenplätze Drei, Vier, Fünf und Sechs aus den Wettbewerben der Football League teil (in der League 2 die Plätze Vier, Fünf, Sechs und Sieben). Zunächst spielen dann die Mannschaften auf den Tabellenplätzen Drei und Sechs bzw. Vier und Fünf in zwei Halbfinalspielen mit Hin- und Rückspiel gegeneinander. Der jeweilige Sieger zieht in das große Finale ein, welches sinnigerweise auf neutralem Platz als Endspiel um den Aufstieg ausgetragen wird. Was würde sich da besser eignen als das traditionsreiche Nationalstadion Englands, das Wembley-Stadium?! Wer sich jetzt noch nicht abschließend über den Spielmodus informiert fühlt und weitere Detailfragen hat, kann mich gerne persönlich anschreiben.

Mich interessierte in dieser Saison das klassentiefste Match in dem beschriebenen Wettbewerb, das Endspiel um den Aufstieg in die dritte Liga. Wer jetzt alles gelesen und wirklich aufgepasst hat, der weiss, dass es in dem Spiel um den Aufstieg aus der League 2 in der League 1 ging.

Am 30.05.2016, einem Feiertag in Großbritannien, standen sich der AFC Wimbledon und Plymouth Argyle FC im Wembley-Stadion gegenüber. Die „Pilgrims“ aus Plymouth schlossen die reguläre Saison als Tabellenfünfter ab und setzten sich im Halbfinale gegen den sechstplatzierten FC Portsmouth durch. Die „Dons“ vom AFC Wimbledon landeten am Saisonende nur auf dem 7. Tabellenplatz, konnten aber dank des Modus im Halbfinale die viertplatzierte und deutlich höher eingeschätzte Mannschaft von Accrington Stanley ausschalten.

Apropos Wimbledon! Dieser Verein hat eine schier unglaubliche Geschichte hinter sich, die in der heutigen kommerziellen Fußballwelt vermutlich nicht mehr so oft vorkommen wird. Wenn man mir als Fußballnostalgiker den Namen FC Wimbledon nennt, denke ich sofort an die guten alten Zeiten der 1980er und 1990er-Jahre, in welchen ein Verteidiger namens Vinnie Jones so unfassbar hart gespielt hat, dass selbst ein harter Hund wie Jerome Boateng kein Nachbar von ihm sein wollte.

Dieser FC Wimbledon war im Jahr 2002 nämlich mausetot. Erhebliche finanzielle Probleme zwangen die damaligen Verantwortlichen, die Lizenz des Vereines zu verkaufen. Ein Geschäftsmann namens Pete Winkelman griff zu und siedelte den Verein einfach nach Milton Keynes, einer ca. 90 km nördlich von London gelegenen Retortenstadt, um. Was dann folgte machte kein Fan der „Dons“ mit. Der Verein wurde in Milton Keynes Dons umbenannt und erhielt ein nagelneues Stadion. Jegliche Identität, Historie und Tradition war verloren, der FC Wimbledon nach über 100 Jahren Existenz einfach gestorben.

Deshalb schlossen sich mehrere Fans des FC Wimbledon umgehend zusammen und gründeten ihren Verein als AFC Wimbledon neu. Man startete in der untersten Liga, führte in der ersten Saison ein Spieler-Casting durch und mietete sich in einem Hockey-Stadion zunächst als Gast ein, damit ein Spielbetrieb überhaupt möglich war.

Man stieg trotz wirklich überschaubarer Finanzen in der Folge mehrfach auf und schaffte bereits im Jahr 2011 mit dem Aufstieg in die League 2 die Rückkehr in den Profifussball.

Dabei sollte es am 30.05.2016 aber nicht bleiben. Das Endspiel gegen die favorisierten Pilgrims aus dem Süden Englands stand an. Das sonst als Tennis-Mekka geltende Wimbledon dachte nur noch an Fussball.

Nach meiner Ankunft am Flughafen London-Stansted ging es auch sofort in den Norden Londons, um die Stimmung rund um das Endspiel aufzusaugen. Hierfür war aber nochmals eine Reise in der Reise zu absolvieren. Vom Airport Stansted ging es mit dem gleichnamigen Expresszug zunächst zur Liverpool Station, von wo es weiter zur Heimat von Sherlock Holmes, der Station Baker Street, ging. Nur noch mal kurz in die Metropolitan Line umgestiegen und schon sagte die gelegentlich auftretende Stimme in meinem Kopf: Sie haben Ihr Ziel erreicht! Die Station Wembley Park mit schönem Blick auf den Olympic Way und das Wembley Stadion.

Rund um das Wembley-Stadion war es bereits gegen 10.00 Uhr morgens sehr trubelig. Dies lag hauptsächlich an den Fans aus Plymouth, die eine Anreise von knapp 400 km absolvieren mussten und den Hauptstadtbesuch sichtlich genossen. Diesbezüglich möchte ich einmal hervorheben, dass die Mannschaft des Argyle FC von knapp 35.000 Fans begleitet wurde. Mit Rücksicht auf die Distanz nach London und die tatsächliche Spielklasse des Vereins eine für mich wirklich hervorzuhebende Zahl von mitreisenden Fans.

In Sachen Wembley-Stadion möchte ich meine Eindrücke mit einem einfachen Wort beginnen: WELTKLASSE!

Ich habe in meinem Leben schon sehr viele interessante Stadien besucht. Aber wenn wir uns über die Top-Stadien dieser Welt unterhalten, von der UEFA auch 5-Sterne-Stadien genannt, dann ist das Wembley-Stadion eine absolute Wucht. Es ist meiner Ansicht nach in allen Bereichen führend. Das beziehe ich nicht nur auf das Stadion, sondern auch auf das Drumherum. Fangen wir mit An- und Abreise an. Die Stationen Wembley-Park (U-Bahn London, Zugang über den langen Olympic Way) und Wembley Stadium (Britische Eisenbahn) sind nahezu perfekt angelegt und bieten auch bei „vollem Haus“ eine schnelle und unkomplizierte An- und Abreise. In der direkten Umgebung befinden sich viele Hotels (auch im günstigen Bereich, z.B. IBIS) und Restaurants. Sogar ein Marken-Outlet ist für unsere Shopping-Freunde vorhanden. Aber auch das eigentliche Stadion mit einem Fassungsvermögen von 90.000 Zuschauern muss man als Fußballfan mal gesehen haben. Gerade am Abend wirkt das Stadion mit seinem schimmernden Rundbogen einmalig. Aber auch der Innenbereich ist derartig eindrucksvoll, dass man im „Rundlauf“ teilweise gar nicht weiss, dass man sich in einem Stadion befindet. Unzählige Restaurants, Pubs und Bars laden vor dem Spiel noch auf einen Drink oder etwas zu Essen ein. Selbst die Tierschutzorganisation PETA wäre stolz, da auch für Veganer etwas geboten wird. Das gesamte Interieur wirkt sehr edel, gleichzeitig aber auch „normal“. Wirklich alles in diesem Stadion, einschließlich der Auf- und Abgänge, ist perfekt durchdacht. Die damaligen Baukosten von ca. 1,2 Milliarden waren mit Sicherheit gerechtfertigt und gut angelegt. Ich hoffe, dass man das auch irgendwann vom Airport Berlin sagen kann.

Das Endspiel begann stilecht mit einer tollen Show und der live gesungenen englischen Nationalhymne „God save the queen“. Im Verlauf der ersten 20 Minuten merkte man beiden Mannschaften die vorhandene Nervosität klar an. Mittlerweile befanden sich insgesamt 57.956 Zuschauer im Stadion, was für ein Aufstiegsspiel von der 4. in die 3.Liga wirklich bemerkenswert erscheint. Als Vergleich habe ich einmal die Zuschauerzahl vom deutschen Aufstiegsspiel FSV Zwickau gegen SV Elversberg rausgesucht, sie lag bei knapp 5000 Zuschauern.

Das Spiel lief in der Folge wie es in dieser Liga sein muss, mit maximalen Kampf und „wenig“ Spiel. Dies ist umso bemerkenswerter, da beide Mannschaften in der Liga mit 24 Teams bereits über 50 Saisonspiele (mit FA-Cup) in den Knochen hatten. Denn der Fußball, der uns dargeboten wurde, war so irrsinnig physisch und hart, dass man sich fast in einer anderen Sportart wähnte. Viele lange Bälle, viele Kopfballduelle, unzählige Grätschen mit 5 Metern Anlauf und ein Körpereinsatz, der dem Zuschauer einfach nur Spass bereitete. Dazu ein Schiedsrichter, der im ganzen Spiel gefühlt nur 10mal pfiff. Ich jedenfalls ziehe meinen Hut vor den Stürmern und offensiven Mittelfeldspielern beider Mannschaften. Wie die bearbeitet wurden, das kann man fast nicht beschreiben. Es gehört in dieser Liga schon einiges dazu, einen hohen oder hart gespielten Pass erstmal „fest“ zu machen bzw. abzulegen, ohne einen doppelten Schienbeinbruch davonzutragen. Respekt!

Die beschriebene Spielweise, die beide Mannschaften nahezu perfekt ausführten, führte aber leider auch dazu, dass die absolut 100-prozentigen Torchancen ausblieben. Zumindest bis zur 79. Spielminute, als Wimbledon-Stürmer Lyle Taylor aus dem Nichts eine Unachtsamkeit seines Gegenspielers nutzte und den Ball aus 8 Metern ins lange Eck versenkte. Das auch noch direkt vorm „West-End“, der Kurve der „Dons“-Fans.

Direkt nach dem Führungstreffer gab es dann auch noch den Auftritt des vermeintlich dicksten oder auch stärksten Fussballprofis der Welt. Sein Name ist Adebayo Akinfenwa, Spitzname THE BEAST, 34 Jahre alt, 103 Kilogramm, Publikumsliebling und ein Typ. Er wurde für Stürmerkollege Tom Elliott eingewechselt. Sein Arbeitsnachweis: Mehrere Sprints im Zeitlupentempo, ein verletzter Gegenspieler (der bei einem Kopfballduell mit ihm einfach abgeprallt ist), eine große Kopfballchance und der verwandelte Foulelfmeter in der 11. Minute der Nachspielzeit. Das alles, während ihn die Fans bei jedem Ballkontakt frenetisch feierten. Wirklich skurril und lustig.

Der AFC Wimbledon schaffte es jedenfalls das 2:0 über die Zeit zu kriegen, erhielt dafür noch einen schicken Pokal und spielt nächstes Jahr in der 3. englischen Liga. Dort freuen sich alle Fans auf die Duelle mit den Milton Keynes Dons, dem „Nachfolgeverein“. Die sind nämlich aus der 2. Liga abgestiegen und zittern jetzt bestimmt vor den richtigen Dons.

Mein Abend endete mit zwei stark angetrunkenen englischen Mädels aus Plymouth, die mich als scheiss Wimbledon-Fan beschimpften. Ich denke, die Kopfschmerzen der Ladys am nächsten Tag waren erheblich.

In Sachen Sightseeing möchte ich zu London diesmal nichts sagen. Es gibt so viele Sachen zu sehen, dass ich mich in diesem Blog nur lächerlich machen würde. Checkt es einfach mal selbst aus, London ist immer eine Reise wert, zu jeder Jahreszeit!!!

In diesem Sinne, jetzt ist die Saison 2015/2016 wirklich vorbei. Ich freue mich auf die nächste Saison!

Wieder einmal, Danke fürs Lesen, STAY TUNED!!!