Zum Ende des vergangenen Jahres wurde ich nahezu täglich gefragt, in welcher englischen Stadt ich die anstehende Silvesterfeier zelebrieren werde. Hintergrund dieser Befragung durch Freunde und Kollegen war sicherlich meine bekannte Schwäche für den englischen Fußball und die Tatsache, dass das englische Fußballsystem gerade „zwischen den Jahren“ eine große Auswahl von interessanten Spielen bietet.

Nach meiner doch recht bodenständigen Antwort erntete ich zumeist Kopfschütteln und nicht ganz ernst gemeintes Unverständnis. Dies lag daran, dass ich zum Tanz ins neue Jahr 2017 einfach mal mit meiner Freundin Kathrin und meiner Tochter Maya zu Hause blieb. Natürlich ohne Live-Fußball, dafür aber ganz traditionell mit Bleigießen, Raquelette und Kindersekt der Marke „Robby Bubble“!

Der aufmerksame Leser wird sich nun sicherlich fragen, was uns der Verfasser dieses Textes eigentlich über ein Fußballerlebnis sagen möchte. Zunächst einmal gar nichts, ich wollte einfach mal klarstellen, dass das erste Jahr meiner Homepage wahnsinnig intensiv, unfassbar und vor allem keineswegs alltäglich war. So viele Fußballereignisse und wundervolle Reiseziele sind nur schwer zu verarbeiten. Deshalb war es mir wichtig, zwischen den Feiertagen nicht zu reisen, um das Erlebte einfach mal zu verarbeiten und mit Hilfe von Fotos Revue passieren zu lassen. Zudem mussten ja auch noch die Reise- und Fußballberichte aus Florenz, Athen und Milton Keynes fertiggestellt werden, für die ich aufgrund der vielen Spiele im November und Anfang Dezember nur wenig Zeit und Kreativität aufbringen konnte.

Nach Fertigstellung meiner letzten Berichte ging es dann aber Mitte Januar endlich wieder los. Mein erstes Spiel des Jahres 2017 sollte im Mutterland des Fußballs stattfinden. Meine Freunde und Kollegen kennen mich halt doch ganz gut!

Als Reiseziel wählte ich diesmal die Midlands, welche über den Flughafen Birmingham hervorragend zu erreichen sind. Bevor ich nun zu den Vorzügen dieses Landstrichs komme, möchte ich allen Freunden von Strand und Meer direkt den Wind aus den Segeln nehmen. Wie es der Name „Midlands“ schon vermuten lässt, sind sämtliche Küsten Englands von hier am weitesten weg! Diese Tatsache belegt angeblich das im Dorf Meriden befindliche Monument „Meriden Cross“, welches sich definitiv für ein „Selfie“ anbietet. Dennoch ist ein wenig Skepsis angebracht, da der tatsächliche Mittelpunkt Englands nach neusten Messungen der BBC womöglich schlanke 18 km von Meriden entfernt ist.

Bereits bei meiner Anreise wartete die erste Überraschung am Flughafen Düsseldorf International. Beim Boarding meines Eurowings-Fluges nach Birmingham traf ich ein weiteres Mal auf Eberhard Kleinrensing. Der ist spätestens seit einer Groundhopper-Reportage des Sport1-Vorgängersenders DSF in deutschen Fachkreisen beliebt und bekannt. Denn dieser Mann, der in England nur „Ebby“ gerufen wird, ist mit wenigen Worten nur schwer zu beschreiben. Die Geschichte begann für Ebby 1978 mit einem Stadionbesuch beim englischen Traditionsverein Nottingham Forest. Die damalige Stimmung und das Umfeld im City Ground wirkten auf Ebby überwältigend, eine Vereinsliebe war geboren. Das vielleicht einzig bestehende Problem war lediglich die Entfernung von knapp 800 km zwischen Ebby´s Heimatstadt Duisburg und der Stadt in den East Midlands. Da die Entfernung aber nie ein Hindernis für Liebe sein kann, pendelte Ebby fortan für jedes Spiel aus Nordrhein-Westfalen nach England.

Wer nun schon von einer netten Geschichte spricht, dem sei gesagt, dass dies nur der Anfang war. Denn Ebby pendelt nun seit knapp 40 Jahren für jedes noch so wichtige und unwichtige Spiel nach Nottingham. Dabei ist es egal, ob es sich um ein Heim-, ein Auswärts- oder ein unwichtiges League-Cup-Spiel handelt. Dieser Einsatz brachte Ebby rund um Nottingham mindestens eine lokale Berühmtheit ein. Zudem wurde er durch die Fans von Forest zum Fan des Jahrhunderts gewählt und wird bei Betreten des Stadion regelmäßig frenetisch gefeiert.

Der offene und freundliche Typ ist in Fußballkreisen einfach Kult und gehört auf einer Fußballreise in die Midlands mittlerweile irgendwie dazu. Wer ihn auch einmal treffen möchte, muss letztlich einen Tag vor einem Spiel von Nottingham Forest den Frühflug nach Birmingham nehmen.

Die Midlands mit ihrer größten Stadt Birmingham (mit 1,1 Millionen Einwohnern die zweigrösste Stadt Englands) sind ein weiteres Fußball-Epizentrum Englands. Die Dichte an professionellen Fußballclubs ist hier ähnlich hoch wie in der Hauptstadt London. Somit sind die Midlands mit ihren „kurzen Wegen“ gerade für Neueinsteiger in den englischen Fußball ein hervorragendes Ziel. Bei den möglichen Vereinen im Großraum Birmingham, den West Midlands, handelt es sich unter anderem um den Erstligisten West Bromwich Albion sowie die Zweitligisten Birmingham City FC, Aston Villa FC und Wolverhampton Wanderers FC. Selbst die professionellen Ligen 3 und 4 bieten mit Vereinen wie Wallsall FC oder Coventry City FC die Möglichkeit für ein englisches Fußballspiel. Nach einer kurzen Reise in Richtung Osten warten in den East Midlands Vereine wie der amtierende englische Meister Leicester City sowie weitere bekannte Traditionsvereine wie Derby County und Nottingham Forest.

Auf dieser Reise legte ich den Schwerpunkt auf die West Midlands. Die Region kann in Sachen Kultur durchaus mit London mithalten. Die Industriestadt Birmingham ist sicherlich nicht die schönste Stadt auf dieser Welt, bietet aber gerade zur Weihnachtszeit mit ihrem Shoppingcenter „Bullring“ und dem original deutschen „Frankfurt“-Christmas-Market eine gute Alternative zum üblichen Weihnachtsshopping. Weiterhin verfügt Birmingham rund um die Broad Street über ein sehr lebhaftes und feucht-fröhliches Nachtleben. Für Kinder bietet sich ein Besuch des größten englischen Schokoladenherstellers Cadbury mit seiner Erlebniswelt („Cadbury-World“) an.

Wer sich ein wenig aus der Stadt traut, der sollte auf jeden Fall das „Warwick Castle“ besuchen. Eine der grössten und eindrucksvollsten mittelalterlichen Burgen Englands, in welcher man aufgrund der angebotenen Shows (Bogenschießen, Katapultshow, Vogel-/Adlershow und Dungeon-Horror-Show) in eine andere Zeit eintauchen kann. Sicher nicht ganz billig, aber in jedem Fall zu empfehlen.

Wer sein Herz an das Mittelalter verloren hat, der sollte auf einer Reise in die Midlands keinesfalls den Geburtsort von William Shakespeare auslassen. Die Stadt Stratford-upon-Avon ist eine idyllische englische Kleinstadt aus dem Bilderbuch. Viele Grünanlagen, ein Kanalsystem mit kleinen Booten und diverse Straßenmärkte prägen das Stadtbild. Aber auch der Citykern mit dem Geburtshaus Shakespeare´s und vielen netten Geschäften und Café´s ist einen Besuch wert.

Nach Sichtung des Spielplans fiel meine Wahl diesmal auf das Aufsteigerduell der 2. englischen Liga zwischen Burton Albion FC und Wigan Athletic FC. Hierzu ging es am 14.01.2017 in die 73.000-Einwohner-Stadt Burton-upon-Trent. Die knapp 50 km von Birmingham entfernte Stadt ist in erster Linie für ihre Braukunst bekannt. Zu früheren Zeiten befanden sich in der Stadt bis zu 30 Bierbrauereien.

Der Club Burton Albion FC ist ein für englische Verhältnisse recht junger Verein. Nach Gründung im Jahr 1950 verbrachte man die meiste Zeit mit Auf- und Abstiegen in den unteren Amateurklassen (sogenannter Non-League-Football). Erst im Jahr 2009 gelang mit dem Aufstieg in die League Two (4. englische Liga) der Eintritt in den englischen Profifussball. Nach mehreren Jahren in der League Two wurde es in den Jahren 2015 und 2016 märchenhaft, als man den direkten Durchmarsch in die zweite englische Liga, die EFL Championship, realisieren konnte. In Anlehnung an die bekannte einheimische Brauindustrie erhielt das Team von Burton Albion den Beinamen „Brewers“. Bei der Suche nach einem überregional bekannten Star wird man bei dem Kollektiv der Brewers nicht fündig. Dennoch verfügt die Truppe über einen sehr bekannten Trainer, zumindest wenn man als Jugendlicher gerne „Fußball-Manager“ auf dem PC spielte. Hierbei handelt es sich um Nigel Clough, Sohn der englischen Trainerlegende Brian Clough. Vater Brian wurde kürzlich von der deutschen Sportschau zum besten Trainer aller Zeiten gekürt.

Bei Gegner Wigan Athletic sieht die jüngere Geschichte ein wenig anders aus. Nach dem Aufstieg in die Premier League (zum Ende der Saison 2004/2005) gelang es dem unterschätzen Underdog über Jahre, den Klassenerhalt in Englands Beletage zu erreichen. Zudem feierte man 2013 mit dem Gewinn des traditionsreichen FA-Cup sensationell den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Im 132. Finalspiel konnte die Startruppe von Manchester City im Wembley-Stadium mit 1:0 bezwungen werden. Was sich nun nach einer goldenen Zukunft anhört, endete schon drei Tage später im Desaster. Nach einer 1:4-Niederlage beim FC Arsenal stieg ein amtierender FA-Cup-Sieger das erste Mal aus der Premier League ab. Das war leider nur der Anfang, man stieg nur knapp zwei Jahre später nochmal ab, diesmal in die drittklassige League One. Auch in Sachen Starfaktor siehts bei den „Latics“ völlig anders aus. Absoluter Star des Teams ist ein gewisser Will Grigg, 25jähriger Stürmer aus Nordirland. Der ist insgesamt ein sehr robuster, aber auch recht durchschnittlicher Stürmer. Was steckt denn nun dahinter, dass selbst Weltstars wie Bastian Schweinsteiger um ein Foto mit Grigg betteln? Die Geschichte von Will Grigg startete nach dem Wiederaufstieg der Latics in der letzten Saison. Hier wurde Will Grigg mit 25 Toren Drittliga-Torschützenkönig und hatte einen Löwenanteil am Aufstieg seines Teams. Dies nahm ein Wigan-Fan zum Anlass, eine Hymne auf seinen Stürmerstar zu erschaffen. Dafür textete er das Lied „Freed from Desire“ der italienischen Sängerin Gala einfach um und landete mit dem neuen Lied „Will Grigg´s on fire“ einen viralen YouTube-Hit. Der erfreute sich in den Pubs der Stadt Wigan fortan höchster Wertschätzung und war vor allem in England ein echter Hit.

Aufgrund der Nominierung von Will Grigg für das Aufgebot der nordirischen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich schwappte der Hit erwartungsgemäß nach Europa und wird mittlerweile in nahezu jeder Fankurve bzw. Fankneipe intoniert. Eine wirklich irre Geschichte.

Das Spiel der beiden Aufsteiger fand im Pirelli-Stadion von Burton-upon-Trent statt. Wenn man den Stadionnamen hört, erwartet man zunächst eine absolut wahnsinnige Multifunktionsarena. Die war es zum Glück aber nicht. Bei dem Stadion handelt es sich um ein sehr kleines und enges, aber auch typisch englisches, Stadion mit einem Fassungsvermögen von 6.912 Zuschauern. Getreu dem Motto, klein aber fein. Der Stadionname stammt übrigens wirklich vom originalen italienischen Reifenhersteller, welcher in Burton seinen englischen Hauptsitz hat und den Club angeblich mit ein paar Pfund unterstützt.

Beide Teams standen vor dem Spiel tief im Keller der Tabelle. Die Gastgeber waren diesbezüglich mit Tabellenplatz 21 gerade noch „über dem Strich“, Gegner Wigan mit Platz 23 auf einem direkten Abstiegsplatz.

Trotz der schlechten Platzierung beider Teams und einer zu erwartenden Abtastphase ohne Risiko entwickelte sich ein flottes und kampfbetontes Spiel, in welchem der Gast aus Wigan klare Vorteile besaß. Vor 4411 Zuschauern gewann der Gast aus Wigan verdient und souverän mit 2:0 (1:0). Beide Tore erzielte der englische U19-Nationalspieler Callum Connolly, welcher erst wenige Stunden vor dem Spiel vom Everton FC ausgeliehen wurde. Dieser Transfer war so frisch, dass er nicht einmal bei Transfermarkt.de aktualisiert wurde. Stürmerstar Will Grigg möchte ich eine insgesamt gute Leistung attestieren, ständig anspielbereit und sehr kämpferisch. Obwohl er leider nicht traf, war er für mich dennoch voll „on fire“.

Zum Ende meines Besuches der West Midlands durfte ich in der Siedlung meines Gastgebers Andy Seery einen besonderen Nachbarn und Fußballfan kennenlernen. John Leekey, Fan des Traditionsvereines Coventry City FC, ist Mitglied des Clubs der 92! Dieser doch recht elitäre Club besteht aus Fans, die im Laufe der Jahre alle Proficlubs der vier englischen Profiligen bei einem Pflichtspiel besuchten.

John besitzt im 1. Obergeschoß seines Hauses ein eigenes Fußballzimmer, welches eine Art Museum von Coventry City darstellt. Ich habe jedenfalls selten so viele interessante Erinnerungsstücke über einen Fußballclub gesehen.

Da sich der englische Profifussball natürlich auch stetig verändert, kriegen die Mitglieder des Clubs der 92 automatisch Tickets, wenn ein neuer Club aufsteigt bzw. ein neues Stadion eröffnet wurde. So gehts für John demnächst ins neue Stadion von West Ham United, dem ehemaligen Olympiastadion von London 2012 (Artikel über John in der englischen Zeitung „Mirror“).

Stay tuned!!!!