Es ist Wochenende, ein frühlingshafter Samstag erwacht! Ich muss nicht arbeiten und stehe trotzdem um 05.30 Uhr auf. Was ist da nur los? Leide ich vielleicht unter seniler Bettflucht? Nein, es ist Matchday und einfach mal wieder Zeit, die Mannschaft des VfL Bochum 1848 bei einem Auswärtsauftritt zu begleiten. Diesmal ging es in das Bundesland Sachsen, wo bekanntlich die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen. Und dort wartete kein geringerer als….das Konstrukt!

So wird der im Jahre 2009 gegründete Fußballclub Rasenballsport Leipzig in Fankreisen oft genannt. Aber auch die Namen Red Bull Leipzig, Plastik- und Brauseclub oder SSV Markranstädt gehen als Synonyme für das deutsche Team des österreichischen Red-Bull-Konzerns in jedem Fall durch. Da es in Fußball-Deutschland keinen Club gibt, der bei seinen Gastspielen mehr gehasst und angefeindet wird, wollte ich die selbst ernannten „Roten Bullen“ im Heimspiel gegen meinen VfL einmal unter die Lupe nehmen.

Hierfür war zunächst einmal die Anreise in Sachsens einwohnerstärkste Stadt zu planen. Für die ca. 435 km lange Strecke erhielt ich die Möglichkeit mit Bochum´s führendem Erlebnisreisedienst für Spiele des VfL auf Tour zu gehen. Was sich zunächst nach einem kommerziellen Reiseunternehmen anhört, entpuppt sich in der Realität als Angebot des Fanclubs Die Treuen 1983, einem der ältesten Fanclubs unseres VfL. Das Angebot der Treuen ist in einschlägigen Fachkreisen auch unter dem Namen „Schumi-Tours“ bekannt, Rückschlüsse auf den engagierten Organisator der Fahrten sind ausdrücklich erwünscht.

Aber wo ist jetzt der Unterschied zu einer Auswärtsfahrt mit der Deutschen Bahn oder einem großen organisierten Reisebus? Nun, das ist ganz einfach: Angenehme Leute, gute Stimmung (auch auf der Rückfahrt), kontroverse Themen, eine schnelle bzw. unkomplizierte Anreise, ausreichend viele Pinkelpausen und ein nahezu legendäres Musikprogramm für jeden Geschmack (von Howard Carpendale über Hämatom zu The Verve). Selbst das während der Fahrt angebotene Catering (Belegte Brötchen und Produkte der Privatbrauerei Moritz Fiege) war so eigentlich nicht zu erwarten, aber wegen der zu gebenden Geburtstagsrunde wohl unabdingbar (der besondere Dank geht an Tim L.). Einziger Wermutstropfen am heutigen Tag war, dass der gebuchte Entertainer und bekannte Alleinunterhalter Timo Moschner nicht an Bord war.

Die Fahrt begann naturgemäß am heimischen Ruhrstadion, bei welchem die Flutlichtmasten im Morgengrauen besonders mystisch wirken. Nach einem eher müden Beginn bei Auffahrt auf die A40 taute die Gesellschaft spätestens bei der leider kaum zu verhindernden Ortsdurchfahrt in Dortmund auf. Hier schüttelten die ersten Scherze über den doch recht unbeliebten Nachbarn vom schwarz-gelben Versicherungs-Park die bis dahin unterdrückte Müdigkeit aus dem Pelz. Die gute Laune hielt sich in der Folge auf den gut 5 Stunden Fahrt in Richtung Sonnenaufgang, da der anwesende Mitarbeiter des Bochumer Fanprojektes versuchte, die mitfahrenden Unwissenden mit Aufklebern für die Ziele des Fanprojektes zu interessieren. Eine lebhafte und selten ernst gemeinte Diskussion startete auf der insgesamt kurzweiligen Anreise!

Nach Ankunft am Leipziger Zentralstadion, welches nun den „coolen“ Namen Red-Bull-Arena trägt, wurde uns ein Parkplatz direkt gegenüber des sehr eindrucksvollen historischen Hauptportals zugewiesen. Auf diesem Parkplatz befanden sich ausschließlich Heimfans des Brauseclubs. Was in anderen Städten oftmals für erste Spannungen sorgt und normalerweise nicht wirklich praktikabel ist, war in Leipzig absolut kein Problem.

Dies lag daran, dass die Heimfanszene zu einem Großteil aus jungen Familien mit kleinen Kindern oder schon älteren Mitmenschen bestand. Die wiederum vermittelten aufgrund ihrer Fankleidung eher den Eindruck, dass sie sich auf dem Weg zur Autogrammstunde des ehemaligen Red-Bull-Formel-1-Fahrers Sebastian Vettel befinden. Den beschriebenen ersten Eindruck der RB-Fanszene konnte der vorm Haupteingang kotzende junge Erwachsene aber leider auch nicht mehr grundlegend verändern. Aufgrund seines Aussehens und der vorhandenen Alkoholisierung wäre er wohl eher ein Fall für das Red-Bull-Air-Race oder das Red-Bull-Cliff-Diving gewesen.

Im Verlauf des anschließenden Spiels bzw. der Phase vor dem Spiel verstärkte sich mein auf dem Parkplatz gewonnener Eindruck um ein vielfaches. Die Stimmung der Fangemeinde erinnerte eher an ein Jugendfussballspiel der deutschen U17 mit Freikarten für alle Grundschulen der Stadt. Der vorgetragene Wechselgesang der einzelnen Tribünen wirkte alles in allem gut einstudiert, vielleicht ein wenig zu glatt und steril. Nun ja, wenigstens wurde er ohne die erwarteten und allseits beliebten Klatschpappen intoniert. Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass jeden Augenblick der Zirkusdirektor erscheint und die Manege für feine Akrobatik und Comedy freigibt. Nur gut 3 Minuten später wurde dieses Feeling zur Realität, der „Direktor“ kam in Person des Stadionsprechers tatsächlich in die Manege. Eine wahnsinnig bekloppte Vorstellung bei Nennung der Mannschaftsaufstellung, welche ich in jedem Fall auf den übermäßigen Genuss des Vereinsgetränks zurückführe. Den hauptsächlich bei Wodka-Trinkern beliebten Zusatz gibts übrigens in allen Variationen in der Arena. Der Drink wird auf der Getränkekarte sogar noch vor dem normal beliebteren Bier angeboten.

Es gab aber auch positive Erlebnisse. Da wäre in erster Linie das Stadion zu nennen. Das für die WM 2006 neu erbaute Zentralstadion mit einem Fassungsvermögen von knapp 43.000 Zuschauern ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Ein richtig schönes Stadion, welches durch seine besondere Bauweise und die Einbindung des alten Hauptportals hervorsticht. Einzigartig ist in diesem Fall, dass das neue Stadion in das alte Stadionrund hineingebaut wurde. Das alte Zentralstadion, welches nicht überdacht war und mehr oder weniger nur aus einem weiten Rund bestand, fasste bis zum Beginn des Neubaus im Jahr 2000 knapp 100.000 Menschen. Positiv anzumerken ist zudem, dass das Gästeticket für einen Sitzplatz auf dem Unterrang nur 10 Euro kostete. In Zeiten der Diskussion um überteuerte Gästetickets eine Wohltat.

Das Spiel selbst lief im Prinzip wie erwartet. Die Millionentruppe des Dietrich Mateschitz fertigte nach Startproblemen meinen VfL mit 3:1 ab und hat nun beste Aussichten auf den Aufstieg in die erste Fußball-Bundesliga. Ich drücke dem Konstrukt jedenfalls fest die Daumen, da es für jeden Verein in der 2. Bundesliga eine Wohltat ist, nicht mehr gegen diese Truppe spielen zu müssen. Für die erste Bundesliga tut es mir in gewisser Weise leid, da sie nun noch uninteressanter wird. Wer schaut schon gerne Samstags-Top-Spiele wie RB gegen Hoffenheim oder Wolfsburg gegen RB? Aber da ist der deutsche Fußball dann auch selbst schuld.

Mein Resümee zur Reise lautet, dass ich mit diesem Club als Fußballverein nichts anfangen kann. Sicher ist es immer schön und wünschenswert, wenn Kinder und Frauen in hoher Anzahl zum Fußball gehen. Aber ohne eine alteingesessene Fanszene (ausdrücklich: keine Ultraszene) mit Erfahrung und Traditionen kann sich keine ernsthafte Fußball(Kultur)szene entwickeln. Das merkt man und das wird in Leipzig allein schon aufgrund der totalitären Vereinsstrukturen mit Lenkung aus der österreichischen Konzernzentrale in Fuschl am See voraussichtlich immer so bleiben. Auch die übertriebene Show vor dem Spiel mit völlig sterilen Fangesängen verursachte eher Mitleid als Hass beim Gegenüber. Denn Hass oder Missgunst sind definitiv nicht angebracht. Ich glaube, dass sich dieser Club mit dem Namen Rasenballsport nur etablieren konnte, weil die Menschen in einer Stadt wie Leipzig hungrig nach professionellem und gutem Fußball waren. Da die Stadt über Jahre ein weisser Fleck auf der Fußballkarte war, kam ein Club wie RB mit diesem finanziellen Background wie gerufen. Eine Frage von Angebot und Nachfrage. Es ist zwar nach wie vor abgedroschen und ein Fall für das Sparschwein im Sport1-Treff Doppelpass, ich sage es aber trotzdem: Tradition schlägt Kommerz, zumindest im Fußballherz. Bei allen anderen Dingen gewinnt das Imperium alias Red Bull mit dem schwarzen Lord Mateschitz.

Ich habe für mich entschieden, dass ich den bei vielen Fußballtraditionalisten vorhandenen Hass auf RB Leipzig nicht mittrage, mir ist das „Ding“ einfach nur total egal, weil es mit ehrlichem Fußball nichts zu tun hat.

Abschließen möchte ich diese Fahrt mit dem Insider „Da ist die Schranke“ und dem besonderen Dank an Schumi-Tours….Stay tuned!