In den vergangenen Monaten standen bei meinem Projekt „UEFA55“ die eher kleinen Fußballnationen aus dem Keller der UEFA-Fünf-Jahreswertung auf dem Tableau. Deshalb war es jetzt dringend an der Zeit, meine immer noch unvollständige Liste mit einer der führenden Fußball-Ligen Europas zu ergänzen.

Italien, das Land mit der vermeintlich besten Küche der Welt, wurde in den vergangenen Jahren mit Ausnahme eines Europapokalspieles in der Toskana äußerst stiefmütterlich von mir behandelt. Warum das so ist, kann ich rückblickend nicht mehr genau sagen…vielleicht liegt es daran, dass ich nach meiner Kindheit etwas traumatisiert von langen Autofahrten über den „Brenner“ war. Dazu galt die italienische Premium-Liga „Lega Serie A“ nach ihrer besten Zeit in den 1990er-Jahren lange als Problemkind unter den großen Fußballnationen…ausufernde Fangewalt, offener Rassismus, heruntergekommene Stadien, destruktiver Defensivfußball und ein Manipulations-Skandal machten aus der stolzen (Fußball-)Nation ein fußballerisches Krisengebiet. Mittlerweile hat sich die Lage in vielen Bereichen stark verbessert, auch wenn in Sachen Infrastruktur und Stadionrenovierung immer noch großer Nachholbedarf besteht.

Zum ersten Spiel des 30. Spieltages der diesjährigen Serie A ging es am vergangenen Freitag in die Hafenstadt Genua. Bereits bei der Einfahrt des „Trenitalia-Intercitys“ in den Hauptbahnhof „Piazza Principe“ schlich sich mit dem Song „Un´estate italiana“ ein Ohrwurm in mein Kurzzeitgedächtnis. Das Lied des Italo-Duos Edoardo Bennato und Gianna Nannini war die offizielle Hymne zur Fußball-WM 1990 und steigert die Laune im Hinblick auf ein schönes italienisches Fußballwochenende mal so richtig. Während eines ersten Spazierganges durch die mit knapp 600.000 Einwohnern sechstgrößte Stadt des Landes fiel mir auch der Arbeitstitel meiner Fußballreise durch Italien ein. Die stand in Anlehnung an die Corona-Pandemie plötzlich unter dem Motto „3C statt 3G“.

Im Fall Genua steht das erste „C“ für das Wort „Cricket“. Der „Genoa Cricket and Football Club“, kurz Genoa CFC, wurde durch zehn britische Gentlemen im Jahr 1893 gegründet und gilt als erster bzw. ältester Fußballclub Italiens. Mit diesem Entwicklungs- und Leistungsvorsprung gelang es dem Club, die ersten drei italienischen Fußballmeisterschaften von 1898 bis 1900 zu gewinnen. Dieser besondere Vorteil hielt aber nur bis zur Saison 1923/1924, als man die Letzte von insgesamt neun Meisterschaften feiern konnte. In den folgenden Jahren verschwanden die „Rossoblu“ sportlich von der „großen Bühne“, speziell in der jüngeren Vergangenheit musste man sich vornehmlich mit Gegnern in der zweitklassigen Serie B oder gar drittklassigen Serie C auseinandersetzen.

In der Gegenwart darf sich die Mannschaft um Torwart-Oldie Salvatore Sirigu mal wieder in Italiens Oberhaus versuchen. Bis zum 22. Spieltag liegt die Betonung hier ganz klar auf „versuchen“, da man bis zu diesem Zeitpunkt lediglich 12 magere Pünktchen sammeln konnte und mit der 0:6-Niederlage in Florenz den absoluten Saisontiefpunkt erlebte. Nach der Niederlage in der Toskana übernahm mit dem Deutschen Alexander Blessin ein im Profibereich recht unerfahrener Trainer, der nach seiner Zeit als Jugendcoach von RB Leipzig nur beim belgischen Erstligisten KV Oostende arbeitete. Mit dem Trainerwechsel lief es plötzlich…naja zumindest ein wenig. Der „neue Besen“ Blessin schaffte es, mit seiner Mannschaft sieben Mal in Folge unbesiegt zu bleiben. Leider konnte man aber auch nicht gewinnen, was letztlich bedeutet, dass man sieben Mal in Folge Unentschieden spielte. Eine sicher nicht alltägliche Bilanz, die mit den torlosen Remis gegen die Spitzenteams Inter, Atalanta Bergamo und AS Roma am Ende eher positiv erscheint.

Im Heimspiel gegen den im Niemandsland der Tabelle stehenden Torino Football Club sollte endlich der erste Sieg gelingen. Das Duell fand im altehrwürdigen „Stadio Luigi Ferraris“ statt, das sich der CFC mit dem Stadtrivalen U.C. Sampdoria teilt. Der im Jahr 1911 erbaute und 2015 renovierte Ground mit einem Fassungsvermögen von fast 35.000 Zuschauern ist eines dieser alten Stadien, das nach Ansicht der städtischen Verantwortlichen besser gestern als heute für den Bau einer modernen Arena weichen soll. Dies wäre meiner Ansicht nach ein absoluter Fehler, das „Luigi Ferraris“ ist trotz seines Alters und einiger Schönheitsfehler ein sehenswertes Fußballstadion, das zur italienischen Fußballkultur dazugehört.

Das Spiel gegen den Club aus Turin gewann der Genoa CFC vor 14.961 Zuschauern übrigens mit 1:0 (1:0), obwohl man nach dem Platzverweis für den ehemaligen St. Paulianer Leo Östigard über 70 Minuten in Unterzahl spielen musste. Dementsprechend war Schiedsrichter Maurizio Mariani für den überwiegenden Teil der Zuschauer der unbeliebteste Akteur des Abends. Gut, dass ich Wörter wie Bastardo, Stronzo, Merda oder Fanculo nicht verstehe. Mit dem Sieg hat der CFC wieder Anschluss an die Nichtabstiegsplätze. Genau deshalb ließ sich „Mister Blessin“ ausgiebig von der Fankurve im Stile eines Jürgen Klopp mit Faust und Säge feiern.

Aus der Hafenstadt Genua ging es am folgenden Tag durch den ligurischen Apennin in Richtung Norden. Ziel war die Hauptstadt der Lombardei.

Das Stadio Luigi Ferraris in Genua

Der Begriff „Catenaccio“ steht nicht nur für ein sehr defensives Spielsystem, mit welchem der argentinische Trainer Helenio Herrera seinen Mailänder Club Inter in den 1960er-Jahren zu drei nationalen Meistertiteln, zwei Europapokalsiegen und einem Gewinn des Weltpokales führte, sondern beschreibt seit jeher die wichtigsten Attribute des italienischen Fußballs mit seiner „Squadra Azzurra“. Die fiel zwar in den seltensten Fällen mit begeisterungsfähigem Offensivfußball auf, ist aber grundsätzlich bekannt für knochenharten Einsatz, eine (positiv-)giftige Einstellung zum Spiel und die vielleicht raffinierteste Verteidigungstaktik schlechthin, bei welcher schon der vorderste Stoßstürmer im gegnerischen Strafraum grätschen muss. Zusammengefasst kann man sagen, wenn die Null beim Gegner steht, ist man notfalls im Elfmeterschießen erfolgreich…falls nicht, kann auch ein Gegner wie Nord-Mazedonien äußerst gefährlich werden.

Die Heimat des „Catenaccio“, die norditalienische Modemetropole Mailand, war der zweite Halt auf meiner Reise durch den 30. Spieltag der Lega Serie A. Hier traf der amtierende Meister FC Internazionale am Samstagabend als Tabellendritter auf den ACF Fiorentina (8.). Obwohl sich in diesem Duell zwei „große“ Namen des italienischen Fußballs gegenüberstanden, war das Stadion diesmal der „Star des Abends“.

Das monströse Giuseppe-Meazza-Stadion, im Volksmund San Siro genannt, wirkt schon bei Verlassen der Metrostation „erschlagend“ auf den Betrachter. Dieser Koloss aus Beton und Stahl war neben diversen Europapokal-Endspielen selbstverständlich auch Schauplatz der WM-Endrunde 1990. Hier legte die deutsche Nationalmannschaft mit dem 4:1-Sieg gegen Jugoslawien den Grundstein für den späteren Gewinn der Weltmeisterschaft. Ich erinnere mich dabei speziell an das vorentscheidende Tor zum zwischenzeitlichen 3:1, als Lothar Matthäus in der eigenen Hälfte mit viel Dynamik startete, noch einen Gegenspieler aussteigen ließ und wuchtig aus fast 25 Metern abschloss.

Das Stadion bietet aktuell fast 76.000 Zuschauern Platz und wird nach wie vor von beiden Mailänder Clubs als Heimspielstätte genutzt. Gerade bei Betrachten des Fassungsvermögens wird aber auch schnell klar, wo das größte Problem des 1926 erbauten und zuletzt 2015 renovierten Stadions liegt. Es ist schlichtweg in die Jahre gekommen und müsste nach heutigen Komfort- und Sicherheitsrichtlinien eigentlich für weniger Zuschauer zugelassen werden. Das merkt man deutlich, wenn der Sitznachbar etwas mehr als 45 kg wiegt bzw. man selbst größer als 1,65 Meter ist…dann wird es nämlich schnell sehr eng und zumeist auch ungewollt intim. Trotzdem ist das San Siro ein Stadion, das wie das bereits beschriebene „Luigi Ferraris“ zur italienischen Fußballkultur einfach dazugehört. Deshalb sollte man schnell sein, wenn man noch nie in den Genuss dieses Grounds gekommen ist. Beide Mailänder Clubs besitzen konkrete Pläne für einen modernen Neubau, der neben dem „alten“ San Siro errichtet werden soll. Wann das soweit sein wird, weiß letztlich niemand.

Im genannten Duell zeigte der letztjährige Scudetto-Gewinner Inter eine äußerst durchschnittliche Leistung. Hier dürfte es schwierig werden, den Titel am Ende der Saison zu verteidigen. Vor 54.988 Zuschauern waren die gelb gekleideten Gäste aus Florenz in der ersten Halbzeit die Mannschaft, die immer wieder klug konterte und mehrere richtig gute Torchancen besaß. In der zweiten Halbzeit ging Fiorentina dann auch folgerichtig in Führung, als Torreira nach Vorarbeit des ehemaligen Stuttgarters Gonzalez finalisierte (50.). Dass die Nerazzurri dann aber doch viel individuelle Klasse besitzen, konnte man nur fünf Minuten später erkennen. Fast aus dem Nichts köpfte der Niederländer Dumfries eine Flanke von Ivan Perisic aus kurzer Distanz zum Ausgleich ein. In der Schlussphase besaßen beide Teams dann noch die ultimative Riesenchance zum Siegtreffer. Zunächst scheiterte der eingewechselte Alexis Sanchez freistehend mit einem Schuss aus neun Metern (89.), fast im Gegenzug lief Fiorentina-Spieler Ikoné mutterseelenallein auf das Inter-Tor zu und fand im 37jährigen Keeper Handanovic seinen Meister. Es blieb bei einem letztlich verdienten 1:1-Unentschieden. Bevor es mit der Metro nun zurück in die Mailänder Innenstadt gehen sollte, war noch ein wenig Zeit für den Klassiker der italienischen Stadionverpflegung…Salsiccia Calabrese mit einem frisch gezapften Bier!

„Pazza Inter Amala“…das zweite „C“ meiner Reise steht für den „Catenaccio“!

Nach zwei sehr traditionellen Stadien stand zum Abschluss ein moderner Neubau im Fokus. Dazu ging die Reise aus Mailand in die Hauptstadt des Piemont, welche auch ohne die berühmte Kirsche äußerst lebenswert war.

Das Stadio Giuseppe Meazza in Mailand

Bereits im Jahr 1903 beschäftigte der erst kurz zuvor gegründete Turiner Verein Juventus mit dem Engländer John Savage einen ausländischen Legionär, der sich mit einer schlichten Kontaktaufnahme in die Heimat unwiderruflich in die Vereinschronik schrieb. Zu dieser Zeit trat der Club in seinen Ligaspielen mit rosafarbenen Trikots und schwarzen Hosen an. Diese eher seltene Farbkombination beanspruchte in erster Linie die Fähigkeiten des Zeugwartes, der ein Ausbleichen der Baumwollshirts aufgrund der noch nicht erfundenen Color-Waschmittel auf Dauer nicht verhindern konnte. Da es zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch noch keinen professionellen Ausrüster gab, der wöchentlich neue Leibchen lieferte, suchte man im englischen Mutterland des Fußballs nach einer bahnbrechenden Idee…auch dies war ohne Internet oder Smartphone sicherlich etwas schwieriger als heute. Deshalb bot Savage seine Hilfe an und kontaktierte einen Freund im heimischen Nottingham. Der war großer Fan des ältesten englischen Proficlubs Notts County Football Club und organisierte für die Italiener umgehend einen pflegeleichten Trikotsatz seines Heimatclubs.

Nach Erhalt der neuen schwarz-weiß-gestreiften Kluft vom englischen FA-Cup-Sieger von 1894 zeigte die Leistungskurve von Juventus fortan steil nach oben. Nach zwei Vizemeisterschaften konnte man nur zwei Jahre später, im Jahr 1905, die Vorherrschaft des bisherigen Serienmeisters Genoa CFC durchbrechen und erstmals den „Scudetto“ gewinnen.

In den folgenden 100 Jahren entwickelten sich die Erfolgskurven der nun befreundeten Clubs aus Turin und Nottingham völlig gegensätzlich. Während die „Bianconeri“, die Schwarz-Weißen aus Turin, mit 36 Meistertiteln und 14 nationalen Pokalsiegen zur erfolgreichsten Mannschaft Italiens mutierten, verbrachte Notts County seine Zeit in den unteren Ligen des englischen Profifußballs. Aktuell spielt die Mannschaft von der Meadow Lane sogar nur noch in der fünften englischen Liga, im sogenannten „Non-League-Football“.

Trotz des großen Leistungsunterschiedes erinnerten sich die Verantwortlichen von Juventus anlässlich der Einweihung des neuen Stadions im Jahr 2011 an die englischen Freunde und die geleistete Hilfe in der Not. So kam es am 8. September 2011 zu einem durchaus ungewöhnlichen Eröffnungsspiel zwischen den beiden Teams im neu erbauten Allianz-Stadion, in dem sich der Underdog aus den „East Midlands“ durch einen Treffer von Lee Hughes ein fast sensationelles Unentschieden erkämpfte.

Die Juventus-Arena wurde übrigens an exakt der gleichen Stelle erbaut, wo das alte „Stadio Delle Alpi“ nur zwei Jahre zuvor abgerissen wurde. Der heutige hochmoderne Spielort mit seinen markanten 86-Meter-hohen Türmen fasst aktuell 42.000 Zuschauer und bietet dem Besucher mit einem angeschlossenen Einkaufscenter, dem Juve-Museum und diversen Bars und Restaurants jede Menge Entertainment vor und nach dem Spiel. Die Shopping-Erheiterung ist rückblickend auch dringend notwendig, wenn man mit dem eigenen Pkw oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Spiel angereist ist.

Speziell nach dem Match braucht man das, was man höchst selten hat…Zeit! Bei allem Bauwahn hat die Stadt Turin mit Errichtung des neuen Stadions nämlich vergessen, eine nachhaltige, intelligente und vor allem „schnelle“ Verkehrsinfrastruktur zu installieren. So ist das Stadion im Norden der 900.000-Einwohner-Stadt nur durch einen umständlichen bzw. zeitaufwendigen Mix aus U-Bahn und Shuttlebus erreichbar, was gerade nach dem Spiel äußerst erheiternd wirkt, wenn man als einmaliger Nutzer des Turiner Nahverkehrs kein Tabak- und Lottogeschäft zum Fahrkartenkauf findet. Die Taxifahrer freut dieser Umstand jedenfalls…auch wenn sie nach dem Spielende chronisch überarbeitet sind.

Im Spiel gegen den Tabellenletzten US Salernitana 1919 zeigte das verwöhnte Turiner Publikum, dass die aktuelle Platzierung auf dem 4. Tabellenplatz mit einem Abstand von sieben Punkten zur Spitze einer Demütigung gleich kommt. Die damit verbundenen geringen Chancen auf die diesjährige Meisterschaft sorgten dafür, dass sich im Spiel gegen die Süditaliener nur 29.186 Zuschauer in der Arena einfanden. Ein Umstand, den man auch im alten „Delle Alpi“ regelmäßig feststellen konnte, wenn es nicht nach Wunsch lief.

Trotz der durchwachsenen Saison gönnte die alte Dame mit Kapitän und Dauerbrenner Giorgio Chiellini dem Gast keinen Befreiungsschlag im Abstiegskampf und siegte durch zwei frühe Tore von Dybala (5.) und Vlahovic (29.) völlig ungefährdet mit 2:0 (2:0). Gerade dieser knochenharte Verteidiger Chiellini, der sich nun schon in seiner 17. Juve-Saison befindet, ist für mich ein absoluter Ausnahmesportler! Deshalb steht mein drittes „C“ auf dieser Tour für Chiellini.

Der Aufsteiger aus Salerno zeigte sich in der 2. Halbzeit zwar etwas gefährlicher, konnte aber auch mit der Einwechselung des mittlerweile 38jährigen Franck Ribery (69.) nichts mehr am Spielstand verändern. Fast hätte man „Unione Sportiva“ einen ähnlich heißen Auftritt gewünscht, wie ihn die 600 mitgereisten Fans hingelegt haben. Der war tatsächlich laut und erstklassig.

Ein Wochenende in der italienischen Lega Serie A ging zu Ende…ein Wochenende, das ohne den sogenannten „Green Pass“, dem 2G-Impfnachweis, überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Und das ist auch gut so!

Selbstverständlich gibt es auf meinem Instagram-Kanal wie immer viele Fotos und die dazugehörige Story mit bewegten Bildern. Schaut mal rein und lasst mir ein „Like“ da!

STAY TUNED…ES GEHT WEITER…IMMER!

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